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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Ratholische Belletristik und Publizistik

Belletristik strebe mich Wahrheit; Wahrheit und Schönheit seien ihr Zwillings¬
schwestern. Freilich sei die künstlerische Wahrheit nicht die der Wissenschaft,
sondern poetische, oft nur subjektive Wahrheit. "Die Tatsachen des Lebens,
auch noch so exakt beobachtet und durchforscht, müssen erst durch das Medium
der dichterischen Individualität wie durch einen Filter hindurchgehu und werden
deshalb immer subjektiv gefärbt. Der Dichter vermag trotz allein Streben, in
der Form wie in der Sache objektiv zu bleiben, seine Wahrnehmungen doch
nur so wiederzugeben, wie er, und er allein, sie sieht. Poesie allerdings bleibt
Poesie, ob sie nun aus einem katholischen oder ans einem protestantischen Ge¬
müte entquillt, und es ist darum Unsinn, schlechthin von katholischer und nicht¬
katholischer Poesie reden zu wollen. Eine Verschiedenheit ist nur insofern
denkbar, als die poetischen Ideale von Dichtern verschiednen Glaubens ver¬
schieden sind, und als sie ihre poetischen Gedanken und Empfindungen an solche
Begebenheiten, Lebenserscheinungen, Seelenstimmungen, religiöse Überlieferungen
und Einrichtungen anknüpfen, die ihnen je nach ihrer Zugehörigkeit zu diesem
oder zu jenem Bekenntnis näher liegen. Insofern dürfen wir vou katholischer
Dichtung, müssen wir von katholischer Unterhaltungsliteratur reden. Den"
die Erzeugnisse dieser fallen ja nur zum kleinsten Teile unter den Begriff der
Dichtung, und in welchem Grade sie zum Tummelplatz unknnstlerischer Be¬
strebungen gemacht werden, das beweisen auf der einen Seite Richard Weit¬
brecht, auf der andern Conrad von Bolcmden. Hier auf dem Gebiete der
Tendenzbelletristik drängt sich das konfessionelle Uutcrschcidungswort von selbst
auf, wird uns die Bezeichnung geläufig, lind hier erwachst auch die Gefahr,
es bei belletristischen Werken so stark zu betonen, daß darüber alle andern Ge¬
sichtspunkte über Gebühr außer acht gelassen werden."

Da das Volk feinere Unterscheidungen nicht zu machen Pflege, so denke
es bei dem Ausdruck "katholische Belletristik" an gar nichts andres als an die
ihm bekannten Tendenzromane, und wenn katholische Literatur so nachdrücklich
gefordert werde, setze sich bei ihm die Ansicht fest, es sei unerlaubt, andre als
solche Geschichte,, zu lesen, die ihre katholische Tendenz deutlich zur Schau
tragen. Aber gerade solche Romane, von denen ja manche, wie die der hoch¬
begabten Hahn-Hahn, ihre Vorzüge hätten, seien vom ästhetischen Standpunkt
aus gesehen nicht existenzberechtigt. An einem einzelnen Beispiele wird gezeigt,
auf welchem Punkte die Berechtigung der katholischen Färbung aufhört und
die Tendenz anfängt. In einem Roman von Sinkiewicz verlangt eine fromme
Person in der Krankheit den Beichtvater. "Das ist vom katholischen Stand¬
punkte durchaus in Ordnung. Daß jedoch der Dichter die Tatsache erwähnt,
hat seinen Grund nicht (und soll ihn nicht haben) in dem erzieherisch-pedan¬
tischen Bedenken, der Tod einer katholischen Frau ohne Sakramentenempfang
könne für den gläubigen Leser ein Ärgernis sein, sondern in der innern Not¬
wendigkeit, daß der tiefreligiöse Sinn Marynias sich auch in diesem kirchlichen
Akt betätige, wenn ihr schönes Charakterbild vollendet vor uns stehen soll.


Ratholische Belletristik und Publizistik

Belletristik strebe mich Wahrheit; Wahrheit und Schönheit seien ihr Zwillings¬
schwestern. Freilich sei die künstlerische Wahrheit nicht die der Wissenschaft,
sondern poetische, oft nur subjektive Wahrheit. „Die Tatsachen des Lebens,
auch noch so exakt beobachtet und durchforscht, müssen erst durch das Medium
der dichterischen Individualität wie durch einen Filter hindurchgehu und werden
deshalb immer subjektiv gefärbt. Der Dichter vermag trotz allein Streben, in
der Form wie in der Sache objektiv zu bleiben, seine Wahrnehmungen doch
nur so wiederzugeben, wie er, und er allein, sie sieht. Poesie allerdings bleibt
Poesie, ob sie nun aus einem katholischen oder ans einem protestantischen Ge¬
müte entquillt, und es ist darum Unsinn, schlechthin von katholischer und nicht¬
katholischer Poesie reden zu wollen. Eine Verschiedenheit ist nur insofern
denkbar, als die poetischen Ideale von Dichtern verschiednen Glaubens ver¬
schieden sind, und als sie ihre poetischen Gedanken und Empfindungen an solche
Begebenheiten, Lebenserscheinungen, Seelenstimmungen, religiöse Überlieferungen
und Einrichtungen anknüpfen, die ihnen je nach ihrer Zugehörigkeit zu diesem
oder zu jenem Bekenntnis näher liegen. Insofern dürfen wir vou katholischer
Dichtung, müssen wir von katholischer Unterhaltungsliteratur reden. Den»
die Erzeugnisse dieser fallen ja nur zum kleinsten Teile unter den Begriff der
Dichtung, und in welchem Grade sie zum Tummelplatz unknnstlerischer Be¬
strebungen gemacht werden, das beweisen auf der einen Seite Richard Weit¬
brecht, auf der andern Conrad von Bolcmden. Hier auf dem Gebiete der
Tendenzbelletristik drängt sich das konfessionelle Uutcrschcidungswort von selbst
auf, wird uns die Bezeichnung geläufig, lind hier erwachst auch die Gefahr,
es bei belletristischen Werken so stark zu betonen, daß darüber alle andern Ge¬
sichtspunkte über Gebühr außer acht gelassen werden."

Da das Volk feinere Unterscheidungen nicht zu machen Pflege, so denke
es bei dem Ausdruck „katholische Belletristik" an gar nichts andres als an die
ihm bekannten Tendenzromane, und wenn katholische Literatur so nachdrücklich
gefordert werde, setze sich bei ihm die Ansicht fest, es sei unerlaubt, andre als
solche Geschichte,, zu lesen, die ihre katholische Tendenz deutlich zur Schau
tragen. Aber gerade solche Romane, von denen ja manche, wie die der hoch¬
begabten Hahn-Hahn, ihre Vorzüge hätten, seien vom ästhetischen Standpunkt
aus gesehen nicht existenzberechtigt. An einem einzelnen Beispiele wird gezeigt,
auf welchem Punkte die Berechtigung der katholischen Färbung aufhört und
die Tendenz anfängt. In einem Roman von Sinkiewicz verlangt eine fromme
Person in der Krankheit den Beichtvater. „Das ist vom katholischen Stand¬
punkte durchaus in Ordnung. Daß jedoch der Dichter die Tatsache erwähnt,
hat seinen Grund nicht (und soll ihn nicht haben) in dem erzieherisch-pedan¬
tischen Bedenken, der Tod einer katholischen Frau ohne Sakramentenempfang
könne für den gläubigen Leser ein Ärgernis sein, sondern in der innern Not¬
wendigkeit, daß der tiefreligiöse Sinn Marynias sich auch in diesem kirchlichen
Akt betätige, wenn ihr schönes Charakterbild vollendet vor uns stehen soll.


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[0414] Ratholische Belletristik und Publizistik Belletristik strebe mich Wahrheit; Wahrheit und Schönheit seien ihr Zwillings¬ schwestern. Freilich sei die künstlerische Wahrheit nicht die der Wissenschaft, sondern poetische, oft nur subjektive Wahrheit. „Die Tatsachen des Lebens, auch noch so exakt beobachtet und durchforscht, müssen erst durch das Medium der dichterischen Individualität wie durch einen Filter hindurchgehu und werden deshalb immer subjektiv gefärbt. Der Dichter vermag trotz allein Streben, in der Form wie in der Sache objektiv zu bleiben, seine Wahrnehmungen doch nur so wiederzugeben, wie er, und er allein, sie sieht. Poesie allerdings bleibt Poesie, ob sie nun aus einem katholischen oder ans einem protestantischen Ge¬ müte entquillt, und es ist darum Unsinn, schlechthin von katholischer und nicht¬ katholischer Poesie reden zu wollen. Eine Verschiedenheit ist nur insofern denkbar, als die poetischen Ideale von Dichtern verschiednen Glaubens ver¬ schieden sind, und als sie ihre poetischen Gedanken und Empfindungen an solche Begebenheiten, Lebenserscheinungen, Seelenstimmungen, religiöse Überlieferungen und Einrichtungen anknüpfen, die ihnen je nach ihrer Zugehörigkeit zu diesem oder zu jenem Bekenntnis näher liegen. Insofern dürfen wir vou katholischer Dichtung, müssen wir von katholischer Unterhaltungsliteratur reden. Den» die Erzeugnisse dieser fallen ja nur zum kleinsten Teile unter den Begriff der Dichtung, und in welchem Grade sie zum Tummelplatz unknnstlerischer Be¬ strebungen gemacht werden, das beweisen auf der einen Seite Richard Weit¬ brecht, auf der andern Conrad von Bolcmden. Hier auf dem Gebiete der Tendenzbelletristik drängt sich das konfessionelle Uutcrschcidungswort von selbst auf, wird uns die Bezeichnung geläufig, lind hier erwachst auch die Gefahr, es bei belletristischen Werken so stark zu betonen, daß darüber alle andern Ge¬ sichtspunkte über Gebühr außer acht gelassen werden." Da das Volk feinere Unterscheidungen nicht zu machen Pflege, so denke es bei dem Ausdruck „katholische Belletristik" an gar nichts andres als an die ihm bekannten Tendenzromane, und wenn katholische Literatur so nachdrücklich gefordert werde, setze sich bei ihm die Ansicht fest, es sei unerlaubt, andre als solche Geschichte,, zu lesen, die ihre katholische Tendenz deutlich zur Schau tragen. Aber gerade solche Romane, von denen ja manche, wie die der hoch¬ begabten Hahn-Hahn, ihre Vorzüge hätten, seien vom ästhetischen Standpunkt aus gesehen nicht existenzberechtigt. An einem einzelnen Beispiele wird gezeigt, auf welchem Punkte die Berechtigung der katholischen Färbung aufhört und die Tendenz anfängt. In einem Roman von Sinkiewicz verlangt eine fromme Person in der Krankheit den Beichtvater. „Das ist vom katholischen Stand¬ punkte durchaus in Ordnung. Daß jedoch der Dichter die Tatsache erwähnt, hat seinen Grund nicht (und soll ihn nicht haben) in dem erzieherisch-pedan¬ tischen Bedenken, der Tod einer katholischen Frau ohne Sakramentenempfang könne für den gläubigen Leser ein Ärgernis sein, sondern in der innern Not¬ wendigkeit, daß der tiefreligiöse Sinn Marynias sich auch in diesem kirchlichen Akt betätige, wenn ihr schönes Charakterbild vollendet vor uns stehen soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/414>, abgerufen am 24.07.2024.