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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Ratholische Belletristik und Publizistik

der berüchtigten Tendenzmanier aufgerichtet werden. Diese Tugendbolde- und
Balsammenschenkultur ist die verderblichste Wucherpflanzenart in dem sozialen
Gebiete. Menschen sind es nicht, die in dieser Art Literatur auftreten, sondern
Schatten." Die Sache sei von höchster praktischer Wichtigkeit, weil diese Art
Lektüre die Jugend deluge, ihr ein falsches Bild der Welt male. Welche Art
Menschen überwiege denn unter den Verkommnen? Die seien es, "die aus
engen Verhältnissen unerfahren und unwissend in die Wirklichkeit, ins Leben
treten und der Verführung geradezu in die Arme laufen mit ihrem guten
Glauben". Johann Schweiker stellt einige Leitsätze aus, unter andern: "Sujet
für die Kunst ist jede wahre Idee, die künstlerisch darstellbar ist. Die mensch¬
lichen Ideen sind wahr, wenn sie aus den Objekten der idealen und der realen
Seinsordnung als deren getreue Abbilder stammen. Daraus ergibt sich, daß
alle sichtbaren Objekte der Kunst dienen können. Wenn nun auch alles Sicht¬
bare dargestellt werden darf, so ist es doch nicht erlaubt, alles Dargestellte
offen, zum Beispiel in Schauläden, auszustellen." Der Staat sei darum be¬
rechtigt, die Ausstellung gewisser Kunstwerke zu verbieten. Daß Kunstwerke,
die nicht öffentlich ausgestellt werden dürfen, gar keine Kunstwerke seien, müsse
ebenso bestritten werden wie etwa die Behauptung, gefährliche chemische Prä¬
parate seien wertlos. Unter den Sätzen, die von der richtigen Darstellungs¬
weise handeln, lautet der wichtigste: "Es ist somit der Realismus insofern
idealistisch, als er den Wert der Idee betont, und er ist insofern naturalistisch,
als er die Bedeutung der zutreffenden körperlichen Darstellungsform der Idee
nicht unterschätzt." Als abschreckende Beispiele verwerflicher Tendenzdichterei
werden von einem andern Mitarbeiter der Jesuit Josef Spillmann und Conrad
von Bolanden charakterisiert, als wirkliche Dichter, die historische Stoffe be¬
handelt haben, Conrad Ferdinand Meyer und Hebbel gerühmt. Der katholische
Tendenzschriftsteller habe eine ganz eigentümliche Ansicht von der Weltgeschichte.
"Von einem gewissen Zeitpunkte an ist für ihn die Geschichte auf Abwege ge¬
raten. Wo das Christentum siegt, da glaubt er noch an eine organisch-not¬
wendige Entwicklung und an das Wirkliche als das Wahre und Gute. Ist
aber das Christentum unterlegen, da hat die Geschichte einen Bruch erlitten,
da ist es nicht mit rechten Dingen zugegangen; da ist die Entwicklung auf¬
gehoben, und die Parole lautet: zurückschrauben auf den steckus ano apto.
Ein solcher Bruch in der Geschichte ist die französische Revolution, und dem
Tendenzschriftsteller schwellen die Zorncsadern, wenn er ihrer gedenkt, als ob
die Knechtung des Volkes, die Sittenlosigkeit der herrschenden Stände, die Ver¬
lotterung des ganzen Staatswesens im alten Frankreich für nichts zu achten
wären. Dieser Entrüstung verdanken wir das neueste Werk von Josef Spill¬
mann: Um das Leben einer Königin." Weiterhin heißt es: "So schreibt man
Jndianergeschichten. Einige Ähnlichkeit mit dieser Wonne unsrer Jugend hat
übrigens das vorliegende Buch auch. Die Lorbeeren Karl Mays haben unsern
Autor nicht schlafen lassen, ... der ganze Eindruck des Spillmcmnschen Werkes


Ratholische Belletristik und Publizistik

der berüchtigten Tendenzmanier aufgerichtet werden. Diese Tugendbolde- und
Balsammenschenkultur ist die verderblichste Wucherpflanzenart in dem sozialen
Gebiete. Menschen sind es nicht, die in dieser Art Literatur auftreten, sondern
Schatten." Die Sache sei von höchster praktischer Wichtigkeit, weil diese Art
Lektüre die Jugend deluge, ihr ein falsches Bild der Welt male. Welche Art
Menschen überwiege denn unter den Verkommnen? Die seien es, „die aus
engen Verhältnissen unerfahren und unwissend in die Wirklichkeit, ins Leben
treten und der Verführung geradezu in die Arme laufen mit ihrem guten
Glauben". Johann Schweiker stellt einige Leitsätze aus, unter andern: „Sujet
für die Kunst ist jede wahre Idee, die künstlerisch darstellbar ist. Die mensch¬
lichen Ideen sind wahr, wenn sie aus den Objekten der idealen und der realen
Seinsordnung als deren getreue Abbilder stammen. Daraus ergibt sich, daß
alle sichtbaren Objekte der Kunst dienen können. Wenn nun auch alles Sicht¬
bare dargestellt werden darf, so ist es doch nicht erlaubt, alles Dargestellte
offen, zum Beispiel in Schauläden, auszustellen." Der Staat sei darum be¬
rechtigt, die Ausstellung gewisser Kunstwerke zu verbieten. Daß Kunstwerke,
die nicht öffentlich ausgestellt werden dürfen, gar keine Kunstwerke seien, müsse
ebenso bestritten werden wie etwa die Behauptung, gefährliche chemische Prä¬
parate seien wertlos. Unter den Sätzen, die von der richtigen Darstellungs¬
weise handeln, lautet der wichtigste: „Es ist somit der Realismus insofern
idealistisch, als er den Wert der Idee betont, und er ist insofern naturalistisch,
als er die Bedeutung der zutreffenden körperlichen Darstellungsform der Idee
nicht unterschätzt." Als abschreckende Beispiele verwerflicher Tendenzdichterei
werden von einem andern Mitarbeiter der Jesuit Josef Spillmann und Conrad
von Bolanden charakterisiert, als wirkliche Dichter, die historische Stoffe be¬
handelt haben, Conrad Ferdinand Meyer und Hebbel gerühmt. Der katholische
Tendenzschriftsteller habe eine ganz eigentümliche Ansicht von der Weltgeschichte.
„Von einem gewissen Zeitpunkte an ist für ihn die Geschichte auf Abwege ge¬
raten. Wo das Christentum siegt, da glaubt er noch an eine organisch-not¬
wendige Entwicklung und an das Wirkliche als das Wahre und Gute. Ist
aber das Christentum unterlegen, da hat die Geschichte einen Bruch erlitten,
da ist es nicht mit rechten Dingen zugegangen; da ist die Entwicklung auf¬
gehoben, und die Parole lautet: zurückschrauben auf den steckus ano apto.
Ein solcher Bruch in der Geschichte ist die französische Revolution, und dem
Tendenzschriftsteller schwellen die Zorncsadern, wenn er ihrer gedenkt, als ob
die Knechtung des Volkes, die Sittenlosigkeit der herrschenden Stände, die Ver¬
lotterung des ganzen Staatswesens im alten Frankreich für nichts zu achten
wären. Dieser Entrüstung verdanken wir das neueste Werk von Josef Spill¬
mann: Um das Leben einer Königin." Weiterhin heißt es: „So schreibt man
Jndianergeschichten. Einige Ähnlichkeit mit dieser Wonne unsrer Jugend hat
übrigens das vorliegende Buch auch. Die Lorbeeren Karl Mays haben unsern
Autor nicht schlafen lassen, ... der ganze Eindruck des Spillmcmnschen Werkes


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[0530] Ratholische Belletristik und Publizistik der berüchtigten Tendenzmanier aufgerichtet werden. Diese Tugendbolde- und Balsammenschenkultur ist die verderblichste Wucherpflanzenart in dem sozialen Gebiete. Menschen sind es nicht, die in dieser Art Literatur auftreten, sondern Schatten." Die Sache sei von höchster praktischer Wichtigkeit, weil diese Art Lektüre die Jugend deluge, ihr ein falsches Bild der Welt male. Welche Art Menschen überwiege denn unter den Verkommnen? Die seien es, „die aus engen Verhältnissen unerfahren und unwissend in die Wirklichkeit, ins Leben treten und der Verführung geradezu in die Arme laufen mit ihrem guten Glauben". Johann Schweiker stellt einige Leitsätze aus, unter andern: „Sujet für die Kunst ist jede wahre Idee, die künstlerisch darstellbar ist. Die mensch¬ lichen Ideen sind wahr, wenn sie aus den Objekten der idealen und der realen Seinsordnung als deren getreue Abbilder stammen. Daraus ergibt sich, daß alle sichtbaren Objekte der Kunst dienen können. Wenn nun auch alles Sicht¬ bare dargestellt werden darf, so ist es doch nicht erlaubt, alles Dargestellte offen, zum Beispiel in Schauläden, auszustellen." Der Staat sei darum be¬ rechtigt, die Ausstellung gewisser Kunstwerke zu verbieten. Daß Kunstwerke, die nicht öffentlich ausgestellt werden dürfen, gar keine Kunstwerke seien, müsse ebenso bestritten werden wie etwa die Behauptung, gefährliche chemische Prä¬ parate seien wertlos. Unter den Sätzen, die von der richtigen Darstellungs¬ weise handeln, lautet der wichtigste: „Es ist somit der Realismus insofern idealistisch, als er den Wert der Idee betont, und er ist insofern naturalistisch, als er die Bedeutung der zutreffenden körperlichen Darstellungsform der Idee nicht unterschätzt." Als abschreckende Beispiele verwerflicher Tendenzdichterei werden von einem andern Mitarbeiter der Jesuit Josef Spillmann und Conrad von Bolanden charakterisiert, als wirkliche Dichter, die historische Stoffe be¬ handelt haben, Conrad Ferdinand Meyer und Hebbel gerühmt. Der katholische Tendenzschriftsteller habe eine ganz eigentümliche Ansicht von der Weltgeschichte. „Von einem gewissen Zeitpunkte an ist für ihn die Geschichte auf Abwege ge¬ raten. Wo das Christentum siegt, da glaubt er noch an eine organisch-not¬ wendige Entwicklung und an das Wirkliche als das Wahre und Gute. Ist aber das Christentum unterlegen, da hat die Geschichte einen Bruch erlitten, da ist es nicht mit rechten Dingen zugegangen; da ist die Entwicklung auf¬ gehoben, und die Parole lautet: zurückschrauben auf den steckus ano apto. Ein solcher Bruch in der Geschichte ist die französische Revolution, und dem Tendenzschriftsteller schwellen die Zorncsadern, wenn er ihrer gedenkt, als ob die Knechtung des Volkes, die Sittenlosigkeit der herrschenden Stände, die Ver¬ lotterung des ganzen Staatswesens im alten Frankreich für nichts zu achten wären. Dieser Entrüstung verdanken wir das neueste Werk von Josef Spill¬ mann: Um das Leben einer Königin." Weiterhin heißt es: „So schreibt man Jndianergeschichten. Einige Ähnlichkeit mit dieser Wonne unsrer Jugend hat übrigens das vorliegende Buch auch. Die Lorbeeren Karl Mays haben unsern Autor nicht schlafen lassen, ... der ganze Eindruck des Spillmcmnschen Werkes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/530>, abgerufen am 24.07.2024.