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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Raynal und Arbeit in den Vereinigten Staaten

Großkapital den mittlern und Kleinbesitz aufkauft, und daß das Brotkorn
nur noch auf Niesenfarmcn gebant wird, die mit Riesemnaschinen bestellt und
abgeerntet werden. Das Großkapital, das ja ein unpersönliches Ding ist,
wird dann den Kuckuck nach dem Schicksal des weißen Arbeiters, nach Rassen-
Verbesserung und nationaler Ehre fragen, sondern es wird ohne sentimentale
Bedenken schwarze und gelbe Kukis verwenden. Hüglige und bergige Gegenden,
deren Taler bei uns in Deutschland die stattlichsten Bauerndörfer hegen,
werden, weil sie sich für den Maschinenbetrieb nicht eignen, einfach wüst gelassen
werden.

Die Vereinigten Staaten, schreibt Sombart, "sind das Land höchster
kapitalistischer Entwicklung; ihre wirtschaftliche Organisation stellt also unsre
Zukunft dar". So viel wenigstens sehen nur: England ist mit dieser Ent¬
wicklung vorangegangen, ist dann von den Vereinigten Staaten überboten
worden, und wir Deutschen bemühen uns so rasch wie möglich nachzufolgen.
Wir haben im 6. Heft vernommen, wie Professor Dove den Unsegen des
Goldes und der Diamanten verwünscht, der an der ungleichmäßigen und
widernatürlichen Besiedlung Südafrikas schuld sei, und wie er hofft, diese Wer-
irrung werde vorübergehn. Als ob es sich um eine vorübergehende lokale
Verirrung handelte und nicht vielmehr um eine Erscheinung, die überall mit
Notwendigkeit hervortritt, wo der kapitalistische Geist herrscht, die dem englisch-
amerikanischen Leben das Gepräge gibt, und die auch unser deutsches Vater¬
land umzuwälzen beginnt. Wo immer der kapitalistische Geist seine Knospen¬
hülle durchbrochen hat, da verliert der landwirtschaftliche Grundbesitz für den
Durchschnittsmenschen seinen innern Wert. Was jenen den frühern Ge¬
schlechtern teuer gemacht hat und einzelnen "rückständigen" Seelen noch heute
teuer macht: die Arbeit in freier Luft und in Gottes schöner Natur, die ab¬
wechslungsreiche Beschäftigung mit lauter erfreulichen Gegenständen, mit
duftenden Heu, vollen Ähren, prangenden Blüten, köstlichen Früchten, gemüt¬
lichen Haustieren, der Stolz des Besitzers auf das kleine Reich, das er be¬
herrscht, die Bewegungsfreiheit und Freiheit von konventionellem Zwange, die
er und alle seine Hausgenossen genießen, die freilich mit der Bindung an den
Ort erkauft werden muß, das Bewußtsein des Landmanns, daß er der einzige
ist, dessen Arbeit unbedingt und unter allen Umständen notwendig ist, der
einzige im edelsten wirtschaftlichen Sinne produktive, dessen Erzeugnisse sämt¬
lich notwendig, nützlich und angenehm sind, sodaß keinem einzigen der Makel
möglicher Verderblichkeit oder Schädlichkeit anhaftet, das Bewußtsein, auf der
von den Vätern ererbten Scholle zu sitzen und das Werk der Väter zum
Heile des Vaterlands und der Volksgenossen in immer vollkommnerer Weise
weiterzuführen -- das alles gilt, das alles zieht nicht mehr. Der kapitalistische
Mensch rennt allemal dorthin, wo ein Taler mehr Gewinn winkt. Ist es
eine Schuhwichsefabrik, so läßt er seinen Heuboden und seine Milchkühe, seine
Obstbäume und Weinstöcke, läßt er Haus und Hof im Stich und fabriziert


Raynal und Arbeit in den Vereinigten Staaten

Großkapital den mittlern und Kleinbesitz aufkauft, und daß das Brotkorn
nur noch auf Niesenfarmcn gebant wird, die mit Riesemnaschinen bestellt und
abgeerntet werden. Das Großkapital, das ja ein unpersönliches Ding ist,
wird dann den Kuckuck nach dem Schicksal des weißen Arbeiters, nach Rassen-
Verbesserung und nationaler Ehre fragen, sondern es wird ohne sentimentale
Bedenken schwarze und gelbe Kukis verwenden. Hüglige und bergige Gegenden,
deren Taler bei uns in Deutschland die stattlichsten Bauerndörfer hegen,
werden, weil sie sich für den Maschinenbetrieb nicht eignen, einfach wüst gelassen
werden.

Die Vereinigten Staaten, schreibt Sombart, „sind das Land höchster
kapitalistischer Entwicklung; ihre wirtschaftliche Organisation stellt also unsre
Zukunft dar". So viel wenigstens sehen nur: England ist mit dieser Ent¬
wicklung vorangegangen, ist dann von den Vereinigten Staaten überboten
worden, und wir Deutschen bemühen uns so rasch wie möglich nachzufolgen.
Wir haben im 6. Heft vernommen, wie Professor Dove den Unsegen des
Goldes und der Diamanten verwünscht, der an der ungleichmäßigen und
widernatürlichen Besiedlung Südafrikas schuld sei, und wie er hofft, diese Wer-
irrung werde vorübergehn. Als ob es sich um eine vorübergehende lokale
Verirrung handelte und nicht vielmehr um eine Erscheinung, die überall mit
Notwendigkeit hervortritt, wo der kapitalistische Geist herrscht, die dem englisch-
amerikanischen Leben das Gepräge gibt, und die auch unser deutsches Vater¬
land umzuwälzen beginnt. Wo immer der kapitalistische Geist seine Knospen¬
hülle durchbrochen hat, da verliert der landwirtschaftliche Grundbesitz für den
Durchschnittsmenschen seinen innern Wert. Was jenen den frühern Ge¬
schlechtern teuer gemacht hat und einzelnen „rückständigen" Seelen noch heute
teuer macht: die Arbeit in freier Luft und in Gottes schöner Natur, die ab¬
wechslungsreiche Beschäftigung mit lauter erfreulichen Gegenständen, mit
duftenden Heu, vollen Ähren, prangenden Blüten, köstlichen Früchten, gemüt¬
lichen Haustieren, der Stolz des Besitzers auf das kleine Reich, das er be¬
herrscht, die Bewegungsfreiheit und Freiheit von konventionellem Zwange, die
er und alle seine Hausgenossen genießen, die freilich mit der Bindung an den
Ort erkauft werden muß, das Bewußtsein des Landmanns, daß er der einzige
ist, dessen Arbeit unbedingt und unter allen Umständen notwendig ist, der
einzige im edelsten wirtschaftlichen Sinne produktive, dessen Erzeugnisse sämt¬
lich notwendig, nützlich und angenehm sind, sodaß keinem einzigen der Makel
möglicher Verderblichkeit oder Schädlichkeit anhaftet, das Bewußtsein, auf der
von den Vätern ererbten Scholle zu sitzen und das Werk der Väter zum
Heile des Vaterlands und der Volksgenossen in immer vollkommnerer Weise
weiterzuführen — das alles gilt, das alles zieht nicht mehr. Der kapitalistische
Mensch rennt allemal dorthin, wo ein Taler mehr Gewinn winkt. Ist es
eine Schuhwichsefabrik, so läßt er seinen Heuboden und seine Milchkühe, seine
Obstbäume und Weinstöcke, läßt er Haus und Hof im Stich und fabriziert


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[0472] Raynal und Arbeit in den Vereinigten Staaten Großkapital den mittlern und Kleinbesitz aufkauft, und daß das Brotkorn nur noch auf Niesenfarmcn gebant wird, die mit Riesemnaschinen bestellt und abgeerntet werden. Das Großkapital, das ja ein unpersönliches Ding ist, wird dann den Kuckuck nach dem Schicksal des weißen Arbeiters, nach Rassen- Verbesserung und nationaler Ehre fragen, sondern es wird ohne sentimentale Bedenken schwarze und gelbe Kukis verwenden. Hüglige und bergige Gegenden, deren Taler bei uns in Deutschland die stattlichsten Bauerndörfer hegen, werden, weil sie sich für den Maschinenbetrieb nicht eignen, einfach wüst gelassen werden. Die Vereinigten Staaten, schreibt Sombart, „sind das Land höchster kapitalistischer Entwicklung; ihre wirtschaftliche Organisation stellt also unsre Zukunft dar". So viel wenigstens sehen nur: England ist mit dieser Ent¬ wicklung vorangegangen, ist dann von den Vereinigten Staaten überboten worden, und wir Deutschen bemühen uns so rasch wie möglich nachzufolgen. Wir haben im 6. Heft vernommen, wie Professor Dove den Unsegen des Goldes und der Diamanten verwünscht, der an der ungleichmäßigen und widernatürlichen Besiedlung Südafrikas schuld sei, und wie er hofft, diese Wer- irrung werde vorübergehn. Als ob es sich um eine vorübergehende lokale Verirrung handelte und nicht vielmehr um eine Erscheinung, die überall mit Notwendigkeit hervortritt, wo der kapitalistische Geist herrscht, die dem englisch- amerikanischen Leben das Gepräge gibt, und die auch unser deutsches Vater¬ land umzuwälzen beginnt. Wo immer der kapitalistische Geist seine Knospen¬ hülle durchbrochen hat, da verliert der landwirtschaftliche Grundbesitz für den Durchschnittsmenschen seinen innern Wert. Was jenen den frühern Ge¬ schlechtern teuer gemacht hat und einzelnen „rückständigen" Seelen noch heute teuer macht: die Arbeit in freier Luft und in Gottes schöner Natur, die ab¬ wechslungsreiche Beschäftigung mit lauter erfreulichen Gegenständen, mit duftenden Heu, vollen Ähren, prangenden Blüten, köstlichen Früchten, gemüt¬ lichen Haustieren, der Stolz des Besitzers auf das kleine Reich, das er be¬ herrscht, die Bewegungsfreiheit und Freiheit von konventionellem Zwange, die er und alle seine Hausgenossen genießen, die freilich mit der Bindung an den Ort erkauft werden muß, das Bewußtsein des Landmanns, daß er der einzige ist, dessen Arbeit unbedingt und unter allen Umständen notwendig ist, der einzige im edelsten wirtschaftlichen Sinne produktive, dessen Erzeugnisse sämt¬ lich notwendig, nützlich und angenehm sind, sodaß keinem einzigen der Makel möglicher Verderblichkeit oder Schädlichkeit anhaftet, das Bewußtsein, auf der von den Vätern ererbten Scholle zu sitzen und das Werk der Väter zum Heile des Vaterlands und der Volksgenossen in immer vollkommnerer Weise weiterzuführen — das alles gilt, das alles zieht nicht mehr. Der kapitalistische Mensch rennt allemal dorthin, wo ein Taler mehr Gewinn winkt. Ist es eine Schuhwichsefabrik, so läßt er seinen Heuboden und seine Milchkühe, seine Obstbäume und Weinstöcke, läßt er Haus und Hof im Stich und fabriziert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/472>, abgerufen am 04.07.2024.