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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten

Soldaten oder Befehlshaber nicht ermitteln kann oder von ihm Ersatz nicht zu
erlangen ist; dagegen haftet mir der Fiskus wieder an erster Stelle, wenn die
Schießübung bayrischer oder württembergischer Truppen in Bayern oder Württem¬
berg stattfindet, und ich hier von einer Kugel getroffen werde. Oder: Ich habe
eine vollstreckbare Wechselforderung gegen den in Berlin wohnenden A und gegen
den in Köln wohnenden B und beauftrage den Berliner Gerichtsvollzieher, die
ganze Forderung von A einzuziehen; der Gerichtsvollzieher unterschlügt aber
das eingezogne Geld. Hier bin ich, da nach Paragraph 819 der Zivilproze߬
ordnung die Leistung des Schuldners an den Gerichtsvollzieher ^als Zahlung
an den Gläubiger gilt, der Schuldner also befreit ist, um meine Forderung ge¬
kommen; denn der preußische Staat haftet mir für die Unterschlagung des Berliner
Gerichtsvollziehers nicht, ich kann mich also nur an diesen halten, von dem vor¬
aussichtlich nichts zu bekommen ist. Anders, wenn ich den Kölner Gerichts¬
vollzieher mit der Einziehung beauftragt hätte; für die von diesem verübte Unter¬
schlagung ist mir der Preußische Staat nach dem oben erwähnten Artikel 1384
des Code civil ersatzpflichtig.

Und dieselbe Verschiedenheit ergibt sich in allen Fällen, wo, wie wir an
den voraufgeführten Beispielen gezeigt haben, der Richter, der Gerichtsschreiber,
der Notar, der Polizeibeamte, der Lehrer usw. bei der Ausübung der ihnen an¬
vertrauten öffentlichen Gewalt einen Schaden zufügen.

Daß dieser Zustand weder dem Gedanken der Rechtseinheit noch den An¬
forderungen der Gerechtigkeit entspricht, liegt auf der Hand, und es wurde bei
der Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs wiederholt der Versuch gemacht, diesen
Rechtsstoff einheitlich, und zwar selbstverständlich in dem Sinne zu regeln, daß
eine Haftung des Staats (sowie der Gemeinden) für den Schaden eingeführt
werde, den Beamte bei Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt
verursachen. Alle Anträge scheiterten aber an dem Widerstreben der Reichs-
regiernng, die folgendes entgegenhielt:

Es handle sich bei der Frage nicht um eine Aufgabe des bürgerlichen
Rechts, sondern um eine solche des öffentlichen Rechts, ihre Lösung gehöre
darum nicht in das Bürgerliche Gesetzbuch, sonach auch gar nicht zur Zuständig¬
keit des Reichs, sondern zu der der Einzelstaaten. Außerdem lügen die Ver¬
hältnisse bei der Justiz und bei der Verwaltung sowie in der Zivil- und in
der Militärverwaltung ganz verschieden, und auch die Stellung der verschiednen
(höhern und untern) Beamten verlange eine verschiedne Berücksichtigung und
Würdigung. Dazu komme, daß der Staat und die Gemeinden bei der An¬
stellung nicht frei wählen könnten, vielmehr zum Beispiel Militäranwärter nach
der Reihenfolge anstellen müßten, die Beamten auch nicht beliebig, sondern nur
nach Maßgabe der Amtszuchtgesetze entlassen könnten. Die Tragweite der dem
Staat und den Gemeinden angesonnenen Haftung lasse sich gar nicht übersehen,
und namentlich könnten kleinere Gemeinden unerträglich belastet werden durch
Einführung jener Haftung. Und schließlich müßte dann der Staat auch für


Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten

Soldaten oder Befehlshaber nicht ermitteln kann oder von ihm Ersatz nicht zu
erlangen ist; dagegen haftet mir der Fiskus wieder an erster Stelle, wenn die
Schießübung bayrischer oder württembergischer Truppen in Bayern oder Württem¬
berg stattfindet, und ich hier von einer Kugel getroffen werde. Oder: Ich habe
eine vollstreckbare Wechselforderung gegen den in Berlin wohnenden A und gegen
den in Köln wohnenden B und beauftrage den Berliner Gerichtsvollzieher, die
ganze Forderung von A einzuziehen; der Gerichtsvollzieher unterschlügt aber
das eingezogne Geld. Hier bin ich, da nach Paragraph 819 der Zivilproze߬
ordnung die Leistung des Schuldners an den Gerichtsvollzieher ^als Zahlung
an den Gläubiger gilt, der Schuldner also befreit ist, um meine Forderung ge¬
kommen; denn der preußische Staat haftet mir für die Unterschlagung des Berliner
Gerichtsvollziehers nicht, ich kann mich also nur an diesen halten, von dem vor¬
aussichtlich nichts zu bekommen ist. Anders, wenn ich den Kölner Gerichts¬
vollzieher mit der Einziehung beauftragt hätte; für die von diesem verübte Unter¬
schlagung ist mir der Preußische Staat nach dem oben erwähnten Artikel 1384
des Code civil ersatzpflichtig.

Und dieselbe Verschiedenheit ergibt sich in allen Fällen, wo, wie wir an
den voraufgeführten Beispielen gezeigt haben, der Richter, der Gerichtsschreiber,
der Notar, der Polizeibeamte, der Lehrer usw. bei der Ausübung der ihnen an¬
vertrauten öffentlichen Gewalt einen Schaden zufügen.

Daß dieser Zustand weder dem Gedanken der Rechtseinheit noch den An¬
forderungen der Gerechtigkeit entspricht, liegt auf der Hand, und es wurde bei
der Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs wiederholt der Versuch gemacht, diesen
Rechtsstoff einheitlich, und zwar selbstverständlich in dem Sinne zu regeln, daß
eine Haftung des Staats (sowie der Gemeinden) für den Schaden eingeführt
werde, den Beamte bei Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt
verursachen. Alle Anträge scheiterten aber an dem Widerstreben der Reichs-
regiernng, die folgendes entgegenhielt:

Es handle sich bei der Frage nicht um eine Aufgabe des bürgerlichen
Rechts, sondern um eine solche des öffentlichen Rechts, ihre Lösung gehöre
darum nicht in das Bürgerliche Gesetzbuch, sonach auch gar nicht zur Zuständig¬
keit des Reichs, sondern zu der der Einzelstaaten. Außerdem lügen die Ver¬
hältnisse bei der Justiz und bei der Verwaltung sowie in der Zivil- und in
der Militärverwaltung ganz verschieden, und auch die Stellung der verschiednen
(höhern und untern) Beamten verlange eine verschiedne Berücksichtigung und
Würdigung. Dazu komme, daß der Staat und die Gemeinden bei der An¬
stellung nicht frei wählen könnten, vielmehr zum Beispiel Militäranwärter nach
der Reihenfolge anstellen müßten, die Beamten auch nicht beliebig, sondern nur
nach Maßgabe der Amtszuchtgesetze entlassen könnten. Die Tragweite der dem
Staat und den Gemeinden angesonnenen Haftung lasse sich gar nicht übersehen,
und namentlich könnten kleinere Gemeinden unerträglich belastet werden durch
Einführung jener Haftung. Und schließlich müßte dann der Staat auch für


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[0627] Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten Soldaten oder Befehlshaber nicht ermitteln kann oder von ihm Ersatz nicht zu erlangen ist; dagegen haftet mir der Fiskus wieder an erster Stelle, wenn die Schießübung bayrischer oder württembergischer Truppen in Bayern oder Württem¬ berg stattfindet, und ich hier von einer Kugel getroffen werde. Oder: Ich habe eine vollstreckbare Wechselforderung gegen den in Berlin wohnenden A und gegen den in Köln wohnenden B und beauftrage den Berliner Gerichtsvollzieher, die ganze Forderung von A einzuziehen; der Gerichtsvollzieher unterschlügt aber das eingezogne Geld. Hier bin ich, da nach Paragraph 819 der Zivilproze߬ ordnung die Leistung des Schuldners an den Gerichtsvollzieher ^als Zahlung an den Gläubiger gilt, der Schuldner also befreit ist, um meine Forderung ge¬ kommen; denn der preußische Staat haftet mir für die Unterschlagung des Berliner Gerichtsvollziehers nicht, ich kann mich also nur an diesen halten, von dem vor¬ aussichtlich nichts zu bekommen ist. Anders, wenn ich den Kölner Gerichts¬ vollzieher mit der Einziehung beauftragt hätte; für die von diesem verübte Unter¬ schlagung ist mir der Preußische Staat nach dem oben erwähnten Artikel 1384 des Code civil ersatzpflichtig. Und dieselbe Verschiedenheit ergibt sich in allen Fällen, wo, wie wir an den voraufgeführten Beispielen gezeigt haben, der Richter, der Gerichtsschreiber, der Notar, der Polizeibeamte, der Lehrer usw. bei der Ausübung der ihnen an¬ vertrauten öffentlichen Gewalt einen Schaden zufügen. Daß dieser Zustand weder dem Gedanken der Rechtseinheit noch den An¬ forderungen der Gerechtigkeit entspricht, liegt auf der Hand, und es wurde bei der Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs wiederholt der Versuch gemacht, diesen Rechtsstoff einheitlich, und zwar selbstverständlich in dem Sinne zu regeln, daß eine Haftung des Staats (sowie der Gemeinden) für den Schaden eingeführt werde, den Beamte bei Ausübung der ihnen anvertrauten öffentlichen Gewalt verursachen. Alle Anträge scheiterten aber an dem Widerstreben der Reichs- regiernng, die folgendes entgegenhielt: Es handle sich bei der Frage nicht um eine Aufgabe des bürgerlichen Rechts, sondern um eine solche des öffentlichen Rechts, ihre Lösung gehöre darum nicht in das Bürgerliche Gesetzbuch, sonach auch gar nicht zur Zuständig¬ keit des Reichs, sondern zu der der Einzelstaaten. Außerdem lügen die Ver¬ hältnisse bei der Justiz und bei der Verwaltung sowie in der Zivil- und in der Militärverwaltung ganz verschieden, und auch die Stellung der verschiednen (höhern und untern) Beamten verlange eine verschiedne Berücksichtigung und Würdigung. Dazu komme, daß der Staat und die Gemeinden bei der An¬ stellung nicht frei wählen könnten, vielmehr zum Beispiel Militäranwärter nach der Reihenfolge anstellen müßten, die Beamten auch nicht beliebig, sondern nur nach Maßgabe der Amtszuchtgesetze entlassen könnten. Die Tragweite der dem Staat und den Gemeinden angesonnenen Haftung lasse sich gar nicht übersehen, und namentlich könnten kleinere Gemeinden unerträglich belastet werden durch Einführung jener Haftung. Und schließlich müßte dann der Staat auch für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/627>, abgerufen am 04.07.2024.