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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Nettelbeck und Lucadou

teils von andrer Seite die zahlreichen Mängel der ursprünglichen Ausrüstung
sehr verbessert worden." Wenn bei der Überschwemmung erst später durch
Gneisenau mit der sachkundigen Hilfe Nettelbecks Tüchtiges geleistet wurde, so
erklärt sich dies hauptsächlich wohl aus der Jahreszeit, die unter Lucadou die
Überschwemmung wegen des starken Frostes, der den ganzen März anhielt,
unmöglich und zwecklos machte. Aber auch Lucadou sorgte von Anfang an für
die Instandhaltung der Schleusen. Eine Reihe von Erlassen an den Magistrat
gegen den Mühleninspektor im Dezember 1806 liefert in den Kolberger
Magistratsakten hierfür den Beweis.

Wenn Lucadou die hohe Bedeutung des Außenkrieges noch nicht erkannte,")
den Gneisenau besonders durch die ruhmvolle Verteidigung des Wolfsbergs
und durch mancherlei Ausfälle so genial geführt hat, so steht er hierin gewiß
nicht allein; im Gegenteil, es ist allgemein in der Kriegsgeschichte anerkannt,
daß Gneisenau hierin etwas Neues, Bahnbrechendes durch ein Beispiel durch¬
geführt hat, nachdem er schon vorher in seiner Leutnants- und Hauptmannszeit
eine theoretische Abhandlung in dem Sinne über die "Belagerung von Valen-
ciennes 1793" geschrieben hatte. (Delbrück 1, 74.) Aber auch Lucadou ließ in
der ersten Periode des von Kolberg aus geführten Krieges, in dem sogenannten
Schillschen Kleinkrieg, vielfach Expeditionen durch die regulären Garnison¬
truppen ausführen, besonders nach Wollin vom 5. bis 10. Januar 1807
unter dem Vizekommandcmteu von Waldenfels und dem Major von Jargow,
der als Kommandeur des Kürassierdepots dabei fiel. Daß der im ruhigen
Festungsdienste altgewordnc Kommandant einem jungen Feuerkopf und Drauf¬
gänger wie Schill, der ihm völlig unbekannt war, nicht gleich große Vertrauens¬
posten anvertraute, kaun nicht wundernehmen, zumal da ein verwundeter,
flüchtiger Kavallerieleutnant für die Festung zunächst überhaupt als keine
bedeutungsvolle Hilfe erscheinen mußte. Es war dem Kommandanten nicht
zu verdenken, daß er von den wenigen Truppen, über die er zu Anfang ver¬
fügte, und die ihm sein König zur Verteidigung eines der letzten Posten der
schwankenden Monarchie anvertraut hatte, nicht bereitwillig größere Abteilungen
für Schills kühne, aber abenteuerliche Streifzüge hergab. Daß Lucadou, wie
die allgemeine Annahme ist, befürchtet habe, Schill werde die Aufmerksamkeit
des Feindes zu sehr auf Kolberg ziehn, kann mitgespielt haben, aber diese
Sorge war berechtigt, solange die Festung noch nicht genug gerüstet war.
Im übrigen Hütte sich die zielbewußte Kriegführung eines Napoleon durch
solche Gründe nicht leiten lassen. Es muß hervorgehoben werden, daß auch
Gneisenau das militärische Talent Schills nicht zu hoch angeschlagen hat, daß
er dem kühnen Freischarenführer vielmehr nur das berechtigte Lob hat zuteil
werden lassen, die Gemüter zu erfrischen in einer Zeit, wo das Blut stocken



") Das zu eilige Aufgeben der Stellungen bei Sellnow, Altstadt und Hohcnbergsch-mze
">N 14, Mirz wird ihm zum Vorwurf gemacht (Pertz 169).
Nettelbeck und Lucadou

teils von andrer Seite die zahlreichen Mängel der ursprünglichen Ausrüstung
sehr verbessert worden." Wenn bei der Überschwemmung erst später durch
Gneisenau mit der sachkundigen Hilfe Nettelbecks Tüchtiges geleistet wurde, so
erklärt sich dies hauptsächlich wohl aus der Jahreszeit, die unter Lucadou die
Überschwemmung wegen des starken Frostes, der den ganzen März anhielt,
unmöglich und zwecklos machte. Aber auch Lucadou sorgte von Anfang an für
die Instandhaltung der Schleusen. Eine Reihe von Erlassen an den Magistrat
gegen den Mühleninspektor im Dezember 1806 liefert in den Kolberger
Magistratsakten hierfür den Beweis.

Wenn Lucadou die hohe Bedeutung des Außenkrieges noch nicht erkannte,")
den Gneisenau besonders durch die ruhmvolle Verteidigung des Wolfsbergs
und durch mancherlei Ausfälle so genial geführt hat, so steht er hierin gewiß
nicht allein; im Gegenteil, es ist allgemein in der Kriegsgeschichte anerkannt,
daß Gneisenau hierin etwas Neues, Bahnbrechendes durch ein Beispiel durch¬
geführt hat, nachdem er schon vorher in seiner Leutnants- und Hauptmannszeit
eine theoretische Abhandlung in dem Sinne über die „Belagerung von Valen-
ciennes 1793" geschrieben hatte. (Delbrück 1, 74.) Aber auch Lucadou ließ in
der ersten Periode des von Kolberg aus geführten Krieges, in dem sogenannten
Schillschen Kleinkrieg, vielfach Expeditionen durch die regulären Garnison¬
truppen ausführen, besonders nach Wollin vom 5. bis 10. Januar 1807
unter dem Vizekommandcmteu von Waldenfels und dem Major von Jargow,
der als Kommandeur des Kürassierdepots dabei fiel. Daß der im ruhigen
Festungsdienste altgewordnc Kommandant einem jungen Feuerkopf und Drauf¬
gänger wie Schill, der ihm völlig unbekannt war, nicht gleich große Vertrauens¬
posten anvertraute, kaun nicht wundernehmen, zumal da ein verwundeter,
flüchtiger Kavallerieleutnant für die Festung zunächst überhaupt als keine
bedeutungsvolle Hilfe erscheinen mußte. Es war dem Kommandanten nicht
zu verdenken, daß er von den wenigen Truppen, über die er zu Anfang ver¬
fügte, und die ihm sein König zur Verteidigung eines der letzten Posten der
schwankenden Monarchie anvertraut hatte, nicht bereitwillig größere Abteilungen
für Schills kühne, aber abenteuerliche Streifzüge hergab. Daß Lucadou, wie
die allgemeine Annahme ist, befürchtet habe, Schill werde die Aufmerksamkeit
des Feindes zu sehr auf Kolberg ziehn, kann mitgespielt haben, aber diese
Sorge war berechtigt, solange die Festung noch nicht genug gerüstet war.
Im übrigen Hütte sich die zielbewußte Kriegführung eines Napoleon durch
solche Gründe nicht leiten lassen. Es muß hervorgehoben werden, daß auch
Gneisenau das militärische Talent Schills nicht zu hoch angeschlagen hat, daß
er dem kühnen Freischarenführer vielmehr nur das berechtigte Lob hat zuteil
werden lassen, die Gemüter zu erfrischen in einer Zeit, wo das Blut stocken



") Das zu eilige Aufgeben der Stellungen bei Sellnow, Altstadt und Hohcnbergsch-mze
«>N 14, Mirz wird ihm zum Vorwurf gemacht (Pertz 169).
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[0463] Nettelbeck und Lucadou teils von andrer Seite die zahlreichen Mängel der ursprünglichen Ausrüstung sehr verbessert worden." Wenn bei der Überschwemmung erst später durch Gneisenau mit der sachkundigen Hilfe Nettelbecks Tüchtiges geleistet wurde, so erklärt sich dies hauptsächlich wohl aus der Jahreszeit, die unter Lucadou die Überschwemmung wegen des starken Frostes, der den ganzen März anhielt, unmöglich und zwecklos machte. Aber auch Lucadou sorgte von Anfang an für die Instandhaltung der Schleusen. Eine Reihe von Erlassen an den Magistrat gegen den Mühleninspektor im Dezember 1806 liefert in den Kolberger Magistratsakten hierfür den Beweis. Wenn Lucadou die hohe Bedeutung des Außenkrieges noch nicht erkannte,") den Gneisenau besonders durch die ruhmvolle Verteidigung des Wolfsbergs und durch mancherlei Ausfälle so genial geführt hat, so steht er hierin gewiß nicht allein; im Gegenteil, es ist allgemein in der Kriegsgeschichte anerkannt, daß Gneisenau hierin etwas Neues, Bahnbrechendes durch ein Beispiel durch¬ geführt hat, nachdem er schon vorher in seiner Leutnants- und Hauptmannszeit eine theoretische Abhandlung in dem Sinne über die „Belagerung von Valen- ciennes 1793" geschrieben hatte. (Delbrück 1, 74.) Aber auch Lucadou ließ in der ersten Periode des von Kolberg aus geführten Krieges, in dem sogenannten Schillschen Kleinkrieg, vielfach Expeditionen durch die regulären Garnison¬ truppen ausführen, besonders nach Wollin vom 5. bis 10. Januar 1807 unter dem Vizekommandcmteu von Waldenfels und dem Major von Jargow, der als Kommandeur des Kürassierdepots dabei fiel. Daß der im ruhigen Festungsdienste altgewordnc Kommandant einem jungen Feuerkopf und Drauf¬ gänger wie Schill, der ihm völlig unbekannt war, nicht gleich große Vertrauens¬ posten anvertraute, kaun nicht wundernehmen, zumal da ein verwundeter, flüchtiger Kavallerieleutnant für die Festung zunächst überhaupt als keine bedeutungsvolle Hilfe erscheinen mußte. Es war dem Kommandanten nicht zu verdenken, daß er von den wenigen Truppen, über die er zu Anfang ver¬ fügte, und die ihm sein König zur Verteidigung eines der letzten Posten der schwankenden Monarchie anvertraut hatte, nicht bereitwillig größere Abteilungen für Schills kühne, aber abenteuerliche Streifzüge hergab. Daß Lucadou, wie die allgemeine Annahme ist, befürchtet habe, Schill werde die Aufmerksamkeit des Feindes zu sehr auf Kolberg ziehn, kann mitgespielt haben, aber diese Sorge war berechtigt, solange die Festung noch nicht genug gerüstet war. Im übrigen Hütte sich die zielbewußte Kriegführung eines Napoleon durch solche Gründe nicht leiten lassen. Es muß hervorgehoben werden, daß auch Gneisenau das militärische Talent Schills nicht zu hoch angeschlagen hat, daß er dem kühnen Freischarenführer vielmehr nur das berechtigte Lob hat zuteil werden lassen, die Gemüter zu erfrischen in einer Zeit, wo das Blut stocken ") Das zu eilige Aufgeben der Stellungen bei Sellnow, Altstadt und Hohcnbergsch-mze «>N 14, Mirz wird ihm zum Vorwurf gemacht (Pertz 169).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/463>, abgerufen am 04.07.2024.