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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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und wir können nicht erwarten, daß Raabe seine zarte Phöbe in den "Un¬
ruhigen Gästen" uns so hinstelle, wie Heyse das mit einer solchen Frauenfigur
getan hätte.

Warum aber, ergeht jetzt des Lesers Frage an mich, stellt er diese beiden
hier zusammen hin? Den Meisterübersetzer, dem als dem besten deutschen
Stilisten der Gegenwart Wustmann die "Sprachdummheiten" gewidmet hat,
und den Alten von Braunschweig, der unbekümmert "welcher" und "der letztere"
schreibt, wo ers richtig findet? Nur weil der eine 1830, der andre 1831 ge¬
boren wurde und beide nun Altmeisterehren genießen?

Nein, deshalb nicht. Sondern weil sich mir in diesen beiden ersten Meistern
unter unsern Alten so recht die Vielseitigkeit des deutschen Geistes zu verkörpern
scheint. Sind wir die ewige Sucherei nach "Richtungen" und den Zwang zum
Schlagwort der Zeit, das oft nur das Schlagwort der Saison war, losgeworden,
so wollen wir uns von ganzer Seele freuen, daß solcher Reichtum unser ist.
Und wir wollen ihn noch einmal und uoch einmal erwerbe", um ihn ganz zu
besitzen. An Wilhelm Naabes siebzigsten Geburtstage überreichten wir ihm ein
Album, das dreihundert Widmungen deutscher Dichter und Schriftsteller enthielt.
Zu oberst lag eine "Liebeserklärung" von Paul Heyse. Über Unterschiede des
Temperaments, der Weltanschauung, des Stils grüßte der Dichter den Dichter.
Und über den Unterschied der Generationen hin neigen wir uns vor den er¬
lauchten und geliebten Dichtern Wilhelm Raabe und Paul Heyse.


Heinrich Spiero


Eine jerienfahrt nach Brasilien
Präsident Dr. Egon Reich von

enngleich wir im ganzen nur fünf Tage im Innern gewesen waren,
so hat die Reise meinen Gesichtskreis doch wesentlich erweitert.
' Wir hatten noch eine weitere Einladung von einem Herrn Francisco
> Schmidt erhalten, der hinter der Station Rio Preto die größte
! Kaffeefacenda Brasiliens und vielleicht der Erde mit einem Be¬
stände von fünf Millionen Bäumen besitzt. Leider konnten wir dieser Einladung
nicht Folge leisten, weil allein die Hin- und Rückfahrt je vierzehn Eisenbahn¬
stunden verlangt hätte, und unser eigentlicher Reisezweck dabei allzusehr in den
Hintergrund getreten wäre.

Ich habe, die Tage in Bahia und Rio mitgerechnet, genau vier Wochen
in Mittelbrasilien zugebracht und bin selbstverständlich weit entfernt, mir nach
so kurzer Zeit ein abgeschlossenes Urteil über Land und Leute anzumaßen.
Immerhin hat es sich für mich günstig gefügt, daß ich durch einen vielseitigen


Line Fericnfahrt nach Brasilien

und wir können nicht erwarten, daß Raabe seine zarte Phöbe in den „Un¬
ruhigen Gästen" uns so hinstelle, wie Heyse das mit einer solchen Frauenfigur
getan hätte.

Warum aber, ergeht jetzt des Lesers Frage an mich, stellt er diese beiden
hier zusammen hin? Den Meisterübersetzer, dem als dem besten deutschen
Stilisten der Gegenwart Wustmann die „Sprachdummheiten" gewidmet hat,
und den Alten von Braunschweig, der unbekümmert „welcher" und „der letztere"
schreibt, wo ers richtig findet? Nur weil der eine 1830, der andre 1831 ge¬
boren wurde und beide nun Altmeisterehren genießen?

Nein, deshalb nicht. Sondern weil sich mir in diesen beiden ersten Meistern
unter unsern Alten so recht die Vielseitigkeit des deutschen Geistes zu verkörpern
scheint. Sind wir die ewige Sucherei nach „Richtungen" und den Zwang zum
Schlagwort der Zeit, das oft nur das Schlagwort der Saison war, losgeworden,
so wollen wir uns von ganzer Seele freuen, daß solcher Reichtum unser ist.
Und wir wollen ihn noch einmal und uoch einmal erwerbe», um ihn ganz zu
besitzen. An Wilhelm Naabes siebzigsten Geburtstage überreichten wir ihm ein
Album, das dreihundert Widmungen deutscher Dichter und Schriftsteller enthielt.
Zu oberst lag eine „Liebeserklärung" von Paul Heyse. Über Unterschiede des
Temperaments, der Weltanschauung, des Stils grüßte der Dichter den Dichter.
Und über den Unterschied der Generationen hin neigen wir uns vor den er¬
lauchten und geliebten Dichtern Wilhelm Raabe und Paul Heyse.


Heinrich Spiero


Eine jerienfahrt nach Brasilien
Präsident Dr. Egon Reich von

enngleich wir im ganzen nur fünf Tage im Innern gewesen waren,
so hat die Reise meinen Gesichtskreis doch wesentlich erweitert.
' Wir hatten noch eine weitere Einladung von einem Herrn Francisco
> Schmidt erhalten, der hinter der Station Rio Preto die größte
! Kaffeefacenda Brasiliens und vielleicht der Erde mit einem Be¬
stände von fünf Millionen Bäumen besitzt. Leider konnten wir dieser Einladung
nicht Folge leisten, weil allein die Hin- und Rückfahrt je vierzehn Eisenbahn¬
stunden verlangt hätte, und unser eigentlicher Reisezweck dabei allzusehr in den
Hintergrund getreten wäre.

Ich habe, die Tage in Bahia und Rio mitgerechnet, genau vier Wochen
in Mittelbrasilien zugebracht und bin selbstverständlich weit entfernt, mir nach
so kurzer Zeit ein abgeschlossenes Urteil über Land und Leute anzumaßen.
Immerhin hat es sich für mich günstig gefügt, daß ich durch einen vielseitigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/482>, abgerufen am 04.07.2024.