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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Nettelbeck und itucadou

wollte. Bald nach Gneisenaus Ankunft wurde die Anwesenheit Schills und
der Schillschen Kavallerie in Kolberg für unnötig gehalten. Es muß doch
wohl auch im Sinne Gneisenaus gelegen haben, daß der wegen seiner selbständigen
Stellung unbequeme Parteigänger infolge Königlicher Order im Mai nach
Vorpommern ging. Die Schillsche Infanterie hat dann zwar noch manche
tapfern Taten verrichtet, aber schließlich trifft sie und ihren Führer, den Premier¬
leutnant von Gruben, zum Schluß wegen Verlustes der Maikuhle, eiues
Wäldchens an der linken Seite der Hafenausfahrt, doch die scharfe Mißbilligung
Gneisenaus, der anfangs sogar ein Kriegsgericht gegen die Schillschen bean¬
tragte, während er sonst mit der wohlwollendsten Anerkennung jedes Verdienst
von Mannschaften und Offizieren aller Truppenteile und von Bürgern dem
Könige pflichttreu meldete und zur Belohnung empfahl. Gneisenau hatte die
Erfolge für sich und dazu das Talent, die Herzen zu gewinnen; ihm erlaubte"
die Truppen und die Bürger ohne Murren das, was sie dem alten Komman¬
danten zuweilen mißtrauisch verdachten.

Wie erklärt sich nun die schwierige Stellung Lucadous oder, besser gesagt,
das vernichtende Urteil, das die Geschichtschreibung über den alten Obersten
gefällt hat?

Zunächst mag der alte Offizier, der im Gamaschendienste groß geworden
war und ohne persönliches Verschulden an der sich übersehenden Meinung des
Militärs in der Zeit nach dem großen König teilhaben mochte, das rechte
Verhältnis zur Bürgerschaft nicht immer gefunden haben, das abgesehen von
vereinzelten Männern wie Gneisenau die kommende Zeit der Not erst schuf.
Nettelbecks Wesen hielt er für Zudringlichkeit, und die Hilfe des Kolberger
Bürgerbataillons lehnte er, wenn wir der Nettelbeckschen Darstellung folgen,
zunächst rundweg ab. Aber der .Kommandant stand hierin nicht vereinzelt;
andre höhere Offiziere der Festung waren derselben Ansicht und drückten ihre
Meinung noch viel kräftiger aus. So berichtet Nettelbeck: "Ein Major von
Nimptsch, der daneben stand, ließ mich kaum ausreden, sondern fuhr, samt einer
kräftigen Redensart mit der Frage auf mich ein: Aber Herr, was geht das
Ihn an? wogegen der Obriste sich begnügte, den Mund zu einem satirischen
Lächeln zu verziehn und mir zu erwidern: Immerhin möchten wir uns ver¬
sammeln und aufstellen." Das Vürgerbataillon ist sicherlich zu Anfang, wie sogar
Nettelbeck zugibt, nicht mehr in Übung gewesen. Lucadou mußte doch mindestens
einige Wochen abwarten, bis die Bürgertruppe wieder einexerziert war. Dann
nahm er die Hilfe der fünf Bürgerkompagnien in der Tat an. Vom 24. Mürz
ab besetzte das Bürgerbataillon die Hauptwache und die innern Posten und
hatte auf Bastion Eleve und Magdeburg zu verhindern, daß der Feind bei
Nachtzeit von Altstadt mit Kühnen und Flößen die Perscmte herunterkam.*)



Magistralsakten. Nettelbeck. Kannegießer, Bürgerbataillon in den Monatsblättern für
pommersche Geschichte 1906, Ur. 4.
Nettelbeck und itucadou

wollte. Bald nach Gneisenaus Ankunft wurde die Anwesenheit Schills und
der Schillschen Kavallerie in Kolberg für unnötig gehalten. Es muß doch
wohl auch im Sinne Gneisenaus gelegen haben, daß der wegen seiner selbständigen
Stellung unbequeme Parteigänger infolge Königlicher Order im Mai nach
Vorpommern ging. Die Schillsche Infanterie hat dann zwar noch manche
tapfern Taten verrichtet, aber schließlich trifft sie und ihren Führer, den Premier¬
leutnant von Gruben, zum Schluß wegen Verlustes der Maikuhle, eiues
Wäldchens an der linken Seite der Hafenausfahrt, doch die scharfe Mißbilligung
Gneisenaus, der anfangs sogar ein Kriegsgericht gegen die Schillschen bean¬
tragte, während er sonst mit der wohlwollendsten Anerkennung jedes Verdienst
von Mannschaften und Offizieren aller Truppenteile und von Bürgern dem
Könige pflichttreu meldete und zur Belohnung empfahl. Gneisenau hatte die
Erfolge für sich und dazu das Talent, die Herzen zu gewinnen; ihm erlaubte«
die Truppen und die Bürger ohne Murren das, was sie dem alten Komman¬
danten zuweilen mißtrauisch verdachten.

Wie erklärt sich nun die schwierige Stellung Lucadous oder, besser gesagt,
das vernichtende Urteil, das die Geschichtschreibung über den alten Obersten
gefällt hat?

Zunächst mag der alte Offizier, der im Gamaschendienste groß geworden
war und ohne persönliches Verschulden an der sich übersehenden Meinung des
Militärs in der Zeit nach dem großen König teilhaben mochte, das rechte
Verhältnis zur Bürgerschaft nicht immer gefunden haben, das abgesehen von
vereinzelten Männern wie Gneisenau die kommende Zeit der Not erst schuf.
Nettelbecks Wesen hielt er für Zudringlichkeit, und die Hilfe des Kolberger
Bürgerbataillons lehnte er, wenn wir der Nettelbeckschen Darstellung folgen,
zunächst rundweg ab. Aber der .Kommandant stand hierin nicht vereinzelt;
andre höhere Offiziere der Festung waren derselben Ansicht und drückten ihre
Meinung noch viel kräftiger aus. So berichtet Nettelbeck: „Ein Major von
Nimptsch, der daneben stand, ließ mich kaum ausreden, sondern fuhr, samt einer
kräftigen Redensart mit der Frage auf mich ein: Aber Herr, was geht das
Ihn an? wogegen der Obriste sich begnügte, den Mund zu einem satirischen
Lächeln zu verziehn und mir zu erwidern: Immerhin möchten wir uns ver¬
sammeln und aufstellen." Das Vürgerbataillon ist sicherlich zu Anfang, wie sogar
Nettelbeck zugibt, nicht mehr in Übung gewesen. Lucadou mußte doch mindestens
einige Wochen abwarten, bis die Bürgertruppe wieder einexerziert war. Dann
nahm er die Hilfe der fünf Bürgerkompagnien in der Tat an. Vom 24. Mürz
ab besetzte das Bürgerbataillon die Hauptwache und die innern Posten und
hatte auf Bastion Eleve und Magdeburg zu verhindern, daß der Feind bei
Nachtzeit von Altstadt mit Kühnen und Flößen die Perscmte herunterkam.*)



Magistralsakten. Nettelbeck. Kannegießer, Bürgerbataillon in den Monatsblättern für
pommersche Geschichte 1906, Ur. 4.
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[0464] Nettelbeck und itucadou wollte. Bald nach Gneisenaus Ankunft wurde die Anwesenheit Schills und der Schillschen Kavallerie in Kolberg für unnötig gehalten. Es muß doch wohl auch im Sinne Gneisenaus gelegen haben, daß der wegen seiner selbständigen Stellung unbequeme Parteigänger infolge Königlicher Order im Mai nach Vorpommern ging. Die Schillsche Infanterie hat dann zwar noch manche tapfern Taten verrichtet, aber schließlich trifft sie und ihren Führer, den Premier¬ leutnant von Gruben, zum Schluß wegen Verlustes der Maikuhle, eiues Wäldchens an der linken Seite der Hafenausfahrt, doch die scharfe Mißbilligung Gneisenaus, der anfangs sogar ein Kriegsgericht gegen die Schillschen bean¬ tragte, während er sonst mit der wohlwollendsten Anerkennung jedes Verdienst von Mannschaften und Offizieren aller Truppenteile und von Bürgern dem Könige pflichttreu meldete und zur Belohnung empfahl. Gneisenau hatte die Erfolge für sich und dazu das Talent, die Herzen zu gewinnen; ihm erlaubte« die Truppen und die Bürger ohne Murren das, was sie dem alten Komman¬ danten zuweilen mißtrauisch verdachten. Wie erklärt sich nun die schwierige Stellung Lucadous oder, besser gesagt, das vernichtende Urteil, das die Geschichtschreibung über den alten Obersten gefällt hat? Zunächst mag der alte Offizier, der im Gamaschendienste groß geworden war und ohne persönliches Verschulden an der sich übersehenden Meinung des Militärs in der Zeit nach dem großen König teilhaben mochte, das rechte Verhältnis zur Bürgerschaft nicht immer gefunden haben, das abgesehen von vereinzelten Männern wie Gneisenau die kommende Zeit der Not erst schuf. Nettelbecks Wesen hielt er für Zudringlichkeit, und die Hilfe des Kolberger Bürgerbataillons lehnte er, wenn wir der Nettelbeckschen Darstellung folgen, zunächst rundweg ab. Aber der .Kommandant stand hierin nicht vereinzelt; andre höhere Offiziere der Festung waren derselben Ansicht und drückten ihre Meinung noch viel kräftiger aus. So berichtet Nettelbeck: „Ein Major von Nimptsch, der daneben stand, ließ mich kaum ausreden, sondern fuhr, samt einer kräftigen Redensart mit der Frage auf mich ein: Aber Herr, was geht das Ihn an? wogegen der Obriste sich begnügte, den Mund zu einem satirischen Lächeln zu verziehn und mir zu erwidern: Immerhin möchten wir uns ver¬ sammeln und aufstellen." Das Vürgerbataillon ist sicherlich zu Anfang, wie sogar Nettelbeck zugibt, nicht mehr in Übung gewesen. Lucadou mußte doch mindestens einige Wochen abwarten, bis die Bürgertruppe wieder einexerziert war. Dann nahm er die Hilfe der fünf Bürgerkompagnien in der Tat an. Vom 24. Mürz ab besetzte das Bürgerbataillon die Hauptwache und die innern Posten und hatte auf Bastion Eleve und Magdeburg zu verhindern, daß der Feind bei Nachtzeit von Altstadt mit Kühnen und Flößen die Perscmte herunterkam.*) Magistralsakten. Nettelbeck. Kannegießer, Bürgerbataillon in den Monatsblättern für pommersche Geschichte 1906, Ur. 4.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/464>, abgerufen am 02.07.2024.