Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.an gewerkschaftlichen Organisationen gefehlt. Daß es keine davon zu politischem an gewerkschaftlichen Organisationen gefehlt. Daß es keine davon zu politischem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301723"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1759" prev="#ID_1758" next="#ID_1760"> an gewerkschaftlichen Organisationen gefehlt. Daß es keine davon zu politischem<lb/> Einfluß gebracht hat, erklärt Sombart aus dem politischen Getriebe der Ver¬<lb/> einigten Staaten, Je freier dessen Bürger im Sinne des vulgären politischen<lb/> Liberalismus sind, das heißt, je mehr sie zu wählen und zu wühlen haben<lb/> (durchschnittlich zweiundzwanzigmal im Jahre wählt der glückliche Inhaber<lb/> eines Sonverünitütspartikelchens), desto mehr wird die ganze Wählerei, berlinisch<lb/> zu sprechen, reiner Mumpitz, und zwar meist ein recht unsaubrer Mumpitz,<lb/> lind die beiden politischen Parteien, neben denen keine andre aufkommen kann,<lb/> unterscheiden sich weder durch grundsätzliche und ideale noch durch reale, etwa<lb/> wirtschaftliche Interessen, wenn auch jede von beiden bald das eine bald das<lb/> andre Interesse als Vorspann benutzt. Zudem ist es für den Gang der Politik<lb/> gleichgiltig, wie die Wahlen ausfallen, weil — der Präsident regiert und das<lb/> Parlament, besonders das Repräsentantenhaus, einflußloser ist als irgendein<lb/> westeuropäisches, „vielleicht sogar einflußloser als der deutsche Reichstag".<lb/> Das einzige, was den Wahleifer entflammt, ist der bekannte Grundsatz: tlo<lb/> »xoils to tre viotor, dessen praktische Geltung zwar in neuerer Zeit durch Gesetze<lb/> ein wenig eingeschränkt aber keineswegs überwunden worden ist. Die kämpfenden<lb/> Parteiführer werben durch Kauf, Bestechung, Verheißung und Bedrohung<lb/> Wahlstimmeu, und nach dem Siege verteilen sie die Beute in Gestalt von<lb/> einträglichen Reichs-, Staats-, Gemeindeämtern und Pensionen. Für eine kleine<lb/> Partei, wie wir Deutschen solche haben, die keine Aussicht hat, zur Regierung<lb/> zu gelangen, und die also nichts zu verschenken, demnach auch nichts zu ver¬<lb/> heißen hat, interessiert sich niemand. Noch dazu werden jeder Arbeiterpartei,<lb/> die Miene macht, Bedeutung und Einfluß zu beanspruchen, die Führer weg¬<lb/> gefangen, die man mit Ämtern versorgt. Da es in Amerika keine vorgeschriebnen<lb/> Qualifikationen gibt und jeder alles werden kann, steht kein Hindernis im<lb/> Wege, einem lauten Arbeiteragitator mit einem gut bezahlten Kommunal- oder<lb/> Staatsamt den Mund zu stopfen. Immerhin kommt die Wählerei und Wühlerei<lb/> in deu Vereinigten Staaten ebenso wie in England den Arbeitern zugute.<lb/> Dort wie hier müssen die Drahtzieher die Massen bei guter Laune erhalten<lb/> und für sich zu gewinnen suchen. Die beiden Parteien müssen einander in<lb/> Arbeiterfreundlichkeit Konkurrenz machen, müssen einander in Versprechungen<lb/> zu überbieten suchen, und wollen sie nicht den Erfolg der nächsten Wahl aufs<lb/> Spiel setzen, von dem Versprochnen auch einiges halten. In das Versprechen<lb/> hat die neue Einrichtung der Fragebogen System und Methode gebracht. Sie<lb/> ist in Winnetka, Illinois, erfunden worden und wird deshalb Winnetkasystein<lb/> genannt. Am 15. Juli 1904 hat das Exekutivkomitee der ok I.. an alle<lb/> ihre angegliederten Zentralverbände ein Rundschreiben versandt,, in dem sie<lb/> dringend ermahnt werden, das Winnetkasystein in ihren Wahlbezirken einzu¬<lb/> führen. „Dem Anschreiben waren zwei Mnsterfragebogen für Kongreßmitglieder<lb/> und Mitglieder der Staatslegislative beigefügt, in denen besonders die Punkte<lb/> hervorgehoben werden, auf die sich die Tätigkeit der ^V. uf I.. zunächst richten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0469]
an gewerkschaftlichen Organisationen gefehlt. Daß es keine davon zu politischem
Einfluß gebracht hat, erklärt Sombart aus dem politischen Getriebe der Ver¬
einigten Staaten, Je freier dessen Bürger im Sinne des vulgären politischen
Liberalismus sind, das heißt, je mehr sie zu wählen und zu wühlen haben
(durchschnittlich zweiundzwanzigmal im Jahre wählt der glückliche Inhaber
eines Sonverünitütspartikelchens), desto mehr wird die ganze Wählerei, berlinisch
zu sprechen, reiner Mumpitz, und zwar meist ein recht unsaubrer Mumpitz,
lind die beiden politischen Parteien, neben denen keine andre aufkommen kann,
unterscheiden sich weder durch grundsätzliche und ideale noch durch reale, etwa
wirtschaftliche Interessen, wenn auch jede von beiden bald das eine bald das
andre Interesse als Vorspann benutzt. Zudem ist es für den Gang der Politik
gleichgiltig, wie die Wahlen ausfallen, weil — der Präsident regiert und das
Parlament, besonders das Repräsentantenhaus, einflußloser ist als irgendein
westeuropäisches, „vielleicht sogar einflußloser als der deutsche Reichstag".
Das einzige, was den Wahleifer entflammt, ist der bekannte Grundsatz: tlo
»xoils to tre viotor, dessen praktische Geltung zwar in neuerer Zeit durch Gesetze
ein wenig eingeschränkt aber keineswegs überwunden worden ist. Die kämpfenden
Parteiführer werben durch Kauf, Bestechung, Verheißung und Bedrohung
Wahlstimmeu, und nach dem Siege verteilen sie die Beute in Gestalt von
einträglichen Reichs-, Staats-, Gemeindeämtern und Pensionen. Für eine kleine
Partei, wie wir Deutschen solche haben, die keine Aussicht hat, zur Regierung
zu gelangen, und die also nichts zu verschenken, demnach auch nichts zu ver¬
heißen hat, interessiert sich niemand. Noch dazu werden jeder Arbeiterpartei,
die Miene macht, Bedeutung und Einfluß zu beanspruchen, die Führer weg¬
gefangen, die man mit Ämtern versorgt. Da es in Amerika keine vorgeschriebnen
Qualifikationen gibt und jeder alles werden kann, steht kein Hindernis im
Wege, einem lauten Arbeiteragitator mit einem gut bezahlten Kommunal- oder
Staatsamt den Mund zu stopfen. Immerhin kommt die Wählerei und Wühlerei
in deu Vereinigten Staaten ebenso wie in England den Arbeitern zugute.
Dort wie hier müssen die Drahtzieher die Massen bei guter Laune erhalten
und für sich zu gewinnen suchen. Die beiden Parteien müssen einander in
Arbeiterfreundlichkeit Konkurrenz machen, müssen einander in Versprechungen
zu überbieten suchen, und wollen sie nicht den Erfolg der nächsten Wahl aufs
Spiel setzen, von dem Versprochnen auch einiges halten. In das Versprechen
hat die neue Einrichtung der Fragebogen System und Methode gebracht. Sie
ist in Winnetka, Illinois, erfunden worden und wird deshalb Winnetkasystein
genannt. Am 15. Juli 1904 hat das Exekutivkomitee der ok I.. an alle
ihre angegliederten Zentralverbände ein Rundschreiben versandt,, in dem sie
dringend ermahnt werden, das Winnetkasystein in ihren Wahlbezirken einzu¬
führen. „Dem Anschreiben waren zwei Mnsterfragebogen für Kongreßmitglieder
und Mitglieder der Staatslegislative beigefügt, in denen besonders die Punkte
hervorgehoben werden, auf die sich die Tätigkeit der ^V. uf I.. zunächst richten
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