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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Ratholische Belletristik und Publizistik

Mit andern Worten, daß uns der Dichter mit ihrem Verlangen bekannt macht,
geschieht nicht aus katholischer Ostentation und seelsorglichen Rücksichten (auch
ein nicht katholischer Dichter Hütte es nach den gegebnen Voraussetzungen tuu
müssen), soudern weil es psychologisch und durch die Situation, vor allem
durch die von dem Dichter beabsichtigte Wirkung auf Polcmiecki, ihren Gatten,
geboten war." Katholische Romane und Tendenzromane seien leider in der
Auffassung der meisten Katholiken ein und dasselbe, es müsse aber grundsätzlich
daran festgehalten werden, daß ein aus katholischem Geist und Empfinden
herausgewachsner Roman kein Tendenzroman sein müsse, ja ein solcher gar
nicht sein dürfe. "Die Kunst, die Dichtung will nur das Menschlich-Bedeutungs¬
volle, reine Menschlichkeit darstellen. Menschlich-bedeutungsvoll im höchsten
Sinne des Worts ist aber das Verhältnis des Menschen zu Gott, zur Re¬
ligion. Ohne religiöses Empfinden, Sinnen, Ahnen, Zweifeln, Kämpfen,
Glauben, Hoffen, Lieben ist ein wahrer, warmblütiger, harmonischer Mensch
gar nicht zu denken, und wenn darum ein katholischer Dichter einen solchen
Menschen schildert, so wird er ihm ganz unabsichtlich und wie von selbst ein
Stück seiner eignen Seele geben, wahres religiöses Leben, das sich spontan
und immer in bedeutungsvoller, mich menschlich ergreifender Weise äußern muß.
Ein solches Werk nenne ich einen katholischen Roman, auch wenn nichts spe¬
zifisch Katholisches darin vorkommt. Wo hingegen diese lebendige, organische
Einheit des Charakters fehlt, wo religiöse Reflexionen (auch im Munde der
Personen) das individuelle Leben der Charaktere vernichten, wo die Tendenz
in der künstlerischen Komposition nicht völlig restlos aufgeht sondern einen Ge-
dankcnüberschuß in das Kunstwerk wirft, das, als solches, nur aus Anschauungen
besteht, da haben wir es mit einem Tendenzwerk zu tun, das auf ästhetisch-
literarische Würdigung wenig oder kein Recht geltend machen kann. Und nicht
bloß seinen literarischen Beruf wird ein solches Werk verfehlen, sondern in
den meisten Füllen auch den ihm aufgedrängten religiösen Zweck, weil für
unsre in Beziehung auf Bekehrungsversuche sehr mißtrauische Zeit nirgends
mehr als im religiösen Gebiete das Wort gilt: Man fühlt die Absicht, und
man ist verstimmt."

Es folgt eine ästhetische Abhandlung, in der Veremundus seine Ansichten
vom Wesen des Romans entwickelt. Sie sind sehr beachtenswert, aber wir
können nicht näher darauf eingehn. Es mag nur hervorgehoben werden, daß
nach seiner Theorie der Roman, wie jedes Kunstwerk, die Seele befreien muß,
und daß er nicht ein Weltbild malen, nicht Meinungen predigen, nicht Be¬
gebenheiten erzählen, sondern den Helden handeln lassen soll. Veremundus
adoptiert darum folgendes Urteil eines andern katholischen Kritikers, Keller,
über die Wahlverwandtschaften. "Mehr als in irgendeiner andern Dichtung
ist hier Goethe planvoll künstlerisch verfahren: das Aufkeimen wie das lang¬
same Wachsen der Leidenschaften offenbaren die reifste Meisterschaft der Dar¬
stellung. Man sollte daraufhin gar nichts andres als eine große Tat erwarte",


Ratholische Belletristik und Publizistik

Mit andern Worten, daß uns der Dichter mit ihrem Verlangen bekannt macht,
geschieht nicht aus katholischer Ostentation und seelsorglichen Rücksichten (auch
ein nicht katholischer Dichter Hütte es nach den gegebnen Voraussetzungen tuu
müssen), soudern weil es psychologisch und durch die Situation, vor allem
durch die von dem Dichter beabsichtigte Wirkung auf Polcmiecki, ihren Gatten,
geboten war." Katholische Romane und Tendenzromane seien leider in der
Auffassung der meisten Katholiken ein und dasselbe, es müsse aber grundsätzlich
daran festgehalten werden, daß ein aus katholischem Geist und Empfinden
herausgewachsner Roman kein Tendenzroman sein müsse, ja ein solcher gar
nicht sein dürfe. „Die Kunst, die Dichtung will nur das Menschlich-Bedeutungs¬
volle, reine Menschlichkeit darstellen. Menschlich-bedeutungsvoll im höchsten
Sinne des Worts ist aber das Verhältnis des Menschen zu Gott, zur Re¬
ligion. Ohne religiöses Empfinden, Sinnen, Ahnen, Zweifeln, Kämpfen,
Glauben, Hoffen, Lieben ist ein wahrer, warmblütiger, harmonischer Mensch
gar nicht zu denken, und wenn darum ein katholischer Dichter einen solchen
Menschen schildert, so wird er ihm ganz unabsichtlich und wie von selbst ein
Stück seiner eignen Seele geben, wahres religiöses Leben, das sich spontan
und immer in bedeutungsvoller, mich menschlich ergreifender Weise äußern muß.
Ein solches Werk nenne ich einen katholischen Roman, auch wenn nichts spe¬
zifisch Katholisches darin vorkommt. Wo hingegen diese lebendige, organische
Einheit des Charakters fehlt, wo religiöse Reflexionen (auch im Munde der
Personen) das individuelle Leben der Charaktere vernichten, wo die Tendenz
in der künstlerischen Komposition nicht völlig restlos aufgeht sondern einen Ge-
dankcnüberschuß in das Kunstwerk wirft, das, als solches, nur aus Anschauungen
besteht, da haben wir es mit einem Tendenzwerk zu tun, das auf ästhetisch-
literarische Würdigung wenig oder kein Recht geltend machen kann. Und nicht
bloß seinen literarischen Beruf wird ein solches Werk verfehlen, sondern in
den meisten Füllen auch den ihm aufgedrängten religiösen Zweck, weil für
unsre in Beziehung auf Bekehrungsversuche sehr mißtrauische Zeit nirgends
mehr als im religiösen Gebiete das Wort gilt: Man fühlt die Absicht, und
man ist verstimmt."

Es folgt eine ästhetische Abhandlung, in der Veremundus seine Ansichten
vom Wesen des Romans entwickelt. Sie sind sehr beachtenswert, aber wir
können nicht näher darauf eingehn. Es mag nur hervorgehoben werden, daß
nach seiner Theorie der Roman, wie jedes Kunstwerk, die Seele befreien muß,
und daß er nicht ein Weltbild malen, nicht Meinungen predigen, nicht Be¬
gebenheiten erzählen, sondern den Helden handeln lassen soll. Veremundus
adoptiert darum folgendes Urteil eines andern katholischen Kritikers, Keller,
über die Wahlverwandtschaften. „Mehr als in irgendeiner andern Dichtung
ist hier Goethe planvoll künstlerisch verfahren: das Aufkeimen wie das lang¬
same Wachsen der Leidenschaften offenbaren die reifste Meisterschaft der Dar¬
stellung. Man sollte daraufhin gar nichts andres als eine große Tat erwarte»,


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[0415] Ratholische Belletristik und Publizistik Mit andern Worten, daß uns der Dichter mit ihrem Verlangen bekannt macht, geschieht nicht aus katholischer Ostentation und seelsorglichen Rücksichten (auch ein nicht katholischer Dichter Hütte es nach den gegebnen Voraussetzungen tuu müssen), soudern weil es psychologisch und durch die Situation, vor allem durch die von dem Dichter beabsichtigte Wirkung auf Polcmiecki, ihren Gatten, geboten war." Katholische Romane und Tendenzromane seien leider in der Auffassung der meisten Katholiken ein und dasselbe, es müsse aber grundsätzlich daran festgehalten werden, daß ein aus katholischem Geist und Empfinden herausgewachsner Roman kein Tendenzroman sein müsse, ja ein solcher gar nicht sein dürfe. „Die Kunst, die Dichtung will nur das Menschlich-Bedeutungs¬ volle, reine Menschlichkeit darstellen. Menschlich-bedeutungsvoll im höchsten Sinne des Worts ist aber das Verhältnis des Menschen zu Gott, zur Re¬ ligion. Ohne religiöses Empfinden, Sinnen, Ahnen, Zweifeln, Kämpfen, Glauben, Hoffen, Lieben ist ein wahrer, warmblütiger, harmonischer Mensch gar nicht zu denken, und wenn darum ein katholischer Dichter einen solchen Menschen schildert, so wird er ihm ganz unabsichtlich und wie von selbst ein Stück seiner eignen Seele geben, wahres religiöses Leben, das sich spontan und immer in bedeutungsvoller, mich menschlich ergreifender Weise äußern muß. Ein solches Werk nenne ich einen katholischen Roman, auch wenn nichts spe¬ zifisch Katholisches darin vorkommt. Wo hingegen diese lebendige, organische Einheit des Charakters fehlt, wo religiöse Reflexionen (auch im Munde der Personen) das individuelle Leben der Charaktere vernichten, wo die Tendenz in der künstlerischen Komposition nicht völlig restlos aufgeht sondern einen Ge- dankcnüberschuß in das Kunstwerk wirft, das, als solches, nur aus Anschauungen besteht, da haben wir es mit einem Tendenzwerk zu tun, das auf ästhetisch- literarische Würdigung wenig oder kein Recht geltend machen kann. Und nicht bloß seinen literarischen Beruf wird ein solches Werk verfehlen, sondern in den meisten Füllen auch den ihm aufgedrängten religiösen Zweck, weil für unsre in Beziehung auf Bekehrungsversuche sehr mißtrauische Zeit nirgends mehr als im religiösen Gebiete das Wort gilt: Man fühlt die Absicht, und man ist verstimmt." Es folgt eine ästhetische Abhandlung, in der Veremundus seine Ansichten vom Wesen des Romans entwickelt. Sie sind sehr beachtenswert, aber wir können nicht näher darauf eingehn. Es mag nur hervorgehoben werden, daß nach seiner Theorie der Roman, wie jedes Kunstwerk, die Seele befreien muß, und daß er nicht ein Weltbild malen, nicht Meinungen predigen, nicht Be¬ gebenheiten erzählen, sondern den Helden handeln lassen soll. Veremundus adoptiert darum folgendes Urteil eines andern katholischen Kritikers, Keller, über die Wahlverwandtschaften. „Mehr als in irgendeiner andern Dichtung ist hier Goethe planvoll künstlerisch verfahren: das Aufkeimen wie das lang¬ same Wachsen der Leidenschaften offenbaren die reifste Meisterschaft der Dar¬ stellung. Man sollte daraufhin gar nichts andres als eine große Tat erwarte»,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/415>, abgerufen am 24.07.2024.