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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Das höhere Schulwesen in Europa

Griechisch, die neusprachliche mit Latein ohne Griechisch und die mathematisch-
naturwissenschaftliche ohne Latein und Griechisch. Mit dem zum Universitäts¬
studium berechtigenden sogenannten Studentenexamen findet der Gymnasialunter¬
richt seinen Abschluß. Der Mittelschulunterricht kann nach der Abschlußprüfung
in einer Realklasse fortgesetzt werden, deren Kursus mit einem Realexamen
abschließt.

Die Niederlande haben sechsstufige Gymnasien, deren unterste Stufe der
preußischen Untertertia entspricht. In den beiden obern Stufen findet eine Art
Gabelung in zwei Linien statt, wobei die eine die Stundenzahl für den alt¬
sprachig-historischen, die andre die Stundenzahl des mathematisch-naturwissen¬
schaftlichen Unterrichts verstärkt; auf beiden bleibt aber der Unterricht in Latein
und Griechisch obligatorisch. Neben den Gymnasien bestehen fünfstufige höhere
Bürgerschulen, in die der Eintritt mit vollendetem zwölften Lebensjahre erfolgen
kann, für die aber kein gemeinsamer Lehrplan vorhanden ist. Das Abgangs¬
zeugnis einer solchen höhern Bürgerschule berechtigt zum Besuche der höhern
Fachschulen, besonders des Polytechnikums in Delft, und auch zum medizinischen
und pharmazeutischen Studium, jedoch ohne Promotionsberechtigung.

In Belgien sind die eigentlichen höhern Schulen die siebenstufigen Athenäen,
die sich in ganzklassische mit Latein und Griechisch, halbklassische mit Latein und
reale ohne Latein und Griechisch scheiden, und deren untere Klasse, für die
das Eintrittsalter das vollendete elfte Lebensjahr ist, ungefähr der preußischen
Quarta entspricht. Unmittelbar mit den sechsstufigen Elementarschulen stehen
die dreistufigen Mittelschulen in Verbindung; sie sollen für die kommerzielle,-in¬
dustrielle und landwirtschaftliche Laufbahn vorbereiten, während die Athenäen
der Vorbereitung für gelehrte Studien und höhere Lebensberufe dienen. Eine
eigentliche Reifeprüfung für die Universität gibt es also in Belgien nicht, die
Verleihung akademischer Grade ist aber an Prüfungen geknüpft, zu denen nur
zugelassen wird, wer sich vor einer besondern alljährlich Anfang August in
Brüssel zusammentretender Jury durch ein Zeugnis über den erfolgreichen Be¬
such einer höhern Schule oder durch eine Prüfung als dazu befähigt aus¬
gewiesen hat. Das Großherzogtum Luxemburg hat siebenstufige Gymnasien,
deren unterste Stufe der preußischen Quarta entspricht, und eine sechsstufige
Industrie- und Handelsschule. Das Reifezeugnis eines Gymnasiums berechtigt
zum Besuche der oours Luxeriöurs, Lection clss löttrss, und zur Zulassung zu
den Prüfungen, auf die diese Kurse vorbereiten. Eine ähnliche Prüfung findet
bei der Industrie- und Handelsschule statt und eröffnet ebenfalls den Zutritt
zu den cours supvriöurs, ssotion ass seienoss.

Frankreich hat sein Schulwesen im Jahre 1902 neu geordnet. Danach baut
sich der höhere Unterricht, l'enMiKueinsnt sseoiulairs, auf einem vierjährigen Vor¬
schul- oder Elementarunterricht auf und zerfällt in einen untern vierstufigen und
einen obern dreistufigen Zyklus. Beide sind vielfältig gegabelt. Der erste Zyklus hat
eine lateinische Abteilung mit fakultativen Griechisch von der dritten Stufe an,


Das höhere Schulwesen in Europa

Griechisch, die neusprachliche mit Latein ohne Griechisch und die mathematisch-
naturwissenschaftliche ohne Latein und Griechisch. Mit dem zum Universitäts¬
studium berechtigenden sogenannten Studentenexamen findet der Gymnasialunter¬
richt seinen Abschluß. Der Mittelschulunterricht kann nach der Abschlußprüfung
in einer Realklasse fortgesetzt werden, deren Kursus mit einem Realexamen
abschließt.

Die Niederlande haben sechsstufige Gymnasien, deren unterste Stufe der
preußischen Untertertia entspricht. In den beiden obern Stufen findet eine Art
Gabelung in zwei Linien statt, wobei die eine die Stundenzahl für den alt¬
sprachig-historischen, die andre die Stundenzahl des mathematisch-naturwissen¬
schaftlichen Unterrichts verstärkt; auf beiden bleibt aber der Unterricht in Latein
und Griechisch obligatorisch. Neben den Gymnasien bestehen fünfstufige höhere
Bürgerschulen, in die der Eintritt mit vollendetem zwölften Lebensjahre erfolgen
kann, für die aber kein gemeinsamer Lehrplan vorhanden ist. Das Abgangs¬
zeugnis einer solchen höhern Bürgerschule berechtigt zum Besuche der höhern
Fachschulen, besonders des Polytechnikums in Delft, und auch zum medizinischen
und pharmazeutischen Studium, jedoch ohne Promotionsberechtigung.

In Belgien sind die eigentlichen höhern Schulen die siebenstufigen Athenäen,
die sich in ganzklassische mit Latein und Griechisch, halbklassische mit Latein und
reale ohne Latein und Griechisch scheiden, und deren untere Klasse, für die
das Eintrittsalter das vollendete elfte Lebensjahr ist, ungefähr der preußischen
Quarta entspricht. Unmittelbar mit den sechsstufigen Elementarschulen stehen
die dreistufigen Mittelschulen in Verbindung; sie sollen für die kommerzielle,-in¬
dustrielle und landwirtschaftliche Laufbahn vorbereiten, während die Athenäen
der Vorbereitung für gelehrte Studien und höhere Lebensberufe dienen. Eine
eigentliche Reifeprüfung für die Universität gibt es also in Belgien nicht, die
Verleihung akademischer Grade ist aber an Prüfungen geknüpft, zu denen nur
zugelassen wird, wer sich vor einer besondern alljährlich Anfang August in
Brüssel zusammentretender Jury durch ein Zeugnis über den erfolgreichen Be¬
such einer höhern Schule oder durch eine Prüfung als dazu befähigt aus¬
gewiesen hat. Das Großherzogtum Luxemburg hat siebenstufige Gymnasien,
deren unterste Stufe der preußischen Quarta entspricht, und eine sechsstufige
Industrie- und Handelsschule. Das Reifezeugnis eines Gymnasiums berechtigt
zum Besuche der oours Luxeriöurs, Lection clss löttrss, und zur Zulassung zu
den Prüfungen, auf die diese Kurse vorbereiten. Eine ähnliche Prüfung findet
bei der Industrie- und Handelsschule statt und eröffnet ebenfalls den Zutritt
zu den cours supvriöurs, ssotion ass seienoss.

Frankreich hat sein Schulwesen im Jahre 1902 neu geordnet. Danach baut
sich der höhere Unterricht, l'enMiKueinsnt sseoiulairs, auf einem vierjährigen Vor¬
schul- oder Elementarunterricht auf und zerfällt in einen untern vierstufigen und
einen obern dreistufigen Zyklus. Beide sind vielfältig gegabelt. Der erste Zyklus hat
eine lateinische Abteilung mit fakultativen Griechisch von der dritten Stufe an,


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[0632] Das höhere Schulwesen in Europa Griechisch, die neusprachliche mit Latein ohne Griechisch und die mathematisch- naturwissenschaftliche ohne Latein und Griechisch. Mit dem zum Universitäts¬ studium berechtigenden sogenannten Studentenexamen findet der Gymnasialunter¬ richt seinen Abschluß. Der Mittelschulunterricht kann nach der Abschlußprüfung in einer Realklasse fortgesetzt werden, deren Kursus mit einem Realexamen abschließt. Die Niederlande haben sechsstufige Gymnasien, deren unterste Stufe der preußischen Untertertia entspricht. In den beiden obern Stufen findet eine Art Gabelung in zwei Linien statt, wobei die eine die Stundenzahl für den alt¬ sprachig-historischen, die andre die Stundenzahl des mathematisch-naturwissen¬ schaftlichen Unterrichts verstärkt; auf beiden bleibt aber der Unterricht in Latein und Griechisch obligatorisch. Neben den Gymnasien bestehen fünfstufige höhere Bürgerschulen, in die der Eintritt mit vollendetem zwölften Lebensjahre erfolgen kann, für die aber kein gemeinsamer Lehrplan vorhanden ist. Das Abgangs¬ zeugnis einer solchen höhern Bürgerschule berechtigt zum Besuche der höhern Fachschulen, besonders des Polytechnikums in Delft, und auch zum medizinischen und pharmazeutischen Studium, jedoch ohne Promotionsberechtigung. In Belgien sind die eigentlichen höhern Schulen die siebenstufigen Athenäen, die sich in ganzklassische mit Latein und Griechisch, halbklassische mit Latein und reale ohne Latein und Griechisch scheiden, und deren untere Klasse, für die das Eintrittsalter das vollendete elfte Lebensjahr ist, ungefähr der preußischen Quarta entspricht. Unmittelbar mit den sechsstufigen Elementarschulen stehen die dreistufigen Mittelschulen in Verbindung; sie sollen für die kommerzielle,-in¬ dustrielle und landwirtschaftliche Laufbahn vorbereiten, während die Athenäen der Vorbereitung für gelehrte Studien und höhere Lebensberufe dienen. Eine eigentliche Reifeprüfung für die Universität gibt es also in Belgien nicht, die Verleihung akademischer Grade ist aber an Prüfungen geknüpft, zu denen nur zugelassen wird, wer sich vor einer besondern alljährlich Anfang August in Brüssel zusammentretender Jury durch ein Zeugnis über den erfolgreichen Be¬ such einer höhern Schule oder durch eine Prüfung als dazu befähigt aus¬ gewiesen hat. Das Großherzogtum Luxemburg hat siebenstufige Gymnasien, deren unterste Stufe der preußischen Quarta entspricht, und eine sechsstufige Industrie- und Handelsschule. Das Reifezeugnis eines Gymnasiums berechtigt zum Besuche der oours Luxeriöurs, Lection clss löttrss, und zur Zulassung zu den Prüfungen, auf die diese Kurse vorbereiten. Eine ähnliche Prüfung findet bei der Industrie- und Handelsschule statt und eröffnet ebenfalls den Zutritt zu den cours supvriöurs, ssotion ass seienoss. Frankreich hat sein Schulwesen im Jahre 1902 neu geordnet. Danach baut sich der höhere Unterricht, l'enMiKueinsnt sseoiulairs, auf einem vierjährigen Vor¬ schul- oder Elementarunterricht auf und zerfällt in einen untern vierstufigen und einen obern dreistufigen Zyklus. Beide sind vielfältig gegabelt. Der erste Zyklus hat eine lateinische Abteilung mit fakultativen Griechisch von der dritten Stufe an,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/632>, abgerufen am 24.07.2024.