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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten

das Versehen der Notare hasten, obwohl er doch niemand zwingen könne,
gerade zu einem bestimmten Notar zu gehn, der Rechtsuchende hier vielmehr
die freie Auswahl habe. Endlich habe der Antrag zur Folge, daß der Staat
wie die Gemeinden, um ihre Haftung zu vermindern, darauf sinnen würden,
untern Beamten die Eigenschaft als Beamten zu entziehen oder ihnen die
Pflicht vorheriger Kautionsleistung aufzulegen, ein Zustand, der wieder ungünstig
auf die weniger vermögenden Schichten der Bevölkerung zurückwirken werde.

Es ist nur zu billigen, daß man bei dieser Haltung der Neichsregierung
im Reichstag wie in der Kommission die Frage absetzte, also davon absah, zu
den zahlreichen schon vorhandnen Fragen, über die eine Einigkeit schwer zu
erreichen war, noch eine neue, überaus schwierige hinzuzufügen. Inzwischen
sind nun aber die Schwierigkeiten, die aus dem jetzigen buntscheckigen Rechts¬
zustande entstehen, so sehr hervorgetreten, daß eine gesetzgeberische Regelung
der Angelegenheit für das ganze Reich auf die Dauer nicht zu vermeiden
sein wird.

Man hat gegen die Zuständigkeit des Reiches zur Regelung unsrer Frage
eingewandt, daß die Angelegenheit nicht dem Privatrecht, sondern dem öffentlichen
Recht angehöre. Dieser EinWurf trifft aber nicht zu. Noch jetzt besteht ja, wie
oben hervorgehoben worden ist, in der preußischen Rheinprovinz die Haftung des
Staats auf Grund jenes Artikels 1384 des Code civil, der vom privatrechtlichen
Verhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragten handelt, und aus dem
Rechtsprechung und Rechtslehre eben auch die Haftung des Staats für Ver¬
schulden seiner Beamten gefolgert haben. Auch haben sämtliche Bundesstaaten,
die diese Frage überhaupt gesetzgeberisch geregelt haben, sie in den Ausführungs¬
gesetzen zum Bürgerlichen Gesetzbuch, also bei Ordnung des Privatrechts ge¬
regelt. Und schließlich ist doch auch die Haftung der Bundesstaaten und der
Gemeinden für Versehen der Grundbuchbeamten durch die Reichsgesetzgebung,
nämlich durch Paragraph 12 der Grundbuchordnung geregelt. Also verfassungs¬
rechtliche und gesetzestechnische Gründe stehn der reichsgesetzlichen Regelung
unsrer Frage nicht entgegen. Richtig ist es nun, daß die Verhältnisse der
einzelnen Beamten und Beamtenklassen durchaus verschiedenartig liegen, daß
die Haftung leicht eine schwere Belastung kleinerer Gemeinden zur Folge haben
kann, der Staat und die Gemeinden bei der Anstellung und Entlassung der
Beamten auch nicht frei gestellt sind. Allein wenn trotz dieser Auffassung
Preußen für seine Rheinprovinz, ferner Bayern, Württemberg, Baden, Hessen,
Weimar, Neuß ältere Linie und Elsaß-Lothringen jene Haftung übernommen
haben, sie auch sämtlichen Staaten und Gemeinden für ihre Grundbuchbeamten
durch Reichsgesetz auferlegt ist, so ist gar nicht abzusehen, warum diese Haftung
nicht allgemein dem Reich und sämtlichen Einzelstaaten für ihre Beamten auf¬
erlegt werden könnte; denn sind die mit der Haftung verbundnen Mißstände
in der Rheinprovinz und den einzeln aufgeführten Staaten zu überwinden, so
wird ihre Überwindung doch auch in den übrigen Staaten möglich sein.


Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten

das Versehen der Notare hasten, obwohl er doch niemand zwingen könne,
gerade zu einem bestimmten Notar zu gehn, der Rechtsuchende hier vielmehr
die freie Auswahl habe. Endlich habe der Antrag zur Folge, daß der Staat
wie die Gemeinden, um ihre Haftung zu vermindern, darauf sinnen würden,
untern Beamten die Eigenschaft als Beamten zu entziehen oder ihnen die
Pflicht vorheriger Kautionsleistung aufzulegen, ein Zustand, der wieder ungünstig
auf die weniger vermögenden Schichten der Bevölkerung zurückwirken werde.

Es ist nur zu billigen, daß man bei dieser Haltung der Neichsregierung
im Reichstag wie in der Kommission die Frage absetzte, also davon absah, zu
den zahlreichen schon vorhandnen Fragen, über die eine Einigkeit schwer zu
erreichen war, noch eine neue, überaus schwierige hinzuzufügen. Inzwischen
sind nun aber die Schwierigkeiten, die aus dem jetzigen buntscheckigen Rechts¬
zustande entstehen, so sehr hervorgetreten, daß eine gesetzgeberische Regelung
der Angelegenheit für das ganze Reich auf die Dauer nicht zu vermeiden
sein wird.

Man hat gegen die Zuständigkeit des Reiches zur Regelung unsrer Frage
eingewandt, daß die Angelegenheit nicht dem Privatrecht, sondern dem öffentlichen
Recht angehöre. Dieser EinWurf trifft aber nicht zu. Noch jetzt besteht ja, wie
oben hervorgehoben worden ist, in der preußischen Rheinprovinz die Haftung des
Staats auf Grund jenes Artikels 1384 des Code civil, der vom privatrechtlichen
Verhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragten handelt, und aus dem
Rechtsprechung und Rechtslehre eben auch die Haftung des Staats für Ver¬
schulden seiner Beamten gefolgert haben. Auch haben sämtliche Bundesstaaten,
die diese Frage überhaupt gesetzgeberisch geregelt haben, sie in den Ausführungs¬
gesetzen zum Bürgerlichen Gesetzbuch, also bei Ordnung des Privatrechts ge¬
regelt. Und schließlich ist doch auch die Haftung der Bundesstaaten und der
Gemeinden für Versehen der Grundbuchbeamten durch die Reichsgesetzgebung,
nämlich durch Paragraph 12 der Grundbuchordnung geregelt. Also verfassungs¬
rechtliche und gesetzestechnische Gründe stehn der reichsgesetzlichen Regelung
unsrer Frage nicht entgegen. Richtig ist es nun, daß die Verhältnisse der
einzelnen Beamten und Beamtenklassen durchaus verschiedenartig liegen, daß
die Haftung leicht eine schwere Belastung kleinerer Gemeinden zur Folge haben
kann, der Staat und die Gemeinden bei der Anstellung und Entlassung der
Beamten auch nicht frei gestellt sind. Allein wenn trotz dieser Auffassung
Preußen für seine Rheinprovinz, ferner Bayern, Württemberg, Baden, Hessen,
Weimar, Neuß ältere Linie und Elsaß-Lothringen jene Haftung übernommen
haben, sie auch sämtlichen Staaten und Gemeinden für ihre Grundbuchbeamten
durch Reichsgesetz auferlegt ist, so ist gar nicht abzusehen, warum diese Haftung
nicht allgemein dem Reich und sämtlichen Einzelstaaten für ihre Beamten auf¬
erlegt werden könnte; denn sind die mit der Haftung verbundnen Mißstände
in der Rheinprovinz und den einzeln aufgeführten Staaten zu überwinden, so
wird ihre Überwindung doch auch in den übrigen Staaten möglich sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/628>, abgerufen am 05.07.2024.