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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Kapital und Arbeit in den vereinigten Staaten

amerikanische Arbeiter lebt behaglich, und "an Roastbeef und Apple-Pie zer¬
schellen alle sozialistischen Utopien". Und er spekuliert; ja er verbindet sich mit
dem Unternehmer zu gemeinsamer Ausbeutung des Publikums. (Wenn es aber
in den Vereinigten Staaten außer Arbeitern und kapitalistischen Unternehmern
niemand mehr gibt, wo steckt denn dn noch ein Publikum als Objekt für Aus¬
beutung? Es läßt sich freilich denken, daß man einander gegenseitig übers Ohr
haut, und daß ein jeder abwechselnd die Rolle des Ausbeuters und die des
Opfers spielt.) Gehts einem tüchtigen Arbeiter wirklich einmal schlecht, so -- kann
er dem drohenden Elend ausweichen, kaun sich dem Drucke des Kapitals ent¬
ziehen: es winkt ihm "die freie Heimstätte im unbesiedelten Westen. Ich glaube
in der Tat, in diesem Umstände, daß praktisch beliebig viele Menschen mit
gesunden Gliedern ohne oder fast ohne jedes Vermögen durch die Ansiedlung
auf Freiland sich zu unabhängigen Bauern machen konnten, liegt vor allem
die Erklärung für die eigenartige friedsame Stimmung des amerikanischen
Arbeiters." So ists; und es folgt daraus zugleich, daß diese Stimmung
gründlich ins Gegenteil umschlagen wird, wenn erst einmal der letzte Acre
besiedelt sein wird, was, wie alles in Amerika, bei der dortigen liederlichen
Raubwirtschaft viel früher geschehen wird, als es zu geschehen brauchte.

Man kann nicht oft genug wiederholen, daß es der Bodenreichtum allein
ist, der Besitz eines ungeheuer großen, fruchtbaren, mit den herrlichsten Gaben
und Schätzen der Natur ausgestatteten Landes, was die Vereinigten Staaten
zum reichsten und glücklichsten Staate der Erde und zum Lande der unbe¬
grenzten Möglichkeiten gemacht hat. Selbstverständlich setzt die Benutzung der
Bodenschätze, die Verwirklichung aller Möglichkeiten, die dieser geräumige
halbe Erdteil darbietet, ein tüchtiges Volk voraus. Hütten statt der energischen
und findigen West- und Mitteleuropäer apathische Russen die Neue Welt be¬
siedelt, so würden sie nnr eine neue Auflage ihres heimischen Elends zustande
gebracht haben; wobei jedoch zu beachten ist, daß Nordamerika von Klima,
Bodengestalt und Lage weit mehr begünstigt ist als Rußland, und daß vielleicht
der jahrhundertelange Aufenthalt in dein einförmigen und wenig Anregungen
bietenden Lande die ursprüngliche Regsamkeit des Volkes gelähmt hat. Nun
hat aber diese fröhliche und energische Bevölkerung des neuen Erdteils mit
der Unbedachtheit der Jugend zu rasch gelebt und gerade die Grundlage alles
nationalen Gedeihens, die bäuerliche Bewirtschaftung des Landes, nahezu
zerstört. Verlockt von dem größern und rascher zu erlangenden Gewinn, den
Industrie und Spekulation ermöglichen, hat sie sich nicht einmal Zeit ge¬
nommen, das Land vollständig zu besiedeln, sich nicht Zeit genommen, vom
Raubbau zum intensiven Kleinbetrieb überzugehn, sondern sich über Kopf und
Hals in die gewiunreichern Erwerbsarten gestürzt und ist so, wie es Sombcirt
beschreibt, durch und durch kapitalistisch gewordcu. Bei fortdauernder Herr¬
schaft des kapitalistischen Geistes aber kann es nicht ausbleiben -- der An¬
fang dazu ist ja schon seit dreißig Jahren gemacht worden --, daß das


Kapital und Arbeit in den vereinigten Staaten

amerikanische Arbeiter lebt behaglich, und „an Roastbeef und Apple-Pie zer¬
schellen alle sozialistischen Utopien". Und er spekuliert; ja er verbindet sich mit
dem Unternehmer zu gemeinsamer Ausbeutung des Publikums. (Wenn es aber
in den Vereinigten Staaten außer Arbeitern und kapitalistischen Unternehmern
niemand mehr gibt, wo steckt denn dn noch ein Publikum als Objekt für Aus¬
beutung? Es läßt sich freilich denken, daß man einander gegenseitig übers Ohr
haut, und daß ein jeder abwechselnd die Rolle des Ausbeuters und die des
Opfers spielt.) Gehts einem tüchtigen Arbeiter wirklich einmal schlecht, so — kann
er dem drohenden Elend ausweichen, kaun sich dem Drucke des Kapitals ent¬
ziehen: es winkt ihm „die freie Heimstätte im unbesiedelten Westen. Ich glaube
in der Tat, in diesem Umstände, daß praktisch beliebig viele Menschen mit
gesunden Gliedern ohne oder fast ohne jedes Vermögen durch die Ansiedlung
auf Freiland sich zu unabhängigen Bauern machen konnten, liegt vor allem
die Erklärung für die eigenartige friedsame Stimmung des amerikanischen
Arbeiters." So ists; und es folgt daraus zugleich, daß diese Stimmung
gründlich ins Gegenteil umschlagen wird, wenn erst einmal der letzte Acre
besiedelt sein wird, was, wie alles in Amerika, bei der dortigen liederlichen
Raubwirtschaft viel früher geschehen wird, als es zu geschehen brauchte.

Man kann nicht oft genug wiederholen, daß es der Bodenreichtum allein
ist, der Besitz eines ungeheuer großen, fruchtbaren, mit den herrlichsten Gaben
und Schätzen der Natur ausgestatteten Landes, was die Vereinigten Staaten
zum reichsten und glücklichsten Staate der Erde und zum Lande der unbe¬
grenzten Möglichkeiten gemacht hat. Selbstverständlich setzt die Benutzung der
Bodenschätze, die Verwirklichung aller Möglichkeiten, die dieser geräumige
halbe Erdteil darbietet, ein tüchtiges Volk voraus. Hütten statt der energischen
und findigen West- und Mitteleuropäer apathische Russen die Neue Welt be¬
siedelt, so würden sie nnr eine neue Auflage ihres heimischen Elends zustande
gebracht haben; wobei jedoch zu beachten ist, daß Nordamerika von Klima,
Bodengestalt und Lage weit mehr begünstigt ist als Rußland, und daß vielleicht
der jahrhundertelange Aufenthalt in dein einförmigen und wenig Anregungen
bietenden Lande die ursprüngliche Regsamkeit des Volkes gelähmt hat. Nun
hat aber diese fröhliche und energische Bevölkerung des neuen Erdteils mit
der Unbedachtheit der Jugend zu rasch gelebt und gerade die Grundlage alles
nationalen Gedeihens, die bäuerliche Bewirtschaftung des Landes, nahezu
zerstört. Verlockt von dem größern und rascher zu erlangenden Gewinn, den
Industrie und Spekulation ermöglichen, hat sie sich nicht einmal Zeit ge¬
nommen, das Land vollständig zu besiedeln, sich nicht Zeit genommen, vom
Raubbau zum intensiven Kleinbetrieb überzugehn, sondern sich über Kopf und
Hals in die gewiunreichern Erwerbsarten gestürzt und ist so, wie es Sombcirt
beschreibt, durch und durch kapitalistisch gewordcu. Bei fortdauernder Herr¬
schaft des kapitalistischen Geistes aber kann es nicht ausbleiben — der An¬
fang dazu ist ja schon seit dreißig Jahren gemacht worden —, daß das


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[0471] Kapital und Arbeit in den vereinigten Staaten amerikanische Arbeiter lebt behaglich, und „an Roastbeef und Apple-Pie zer¬ schellen alle sozialistischen Utopien". Und er spekuliert; ja er verbindet sich mit dem Unternehmer zu gemeinsamer Ausbeutung des Publikums. (Wenn es aber in den Vereinigten Staaten außer Arbeitern und kapitalistischen Unternehmern niemand mehr gibt, wo steckt denn dn noch ein Publikum als Objekt für Aus¬ beutung? Es läßt sich freilich denken, daß man einander gegenseitig übers Ohr haut, und daß ein jeder abwechselnd die Rolle des Ausbeuters und die des Opfers spielt.) Gehts einem tüchtigen Arbeiter wirklich einmal schlecht, so — kann er dem drohenden Elend ausweichen, kaun sich dem Drucke des Kapitals ent¬ ziehen: es winkt ihm „die freie Heimstätte im unbesiedelten Westen. Ich glaube in der Tat, in diesem Umstände, daß praktisch beliebig viele Menschen mit gesunden Gliedern ohne oder fast ohne jedes Vermögen durch die Ansiedlung auf Freiland sich zu unabhängigen Bauern machen konnten, liegt vor allem die Erklärung für die eigenartige friedsame Stimmung des amerikanischen Arbeiters." So ists; und es folgt daraus zugleich, daß diese Stimmung gründlich ins Gegenteil umschlagen wird, wenn erst einmal der letzte Acre besiedelt sein wird, was, wie alles in Amerika, bei der dortigen liederlichen Raubwirtschaft viel früher geschehen wird, als es zu geschehen brauchte. Man kann nicht oft genug wiederholen, daß es der Bodenreichtum allein ist, der Besitz eines ungeheuer großen, fruchtbaren, mit den herrlichsten Gaben und Schätzen der Natur ausgestatteten Landes, was die Vereinigten Staaten zum reichsten und glücklichsten Staate der Erde und zum Lande der unbe¬ grenzten Möglichkeiten gemacht hat. Selbstverständlich setzt die Benutzung der Bodenschätze, die Verwirklichung aller Möglichkeiten, die dieser geräumige halbe Erdteil darbietet, ein tüchtiges Volk voraus. Hütten statt der energischen und findigen West- und Mitteleuropäer apathische Russen die Neue Welt be¬ siedelt, so würden sie nnr eine neue Auflage ihres heimischen Elends zustande gebracht haben; wobei jedoch zu beachten ist, daß Nordamerika von Klima, Bodengestalt und Lage weit mehr begünstigt ist als Rußland, und daß vielleicht der jahrhundertelange Aufenthalt in dein einförmigen und wenig Anregungen bietenden Lande die ursprüngliche Regsamkeit des Volkes gelähmt hat. Nun hat aber diese fröhliche und energische Bevölkerung des neuen Erdteils mit der Unbedachtheit der Jugend zu rasch gelebt und gerade die Grundlage alles nationalen Gedeihens, die bäuerliche Bewirtschaftung des Landes, nahezu zerstört. Verlockt von dem größern und rascher zu erlangenden Gewinn, den Industrie und Spekulation ermöglichen, hat sie sich nicht einmal Zeit ge¬ nommen, das Land vollständig zu besiedeln, sich nicht Zeit genommen, vom Raubbau zum intensiven Kleinbetrieb überzugehn, sondern sich über Kopf und Hals in die gewiunreichern Erwerbsarten gestürzt und ist so, wie es Sombcirt beschreibt, durch und durch kapitalistisch gewordcu. Bei fortdauernder Herr¬ schaft des kapitalistischen Geistes aber kann es nicht ausbleiben — der An¬ fang dazu ist ja schon seit dreißig Jahren gemacht worden —, daß das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/471>, abgerufen am 04.07.2024.