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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Veteranen

ist sein Horizont doch weit genug, um das ganze Land und darüber hinaus
die Welt, Gassen und Sterne zu umspannen. Wer nur die "Chronik" und den
"Hungerpastor" kennt, der lese jetzt etwa den "Horacker", das "Horn von Wanza",
den "Deutschen Adel", die "Leute aus dem Walde", und dann wird er den
"Schüdderump", für mich die Krone unter Raabes Dichtungen, liebgewinnen
und nicht wieder missen wollen.*)

In seinem jüngsten Roman "Crome Stäudlin" läßt Paul Heyse einen
Maler alter Schule einmal sagen: "Seht, Freund, darum passe ich nicht mehr
in diese Zeit, in der alles auf Stimmung aus ist, von Form und klarer Glie¬
derung niemand was wissen will, je zerflossener und verduftender alle Umrisse
desto besser. Diese Tendenz der marklosen Auflösung geht eben durch die Welt,
und ich lasse die Welt laufen, wies Gott gefällt. Nur soll man mir das Recht
nicht bestreiten, meine "Impressionen" vom Festen und Klaren und Organischen
zu empfangen, wie ichs in meinem gelobten Lande erlebe."**) Da haben wir
wieder den Impressionismus, von dem auch diese Betrachtung ausging, und ich
gehe kaum fehl, wenn ich in diesen Malerwvrten ein Bekenntnis des Dichters
Heyse sehe; ja ich möchte meinen, mit um unerschrocken dies zu sagen, hat
der Roman seinen Weg in die Welt angetreten. Auch früher schon hat ja
Paul Heyse seiner Gegnerschaft gegen die Moderne kein Hehl gehabt, und wenn
Raabe stillschwieg, hat er, besonders im "Merlin", scharfe Waffen geschleudert.
Freilich hatte man ihn auch in der ersten Zeit so undankbar, so abschätzig be¬
handelt wie wenige -- vielleicht deshalb, weil er so viele Erfolge gehabt hatte,
von der Gunst eines großen Publikums seit vielen Jahren getragen war. Heyse
ist einer der wenigen Dichter, denen so frühe Gunst zufiel und verblieb. Und
seiner allgemeinen Geltung konnte auch der Sturm und Drang nicht viel an¬
haben. So möchte es scheinen, als ob an ihm nichts gut zu machen wäre, als
ob man ihn immer und heut richtig eingeschätzt habe.

Dennoch ist dem nach meinem Gefühl nicht so. Heyse der Novellist, so
tönte und tönt es unaufhörlich. Und wer, der für die konzentrierte Form der
Novelle in ihrer besondern ästhetischen Artung Sinn hat, wird dies Urteil nicht
unterschreiben, das in der Prägung jener Formel liegt. Da werden "Unvergeß-
bare Worte" wach, der letzte Centaur trabt einher, und Frauengestalten von
holdesten Reiz treten uns vor die Sinne. In einer durch Schönheit und




Ich benutze die Gelegenheit, um auf die fein abwägende und von herzlicher Liebe er¬
füllte Schrift Hans Hoffmanns über Wilhelm Raabe hinzuweisen, die soeben bei Schuster
Löffler in Berlin und Leipzig erschienen ist (Die Dichtung, Band 44).
Man vergleiche damit auch folgende Stelle in einem Hevsischen Briefe an Moritz Lazarus:
"Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, auch das Häßliche in seiner bösesten Gestalt, der reine Sieg
des Tierischen über das Menschliche, müsse wenigstens einmal sich geltend machen, um das
Weltbild zu kompletteren. Nun bin ich aber zu der Überzeugung zurückgekehrt, die immer meiner
Natur gemäß war, daß es genug sei, daran zu erinnern, ohne es zu zeigen." (M. Lazarus Lebens¬
erinnerungen, S. 74.)
Zwei Veteranen

ist sein Horizont doch weit genug, um das ganze Land und darüber hinaus
die Welt, Gassen und Sterne zu umspannen. Wer nur die „Chronik" und den
„Hungerpastor" kennt, der lese jetzt etwa den „Horacker", das „Horn von Wanza",
den „Deutschen Adel", die „Leute aus dem Walde", und dann wird er den
„Schüdderump", für mich die Krone unter Raabes Dichtungen, liebgewinnen
und nicht wieder missen wollen.*)

In seinem jüngsten Roman „Crome Stäudlin" läßt Paul Heyse einen
Maler alter Schule einmal sagen: „Seht, Freund, darum passe ich nicht mehr
in diese Zeit, in der alles auf Stimmung aus ist, von Form und klarer Glie¬
derung niemand was wissen will, je zerflossener und verduftender alle Umrisse
desto besser. Diese Tendenz der marklosen Auflösung geht eben durch die Welt,
und ich lasse die Welt laufen, wies Gott gefällt. Nur soll man mir das Recht
nicht bestreiten, meine »Impressionen« vom Festen und Klaren und Organischen
zu empfangen, wie ichs in meinem gelobten Lande erlebe."**) Da haben wir
wieder den Impressionismus, von dem auch diese Betrachtung ausging, und ich
gehe kaum fehl, wenn ich in diesen Malerwvrten ein Bekenntnis des Dichters
Heyse sehe; ja ich möchte meinen, mit um unerschrocken dies zu sagen, hat
der Roman seinen Weg in die Welt angetreten. Auch früher schon hat ja
Paul Heyse seiner Gegnerschaft gegen die Moderne kein Hehl gehabt, und wenn
Raabe stillschwieg, hat er, besonders im „Merlin", scharfe Waffen geschleudert.
Freilich hatte man ihn auch in der ersten Zeit so undankbar, so abschätzig be¬
handelt wie wenige — vielleicht deshalb, weil er so viele Erfolge gehabt hatte,
von der Gunst eines großen Publikums seit vielen Jahren getragen war. Heyse
ist einer der wenigen Dichter, denen so frühe Gunst zufiel und verblieb. Und
seiner allgemeinen Geltung konnte auch der Sturm und Drang nicht viel an¬
haben. So möchte es scheinen, als ob an ihm nichts gut zu machen wäre, als
ob man ihn immer und heut richtig eingeschätzt habe.

Dennoch ist dem nach meinem Gefühl nicht so. Heyse der Novellist, so
tönte und tönt es unaufhörlich. Und wer, der für die konzentrierte Form der
Novelle in ihrer besondern ästhetischen Artung Sinn hat, wird dies Urteil nicht
unterschreiben, das in der Prägung jener Formel liegt. Da werden „Unvergeß-
bare Worte" wach, der letzte Centaur trabt einher, und Frauengestalten von
holdesten Reiz treten uns vor die Sinne. In einer durch Schönheit und




Ich benutze die Gelegenheit, um auf die fein abwägende und von herzlicher Liebe er¬
füllte Schrift Hans Hoffmanns über Wilhelm Raabe hinzuweisen, die soeben bei Schuster
Löffler in Berlin und Leipzig erschienen ist (Die Dichtung, Band 44).
Man vergleiche damit auch folgende Stelle in einem Hevsischen Briefe an Moritz Lazarus:
„Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, auch das Häßliche in seiner bösesten Gestalt, der reine Sieg
des Tierischen über das Menschliche, müsse wenigstens einmal sich geltend machen, um das
Weltbild zu kompletteren. Nun bin ich aber zu der Überzeugung zurückgekehrt, die immer meiner
Natur gemäß war, daß es genug sei, daran zu erinnern, ohne es zu zeigen." (M. Lazarus Lebens¬
erinnerungen, S. 74.)
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[0480] Zwei Veteranen ist sein Horizont doch weit genug, um das ganze Land und darüber hinaus die Welt, Gassen und Sterne zu umspannen. Wer nur die „Chronik" und den „Hungerpastor" kennt, der lese jetzt etwa den „Horacker", das „Horn von Wanza", den „Deutschen Adel", die „Leute aus dem Walde", und dann wird er den „Schüdderump", für mich die Krone unter Raabes Dichtungen, liebgewinnen und nicht wieder missen wollen.*) In seinem jüngsten Roman „Crome Stäudlin" läßt Paul Heyse einen Maler alter Schule einmal sagen: „Seht, Freund, darum passe ich nicht mehr in diese Zeit, in der alles auf Stimmung aus ist, von Form und klarer Glie¬ derung niemand was wissen will, je zerflossener und verduftender alle Umrisse desto besser. Diese Tendenz der marklosen Auflösung geht eben durch die Welt, und ich lasse die Welt laufen, wies Gott gefällt. Nur soll man mir das Recht nicht bestreiten, meine »Impressionen« vom Festen und Klaren und Organischen zu empfangen, wie ichs in meinem gelobten Lande erlebe."**) Da haben wir wieder den Impressionismus, von dem auch diese Betrachtung ausging, und ich gehe kaum fehl, wenn ich in diesen Malerwvrten ein Bekenntnis des Dichters Heyse sehe; ja ich möchte meinen, mit um unerschrocken dies zu sagen, hat der Roman seinen Weg in die Welt angetreten. Auch früher schon hat ja Paul Heyse seiner Gegnerschaft gegen die Moderne kein Hehl gehabt, und wenn Raabe stillschwieg, hat er, besonders im „Merlin", scharfe Waffen geschleudert. Freilich hatte man ihn auch in der ersten Zeit so undankbar, so abschätzig be¬ handelt wie wenige — vielleicht deshalb, weil er so viele Erfolge gehabt hatte, von der Gunst eines großen Publikums seit vielen Jahren getragen war. Heyse ist einer der wenigen Dichter, denen so frühe Gunst zufiel und verblieb. Und seiner allgemeinen Geltung konnte auch der Sturm und Drang nicht viel an¬ haben. So möchte es scheinen, als ob an ihm nichts gut zu machen wäre, als ob man ihn immer und heut richtig eingeschätzt habe. Dennoch ist dem nach meinem Gefühl nicht so. Heyse der Novellist, so tönte und tönt es unaufhörlich. Und wer, der für die konzentrierte Form der Novelle in ihrer besondern ästhetischen Artung Sinn hat, wird dies Urteil nicht unterschreiben, das in der Prägung jener Formel liegt. Da werden „Unvergeß- bare Worte" wach, der letzte Centaur trabt einher, und Frauengestalten von holdesten Reiz treten uns vor die Sinne. In einer durch Schönheit und Ich benutze die Gelegenheit, um auf die fein abwägende und von herzlicher Liebe er¬ füllte Schrift Hans Hoffmanns über Wilhelm Raabe hinzuweisen, die soeben bei Schuster Löffler in Berlin und Leipzig erschienen ist (Die Dichtung, Band 44). Man vergleiche damit auch folgende Stelle in einem Hevsischen Briefe an Moritz Lazarus: „Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, auch das Häßliche in seiner bösesten Gestalt, der reine Sieg des Tierischen über das Menschliche, müsse wenigstens einmal sich geltend machen, um das Weltbild zu kompletteren. Nun bin ich aber zu der Überzeugung zurückgekehrt, die immer meiner Natur gemäß war, daß es genug sei, daran zu erinnern, ohne es zu zeigen." (M. Lazarus Lebens¬ erinnerungen, S. 74.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/480>, abgerufen am 04.07.2024.