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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Aatholische Belletristik mit Publizistik

und wir erleben -- die Versumpfung der Leidenschaft. Der Verlauf der Er¬
eignisse entspricht ja durchaus den,, was oft in solchen Fällen geschieht. Wenn
die Männer, um ihrer Liebe Herr zu werden, in die weite Welt gehn, die
Frauen daheim auf ihrem Schlosse sich miteinander einzuleben versuchen, so
spricht dafür wohl die Wirklichkeit, aber nicht die menschliche Natur. Die
Leidenschaft kann sich so nicht verhalten. So lange sie gesund ist, muß sie
handeln, und handelt sie nicht, so ist sie krank. Daß ihr sittliche Bedenken
im Wege stehn werden, ist selbstverständlich, aber die Leidenschaft überwindet
alle Bedenken, wenn sie dämonisch, das heißt gesund ist. Der Hang und
Gang der Leidenschaft pflegt ja ganz unmoralisch zu sein -- eben darum ists
wohlgetan, bei jedem Anfang das Ende zu bedenken. Aber die unsittlichste
Tat der Leidenschaft kann, tragisch gewendet, nie zu einem andern Ende führen
als zu einem rein sittlichen: zur Entsagung, während ihre Versumpfung--an
sich schon immer ein Zeichen der Schwäche oder Krankheit -- ausnahmslos
in ein mehr oder minder starkes Unbehagen auslaufen muß." Sehr wenig
Romane finden Gnade vor Veremundns; unbedingt lobt er nnr Heinrich von
Kleists Michael Kohlhaus und die Richterin von Konrad Ferdinand Meyer.
Die katholischen Romane -- man erführe bei der Gelegenheit eine Menge
Autorennamen, die mir wenigstens noch niemals zu Gesicht gekommen waren --
taugen schon deswegen nichts, weil sie meist Tendcnzromcme sind. Von männ¬
lichen Autoren seien der Erwähnung wert eigentlich nur "Anton Schott,
Ad. Jos. Ciippers und H. Hausjakob. Der Jesuit I. Spillmann und der
Abenteurer Karl May kommen hier wohl nicht in Betracht; sie sind nur
Jugendschriftsteller. Selbst Hausjakob gehört wohl kaum so recht hierher. Ich
habe ihn genannt, weil er einige Abstecher ins Gebiet der Novellistik gemacht
hat; aber keines seiner derartigen Werke kommt über die Skizze hinaus. Anton
Schott schildert vorwiegend das Leben seiner böhmischen Heimat. Seine Art
zeichnet sich durch herbe Einfachheit und schlicht poetische Auffassung der Natur
und ihrer bäurisch kraftvollen Menschen darin aus. Er kann, wenn er sich
nicht durch hastige Produktion schädigt, noch sehr Erfreuliches leiste". Das
gleiche, und in Rücksicht auf seinen weitern Stoffkreis vielleicht in noch höherm
Maße, gilt von Cüppers, der mit künstlerischen Absichten an seine Vorwürfe
herantritt. Und nun die Frauen! Ich habe meine Auswahl unter denen, die
da im Heiligtum der Literatur ihre Tinte verspritzen, auf zwölf beschränkt.
Das macht sechs weibliche Federn auf eine männliche. Hier sind sie: Brcickel,
Herbert, Jüngst, Neidegg, Goldegg, Ludolf, Haupt, Lilien, Jakoby, Putz,
Lingen und Veldenz. Nach dem literarischen Wert der Leistungen hätte ich
mich auf die fünf ersten Namen beschränken können. Aber ich wollte eben
numerisch dartun, welch ungeheures Übergewicht die Frauen in unsrer Belle¬
tristik haben." Starkes Talent und leichte Technik wird namentlich den zuerst
genannten zwei Damen nicht abgesprochen, das Lob aber, das ihnen die katho¬
lischen Kritiker spenden, als übertrieben zurückgewiesen. Bei der Musterung


Aatholische Belletristik mit Publizistik

und wir erleben — die Versumpfung der Leidenschaft. Der Verlauf der Er¬
eignisse entspricht ja durchaus den,, was oft in solchen Fällen geschieht. Wenn
die Männer, um ihrer Liebe Herr zu werden, in die weite Welt gehn, die
Frauen daheim auf ihrem Schlosse sich miteinander einzuleben versuchen, so
spricht dafür wohl die Wirklichkeit, aber nicht die menschliche Natur. Die
Leidenschaft kann sich so nicht verhalten. So lange sie gesund ist, muß sie
handeln, und handelt sie nicht, so ist sie krank. Daß ihr sittliche Bedenken
im Wege stehn werden, ist selbstverständlich, aber die Leidenschaft überwindet
alle Bedenken, wenn sie dämonisch, das heißt gesund ist. Der Hang und
Gang der Leidenschaft pflegt ja ganz unmoralisch zu sein — eben darum ists
wohlgetan, bei jedem Anfang das Ende zu bedenken. Aber die unsittlichste
Tat der Leidenschaft kann, tragisch gewendet, nie zu einem andern Ende führen
als zu einem rein sittlichen: zur Entsagung, während ihre Versumpfung—an
sich schon immer ein Zeichen der Schwäche oder Krankheit — ausnahmslos
in ein mehr oder minder starkes Unbehagen auslaufen muß." Sehr wenig
Romane finden Gnade vor Veremundns; unbedingt lobt er nnr Heinrich von
Kleists Michael Kohlhaus und die Richterin von Konrad Ferdinand Meyer.
Die katholischen Romane — man erführe bei der Gelegenheit eine Menge
Autorennamen, die mir wenigstens noch niemals zu Gesicht gekommen waren —
taugen schon deswegen nichts, weil sie meist Tendcnzromcme sind. Von männ¬
lichen Autoren seien der Erwähnung wert eigentlich nur „Anton Schott,
Ad. Jos. Ciippers und H. Hausjakob. Der Jesuit I. Spillmann und der
Abenteurer Karl May kommen hier wohl nicht in Betracht; sie sind nur
Jugendschriftsteller. Selbst Hausjakob gehört wohl kaum so recht hierher. Ich
habe ihn genannt, weil er einige Abstecher ins Gebiet der Novellistik gemacht
hat; aber keines seiner derartigen Werke kommt über die Skizze hinaus. Anton
Schott schildert vorwiegend das Leben seiner böhmischen Heimat. Seine Art
zeichnet sich durch herbe Einfachheit und schlicht poetische Auffassung der Natur
und ihrer bäurisch kraftvollen Menschen darin aus. Er kann, wenn er sich
nicht durch hastige Produktion schädigt, noch sehr Erfreuliches leiste». Das
gleiche, und in Rücksicht auf seinen weitern Stoffkreis vielleicht in noch höherm
Maße, gilt von Cüppers, der mit künstlerischen Absichten an seine Vorwürfe
herantritt. Und nun die Frauen! Ich habe meine Auswahl unter denen, die
da im Heiligtum der Literatur ihre Tinte verspritzen, auf zwölf beschränkt.
Das macht sechs weibliche Federn auf eine männliche. Hier sind sie: Brcickel,
Herbert, Jüngst, Neidegg, Goldegg, Ludolf, Haupt, Lilien, Jakoby, Putz,
Lingen und Veldenz. Nach dem literarischen Wert der Leistungen hätte ich
mich auf die fünf ersten Namen beschränken können. Aber ich wollte eben
numerisch dartun, welch ungeheures Übergewicht die Frauen in unsrer Belle¬
tristik haben." Starkes Talent und leichte Technik wird namentlich den zuerst
genannten zwei Damen nicht abgesprochen, das Lob aber, das ihnen die katho¬
lischen Kritiker spenden, als übertrieben zurückgewiesen. Bei der Musterung


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[0416] Aatholische Belletristik mit Publizistik und wir erleben — die Versumpfung der Leidenschaft. Der Verlauf der Er¬ eignisse entspricht ja durchaus den,, was oft in solchen Fällen geschieht. Wenn die Männer, um ihrer Liebe Herr zu werden, in die weite Welt gehn, die Frauen daheim auf ihrem Schlosse sich miteinander einzuleben versuchen, so spricht dafür wohl die Wirklichkeit, aber nicht die menschliche Natur. Die Leidenschaft kann sich so nicht verhalten. So lange sie gesund ist, muß sie handeln, und handelt sie nicht, so ist sie krank. Daß ihr sittliche Bedenken im Wege stehn werden, ist selbstverständlich, aber die Leidenschaft überwindet alle Bedenken, wenn sie dämonisch, das heißt gesund ist. Der Hang und Gang der Leidenschaft pflegt ja ganz unmoralisch zu sein — eben darum ists wohlgetan, bei jedem Anfang das Ende zu bedenken. Aber die unsittlichste Tat der Leidenschaft kann, tragisch gewendet, nie zu einem andern Ende führen als zu einem rein sittlichen: zur Entsagung, während ihre Versumpfung—an sich schon immer ein Zeichen der Schwäche oder Krankheit — ausnahmslos in ein mehr oder minder starkes Unbehagen auslaufen muß." Sehr wenig Romane finden Gnade vor Veremundns; unbedingt lobt er nnr Heinrich von Kleists Michael Kohlhaus und die Richterin von Konrad Ferdinand Meyer. Die katholischen Romane — man erführe bei der Gelegenheit eine Menge Autorennamen, die mir wenigstens noch niemals zu Gesicht gekommen waren — taugen schon deswegen nichts, weil sie meist Tendcnzromcme sind. Von männ¬ lichen Autoren seien der Erwähnung wert eigentlich nur „Anton Schott, Ad. Jos. Ciippers und H. Hausjakob. Der Jesuit I. Spillmann und der Abenteurer Karl May kommen hier wohl nicht in Betracht; sie sind nur Jugendschriftsteller. Selbst Hausjakob gehört wohl kaum so recht hierher. Ich habe ihn genannt, weil er einige Abstecher ins Gebiet der Novellistik gemacht hat; aber keines seiner derartigen Werke kommt über die Skizze hinaus. Anton Schott schildert vorwiegend das Leben seiner böhmischen Heimat. Seine Art zeichnet sich durch herbe Einfachheit und schlicht poetische Auffassung der Natur und ihrer bäurisch kraftvollen Menschen darin aus. Er kann, wenn er sich nicht durch hastige Produktion schädigt, noch sehr Erfreuliches leiste». Das gleiche, und in Rücksicht auf seinen weitern Stoffkreis vielleicht in noch höherm Maße, gilt von Cüppers, der mit künstlerischen Absichten an seine Vorwürfe herantritt. Und nun die Frauen! Ich habe meine Auswahl unter denen, die da im Heiligtum der Literatur ihre Tinte verspritzen, auf zwölf beschränkt. Das macht sechs weibliche Federn auf eine männliche. Hier sind sie: Brcickel, Herbert, Jüngst, Neidegg, Goldegg, Ludolf, Haupt, Lilien, Jakoby, Putz, Lingen und Veldenz. Nach dem literarischen Wert der Leistungen hätte ich mich auf die fünf ersten Namen beschränken können. Aber ich wollte eben numerisch dartun, welch ungeheures Übergewicht die Frauen in unsrer Belle¬ tristik haben." Starkes Talent und leichte Technik wird namentlich den zuerst genannten zwei Damen nicht abgesprochen, das Lob aber, das ihnen die katho¬ lischen Kritiker spenden, als übertrieben zurückgewiesen. Bei der Musterung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/416>, abgerufen am 24.07.2024.