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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Belletristik und Publizistik

Roman I7u Livoies (der gar kein Roman sei, sondern eine Reihe von
Plaidoyers gegen die Abschaffung der kirchlichen Ehegesetzgebung) schließt mit
dem Urteil: er "ist ein Produkt des rüsoniercnden Verstandes, dessen Logik
nicht einwandfrei ist, und dessen Schlußfolgerungen uns kalt lassen wie alle
Polemik". In einem Theaterartikel finden wir eine hübsche Bemerkung über
den Naturalismus. Das Söhnlein des Referenten hat nach einem Monolog
geäußert: "Wie dumm, der spricht, und es ist doch niemand im Zimmer."
Einen Augenblick habe er daran gedacht, den Knaben zu belehren, diesen Ge¬
danken aber sogleich wieder aufgegeben, weil die Mühe umsonst gewesen sein
würde. Warum? "Nun einmal, weil das Kind die Kunst noch nicht in
ihrem höchsten Sinn, als symbolische Sprache des menschlichen Geistes, zu
fassen vermag, dann aber positiv, weil Kinder unbewußte Naturalisten sind.
Ein Kind wird einer schönen Geschichte immer eine wirkliche vorziehen. Ist
es aber richtig, daß Kinder unbewußte Naturalisten sind, so folgt daraus,
daß bewußter Naturalismus innerhalb ernster Kunst eine Kinderei ist."
Über die sehr naturalistische Rose Berndt von Gerhart Hauptmann urteilt
derselbe Rezensent: "In dem Stück wie in der Brust des Dichters sind
innere und äußere Roheit zusammengemischt mit süßlicher Sentimentalität, die
den naiven Beschauer, der sich den mit raffiniertem Geschick und unleug¬
barer Beobachtungskunst vorgeführten Lebenstatsachen hingibt, in einem bunten
Gewirr widerstreitender Gefühle hin und her wirft, aber nur nicht zu solchen
erhebt, die mit den Wirkungen echter Dichtkunst etwas gemein haben." Jörn
Abt gibt Anlaß zu einer Polemik gegen den Jesuiten Gietmann. Dieser hatte
geschrieben: "Werden Hiltys "Glück" und Frenssens Jörn Abt nicht auch
deshalb von Katholiken so viel gelesen, weil man unklugerweise die Kunst in
diesen Werken gepriesen hat? sWas hat, fragt der Hochlandrezensent, der
Begriff Kunst mit einem populär-philosophischen Buche wie "Glück" zu tun?j
Ja, unklug auch hinsichtlich des ästhetischen Wertes. Doch davon spreche ich
hier nicht. Die allgemeine Mahnung, der Leser müsse darauf gefaßt sein,
einer Weltanschauung zu begegnen, die nicht die seinige ist, hat nur Sinn,
wenn alle Leser so gescheit und so prinzipienfest sind wie der Kritiker." Das
seien sie nun aber einmal nicht. Daraus folge: "Bei den genannten Werken
und vielen andern täten die katholischen Kritiker besser zu schweigen, wenn
sie glauben, im andern Falle das Lob stark auftragen zu müssen. Es handelt
sich ja nicht um einen erheblichen Ausfall für die geistige Bildung." Der
Hochlandrezensent antwortet: "Schweigen, totschweigen! Das ist freilich eine
sehr bequeme Art der Kritik. Wenn nur nicht auch die akatholischen Kritiker
dieses Rezept bei katholischen Werken anwenden! Wie lange klagt man schon
ohnehin mit gutem Grund über das geflissentliche Totschweigen katholischer
Kunst- und Geistesarbeit auf der andern Seite, über die Geltung des Grund¬
satzes: OatlwIieÄ non löKunwr! Wenn wir von den Andersdenkenden für
unsre tüchtigen Leistungen Beachtung verlangen, dann dürfen auch wir uns
bei entsprechender Gelegenheit nicht in Schweigen hüllen, zumal da Tot-


Katholische Belletristik und Publizistik

Roman I7u Livoies (der gar kein Roman sei, sondern eine Reihe von
Plaidoyers gegen die Abschaffung der kirchlichen Ehegesetzgebung) schließt mit
dem Urteil: er „ist ein Produkt des rüsoniercnden Verstandes, dessen Logik
nicht einwandfrei ist, und dessen Schlußfolgerungen uns kalt lassen wie alle
Polemik". In einem Theaterartikel finden wir eine hübsche Bemerkung über
den Naturalismus. Das Söhnlein des Referenten hat nach einem Monolog
geäußert: „Wie dumm, der spricht, und es ist doch niemand im Zimmer."
Einen Augenblick habe er daran gedacht, den Knaben zu belehren, diesen Ge¬
danken aber sogleich wieder aufgegeben, weil die Mühe umsonst gewesen sein
würde. Warum? „Nun einmal, weil das Kind die Kunst noch nicht in
ihrem höchsten Sinn, als symbolische Sprache des menschlichen Geistes, zu
fassen vermag, dann aber positiv, weil Kinder unbewußte Naturalisten sind.
Ein Kind wird einer schönen Geschichte immer eine wirkliche vorziehen. Ist
es aber richtig, daß Kinder unbewußte Naturalisten sind, so folgt daraus,
daß bewußter Naturalismus innerhalb ernster Kunst eine Kinderei ist."
Über die sehr naturalistische Rose Berndt von Gerhart Hauptmann urteilt
derselbe Rezensent: „In dem Stück wie in der Brust des Dichters sind
innere und äußere Roheit zusammengemischt mit süßlicher Sentimentalität, die
den naiven Beschauer, der sich den mit raffiniertem Geschick und unleug¬
barer Beobachtungskunst vorgeführten Lebenstatsachen hingibt, in einem bunten
Gewirr widerstreitender Gefühle hin und her wirft, aber nur nicht zu solchen
erhebt, die mit den Wirkungen echter Dichtkunst etwas gemein haben." Jörn
Abt gibt Anlaß zu einer Polemik gegen den Jesuiten Gietmann. Dieser hatte
geschrieben: „Werden Hiltys »Glück« und Frenssens Jörn Abt nicht auch
deshalb von Katholiken so viel gelesen, weil man unklugerweise die Kunst in
diesen Werken gepriesen hat? sWas hat, fragt der Hochlandrezensent, der
Begriff Kunst mit einem populär-philosophischen Buche wie »Glück« zu tun?j
Ja, unklug auch hinsichtlich des ästhetischen Wertes. Doch davon spreche ich
hier nicht. Die allgemeine Mahnung, der Leser müsse darauf gefaßt sein,
einer Weltanschauung zu begegnen, die nicht die seinige ist, hat nur Sinn,
wenn alle Leser so gescheit und so prinzipienfest sind wie der Kritiker." Das
seien sie nun aber einmal nicht. Daraus folge: „Bei den genannten Werken
und vielen andern täten die katholischen Kritiker besser zu schweigen, wenn
sie glauben, im andern Falle das Lob stark auftragen zu müssen. Es handelt
sich ja nicht um einen erheblichen Ausfall für die geistige Bildung." Der
Hochlandrezensent antwortet: „Schweigen, totschweigen! Das ist freilich eine
sehr bequeme Art der Kritik. Wenn nur nicht auch die akatholischen Kritiker
dieses Rezept bei katholischen Werken anwenden! Wie lange klagt man schon
ohnehin mit gutem Grund über das geflissentliche Totschweigen katholischer
Kunst- und Geistesarbeit auf der andern Seite, über die Geltung des Grund¬
satzes: OatlwIieÄ non löKunwr! Wenn wir von den Andersdenkenden für
unsre tüchtigen Leistungen Beachtung verlangen, dann dürfen auch wir uns
bei entsprechender Gelegenheit nicht in Schweigen hüllen, zumal da Tot-


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[0527] Katholische Belletristik und Publizistik Roman I7u Livoies (der gar kein Roman sei, sondern eine Reihe von Plaidoyers gegen die Abschaffung der kirchlichen Ehegesetzgebung) schließt mit dem Urteil: er „ist ein Produkt des rüsoniercnden Verstandes, dessen Logik nicht einwandfrei ist, und dessen Schlußfolgerungen uns kalt lassen wie alle Polemik". In einem Theaterartikel finden wir eine hübsche Bemerkung über den Naturalismus. Das Söhnlein des Referenten hat nach einem Monolog geäußert: „Wie dumm, der spricht, und es ist doch niemand im Zimmer." Einen Augenblick habe er daran gedacht, den Knaben zu belehren, diesen Ge¬ danken aber sogleich wieder aufgegeben, weil die Mühe umsonst gewesen sein würde. Warum? „Nun einmal, weil das Kind die Kunst noch nicht in ihrem höchsten Sinn, als symbolische Sprache des menschlichen Geistes, zu fassen vermag, dann aber positiv, weil Kinder unbewußte Naturalisten sind. Ein Kind wird einer schönen Geschichte immer eine wirkliche vorziehen. Ist es aber richtig, daß Kinder unbewußte Naturalisten sind, so folgt daraus, daß bewußter Naturalismus innerhalb ernster Kunst eine Kinderei ist." Über die sehr naturalistische Rose Berndt von Gerhart Hauptmann urteilt derselbe Rezensent: „In dem Stück wie in der Brust des Dichters sind innere und äußere Roheit zusammengemischt mit süßlicher Sentimentalität, die den naiven Beschauer, der sich den mit raffiniertem Geschick und unleug¬ barer Beobachtungskunst vorgeführten Lebenstatsachen hingibt, in einem bunten Gewirr widerstreitender Gefühle hin und her wirft, aber nur nicht zu solchen erhebt, die mit den Wirkungen echter Dichtkunst etwas gemein haben." Jörn Abt gibt Anlaß zu einer Polemik gegen den Jesuiten Gietmann. Dieser hatte geschrieben: „Werden Hiltys »Glück« und Frenssens Jörn Abt nicht auch deshalb von Katholiken so viel gelesen, weil man unklugerweise die Kunst in diesen Werken gepriesen hat? sWas hat, fragt der Hochlandrezensent, der Begriff Kunst mit einem populär-philosophischen Buche wie »Glück« zu tun?j Ja, unklug auch hinsichtlich des ästhetischen Wertes. Doch davon spreche ich hier nicht. Die allgemeine Mahnung, der Leser müsse darauf gefaßt sein, einer Weltanschauung zu begegnen, die nicht die seinige ist, hat nur Sinn, wenn alle Leser so gescheit und so prinzipienfest sind wie der Kritiker." Das seien sie nun aber einmal nicht. Daraus folge: „Bei den genannten Werken und vielen andern täten die katholischen Kritiker besser zu schweigen, wenn sie glauben, im andern Falle das Lob stark auftragen zu müssen. Es handelt sich ja nicht um einen erheblichen Ausfall für die geistige Bildung." Der Hochlandrezensent antwortet: „Schweigen, totschweigen! Das ist freilich eine sehr bequeme Art der Kritik. Wenn nur nicht auch die akatholischen Kritiker dieses Rezept bei katholischen Werken anwenden! Wie lange klagt man schon ohnehin mit gutem Grund über das geflissentliche Totschweigen katholischer Kunst- und Geistesarbeit auf der andern Seite, über die Geltung des Grund¬ satzes: OatlwIieÄ non löKunwr! Wenn wir von den Andersdenkenden für unsre tüchtigen Leistungen Beachtung verlangen, dann dürfen auch wir uns bei entsprechender Gelegenheit nicht in Schweigen hüllen, zumal da Tot-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/527>, abgerufen am 24.07.2024.