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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Belletristik und Publizistik

Laienschaft die Literatnrgeschichtsschreibung bisher ganz und gar dem Klerus
überlassen habe. "Gerade der katholische Priester wird sich nur ausnahmsweise
gegenüber gewissen Seiten der schönen Literatur unbefangen fühlen. Wie leicht
wird sein Urteil in Beziehung auf die Erotik einseitig und unduldsam, sofern
er nicht etwa überhaupt auf eignes Urteil verzichtet oder solche Sachen still¬
schweigend übergeht. Sein priesterlicher Charakter verbietet ihm die freie Auf¬
fassung nicht grundsätzlich, aber die Rücksicht auf das Ärgernis, das gerade
der ehelose Priester durch verständnisvolles Verweilen bei dergleichen Dingen
den Denkschwachen gibt, wird ihm die Lösung der Aufgabe nahezu unmöglich
machen." Auch fehle es, was unter diesen Umständen nicht zu verwundern
ist, den uubefangneru Katholiken an einem periodischen kritischen Organ, in
dem sie sich äußern könnten. Die vorhandnen Zeitschriften, wie der Litterarische
Handweiser von Dr. Hülskamp, huldigten der einseitigsten Parteidoktrin.

Mit dem vorstehenden ist eigentlich die katholische Inferiorität in der
schönen Literatur hinreichend erklärt; Veremundus hält es trotzdem noch für
notwendig, sieben einzelne Ursachen aufzuzählen, die sozusagen durch die Auf¬
lösung des beschriebnen Zustandes in seine Bestandteile gewonnen werden. Die
Ursache "dieser literarischen Abseitsstellung und Rückstüudigkeit" sei selbstver¬
ständlich nicht in einer geringern Begabung der Katholiken zu suchen. An
Talenten fehle es nicht, wohl aber an den Bedingungen für ihre Entfaltung.
Wenn der Roman höchstens als notwendiges Übel geduldet werde, so sei das
keine Ermutigung für die Dichter. Hin und wieder so von oben herab eine
literarische Abkcmzlnng in den Stimmen aus Maria-Laach (die einzigen übrigens,
die der Sache wenigstens nähertreten) oder ein Zeitungsseuilleton, das ist in
Anbetracht des üblichen Tones schlimmer als nichts. Dieser Mangel an In¬
teresse ist die erste Ursache der katholischen Rückstündigkeit, und er erzeugt zu¬
gleich die zweite, die "Abseitsstellung" (die übrigens oben als die zu erklärende
Erscheinung angegeben war). "Über vielen belletristischen Hervorbringungen
auf katholischer Seite liegt ein Hauch von Unmodernem, von kaum über-
wundnem Dilettantismus, von Langweiligkeit und Halbheit , weil es ihre Ur¬
heber nicht wagen, der Wahrheit, dem Leben fest ins Auge zu schauen und
das Geschaute mit sinnlich wirksamen Farben zu schildern. Denn das würde
ihnen unfehlbar den Vorwurf zuziehen, sie seien modern, und dieses Wort ist
bei vielen so anrüchig, daß es allerdings als das klügste erscheinen muß, lieber
unmodern zu sein und empfohlen zu werden, als modern und keinen Verleger,
keine Redaktion zu finden. - . . Daß wir deshalb noch lange nicht jeden lite¬
rarischen Unsinn mitzumachen, die Poesie heut im schmutzigsten Naturalismus,
morgen im überspannten Symbolismus und Mystizismus zu suchen brauchen,
ist wohl kaum nötig zu betonen. Denn nicht darin liegt der Fortschritt der
modernen Dichtung, sondern in der Technik der Sprache und des Aufbaus,
in der Anpassung der Sprache an den Gegenstand, in dem großartig entwickelten
Wirklichkeitssinn, in der Beobachtungs- und Charakterisiernngskunst und zum


Katholische Belletristik und Publizistik

Laienschaft die Literatnrgeschichtsschreibung bisher ganz und gar dem Klerus
überlassen habe. „Gerade der katholische Priester wird sich nur ausnahmsweise
gegenüber gewissen Seiten der schönen Literatur unbefangen fühlen. Wie leicht
wird sein Urteil in Beziehung auf die Erotik einseitig und unduldsam, sofern
er nicht etwa überhaupt auf eignes Urteil verzichtet oder solche Sachen still¬
schweigend übergeht. Sein priesterlicher Charakter verbietet ihm die freie Auf¬
fassung nicht grundsätzlich, aber die Rücksicht auf das Ärgernis, das gerade
der ehelose Priester durch verständnisvolles Verweilen bei dergleichen Dingen
den Denkschwachen gibt, wird ihm die Lösung der Aufgabe nahezu unmöglich
machen." Auch fehle es, was unter diesen Umständen nicht zu verwundern
ist, den uubefangneru Katholiken an einem periodischen kritischen Organ, in
dem sie sich äußern könnten. Die vorhandnen Zeitschriften, wie der Litterarische
Handweiser von Dr. Hülskamp, huldigten der einseitigsten Parteidoktrin.

Mit dem vorstehenden ist eigentlich die katholische Inferiorität in der
schönen Literatur hinreichend erklärt; Veremundus hält es trotzdem noch für
notwendig, sieben einzelne Ursachen aufzuzählen, die sozusagen durch die Auf¬
lösung des beschriebnen Zustandes in seine Bestandteile gewonnen werden. Die
Ursache „dieser literarischen Abseitsstellung und Rückstüudigkeit" sei selbstver¬
ständlich nicht in einer geringern Begabung der Katholiken zu suchen. An
Talenten fehle es nicht, wohl aber an den Bedingungen für ihre Entfaltung.
Wenn der Roman höchstens als notwendiges Übel geduldet werde, so sei das
keine Ermutigung für die Dichter. Hin und wieder so von oben herab eine
literarische Abkcmzlnng in den Stimmen aus Maria-Laach (die einzigen übrigens,
die der Sache wenigstens nähertreten) oder ein Zeitungsseuilleton, das ist in
Anbetracht des üblichen Tones schlimmer als nichts. Dieser Mangel an In¬
teresse ist die erste Ursache der katholischen Rückstündigkeit, und er erzeugt zu¬
gleich die zweite, die „Abseitsstellung" (die übrigens oben als die zu erklärende
Erscheinung angegeben war). „Über vielen belletristischen Hervorbringungen
auf katholischer Seite liegt ein Hauch von Unmodernem, von kaum über-
wundnem Dilettantismus, von Langweiligkeit und Halbheit , weil es ihre Ur¬
heber nicht wagen, der Wahrheit, dem Leben fest ins Auge zu schauen und
das Geschaute mit sinnlich wirksamen Farben zu schildern. Denn das würde
ihnen unfehlbar den Vorwurf zuziehen, sie seien modern, und dieses Wort ist
bei vielen so anrüchig, daß es allerdings als das klügste erscheinen muß, lieber
unmodern zu sein und empfohlen zu werden, als modern und keinen Verleger,
keine Redaktion zu finden. - . . Daß wir deshalb noch lange nicht jeden lite¬
rarischen Unsinn mitzumachen, die Poesie heut im schmutzigsten Naturalismus,
morgen im überspannten Symbolismus und Mystizismus zu suchen brauchen,
ist wohl kaum nötig zu betonen. Denn nicht darin liegt der Fortschritt der
modernen Dichtung, sondern in der Technik der Sprache und des Aufbaus,
in der Anpassung der Sprache an den Gegenstand, in dem großartig entwickelten
Wirklichkeitssinn, in der Beobachtungs- und Charakterisiernngskunst und zum


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[0419] Katholische Belletristik und Publizistik Laienschaft die Literatnrgeschichtsschreibung bisher ganz und gar dem Klerus überlassen habe. „Gerade der katholische Priester wird sich nur ausnahmsweise gegenüber gewissen Seiten der schönen Literatur unbefangen fühlen. Wie leicht wird sein Urteil in Beziehung auf die Erotik einseitig und unduldsam, sofern er nicht etwa überhaupt auf eignes Urteil verzichtet oder solche Sachen still¬ schweigend übergeht. Sein priesterlicher Charakter verbietet ihm die freie Auf¬ fassung nicht grundsätzlich, aber die Rücksicht auf das Ärgernis, das gerade der ehelose Priester durch verständnisvolles Verweilen bei dergleichen Dingen den Denkschwachen gibt, wird ihm die Lösung der Aufgabe nahezu unmöglich machen." Auch fehle es, was unter diesen Umständen nicht zu verwundern ist, den uubefangneru Katholiken an einem periodischen kritischen Organ, in dem sie sich äußern könnten. Die vorhandnen Zeitschriften, wie der Litterarische Handweiser von Dr. Hülskamp, huldigten der einseitigsten Parteidoktrin. Mit dem vorstehenden ist eigentlich die katholische Inferiorität in der schönen Literatur hinreichend erklärt; Veremundus hält es trotzdem noch für notwendig, sieben einzelne Ursachen aufzuzählen, die sozusagen durch die Auf¬ lösung des beschriebnen Zustandes in seine Bestandteile gewonnen werden. Die Ursache „dieser literarischen Abseitsstellung und Rückstüudigkeit" sei selbstver¬ ständlich nicht in einer geringern Begabung der Katholiken zu suchen. An Talenten fehle es nicht, wohl aber an den Bedingungen für ihre Entfaltung. Wenn der Roman höchstens als notwendiges Übel geduldet werde, so sei das keine Ermutigung für die Dichter. Hin und wieder so von oben herab eine literarische Abkcmzlnng in den Stimmen aus Maria-Laach (die einzigen übrigens, die der Sache wenigstens nähertreten) oder ein Zeitungsseuilleton, das ist in Anbetracht des üblichen Tones schlimmer als nichts. Dieser Mangel an In¬ teresse ist die erste Ursache der katholischen Rückstündigkeit, und er erzeugt zu¬ gleich die zweite, die „Abseitsstellung" (die übrigens oben als die zu erklärende Erscheinung angegeben war). „Über vielen belletristischen Hervorbringungen auf katholischer Seite liegt ein Hauch von Unmodernem, von kaum über- wundnem Dilettantismus, von Langweiligkeit und Halbheit , weil es ihre Ur¬ heber nicht wagen, der Wahrheit, dem Leben fest ins Auge zu schauen und das Geschaute mit sinnlich wirksamen Farben zu schildern. Denn das würde ihnen unfehlbar den Vorwurf zuziehen, sie seien modern, und dieses Wort ist bei vielen so anrüchig, daß es allerdings als das klügste erscheinen muß, lieber unmodern zu sein und empfohlen zu werden, als modern und keinen Verleger, keine Redaktion zu finden. - . . Daß wir deshalb noch lange nicht jeden lite¬ rarischen Unsinn mitzumachen, die Poesie heut im schmutzigsten Naturalismus, morgen im überspannten Symbolismus und Mystizismus zu suchen brauchen, ist wohl kaum nötig zu betonen. Denn nicht darin liegt der Fortschritt der modernen Dichtung, sondern in der Technik der Sprache und des Aufbaus, in der Anpassung der Sprache an den Gegenstand, in dem großartig entwickelten Wirklichkeitssinn, in der Beobachtungs- und Charakterisiernngskunst und zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/419>, abgerufen am 05.07.2024.