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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Belletristik und Publizistik

Haupt mit Ernst zu reden, ist schwer, und man kann es angesichts dieses Mi߬
brauchs der Romanform zwar nicht gutheißen, aber doch begreifen, wenn der
Roman überhaupt von ernsten Männern mit Geringschätzung behandelt und
höchstens wegen seiner unterhaltenden Form noch für gut genug erachtet wird,
bestimmte!? Ideen damit größere Verbreitung zu verschaffen. Und wenn wir
sehen, wie Tausende und Abertausende vou Federn in diesem Genre unauf¬
hörlich tätig sind, in einer schlau berechneten Geschichte dem harmlosen Leser die
bizarrsten Ideen einzuimpfen, wenn wir sehen, wie der Sozialpolitiker seine
wirtschaftlichen Entdeckungen, der Philosoph seine Hnmanitütsgedanken, der
Naturwissenschaftler seine Weltanschauung, der Anhänger der Friedensliga seine
Abrüstungsschwärmerei, der Spiritist seiue Geistertheorien, der Moralrevolutionür
seine Ethik, die Frnuenrechtleriu ihre Reformgedanken, der Abstinenzler seine
Vesserungsvorschlüge, der Kulturkümpfer seine Intoleranz auf diese Weise zu
popularisieren sucht, warum sollte dann, bloß vom Konkurrcnzstcmdpuukt aus
betrachtet, die gleiche Form uns zu gut sein als Mittel, unsern Ideen Vor¬
schub zu leisten, sie in dem dialektischen Für und Wider einer fein berechneten
Konversation dem Leser in überzeugender Weise nahe zu bringen?"

Veremuudus lehnt diese Methode trotzdem ab. Angenommen, meint er,
es gelänge, eine solche katholische Tendenzliteratur zu zündte" (oder vielmehr,
da sie schon vorhanden ist, ihr Quantum zu vergrößern), was wäre damit er¬
reicht? Kaum viel mehr, als daß eine gar nicht existenzberechtigte Literatur¬
gattung bereichert würde. Wer eine katholische Literatur, die diesen Namen
verdient, fördern wolle, der habe das Gegenteil zu tun, der müsse "den Roman
gegen alle außerhalb der Poesie und der Kunst liegende" Ansprüche verteidigen.
Das wäre eine verdienstvolle literarische Tat, aber freilich auch ein Wagnis
gewesen. Denn es ist Tatsache, daß es in katholischen Kreisen eine große
Anzahl öffentlich einflußreicher Männer gibt, die teils aus einem ästhetischen
Vorurteil, teils aus gewissen, durch die schlechte Literatur allerdings gerecht¬
fertigten pädagogischen Vedeukeu dem Roman und der Romanlektüre so ab¬
lehnend gegenüberstehn, daß sie beides entweder gänzlich verwerfen oder nur
als ein unvermeidliches Übel gelten lassen." Die den Roman ganz verbannen
"vollen, werden jedoch schon von den andern widerlegt, die richtig erkannt
haben, daß man das "Übel" nicht loswerden kann. "Je mehr gegen das
Romanlesen geeifert wird, desto mehr nimmt es zu." Ein Übel aber "sind
nur schlechte Romane, und diese sind nicht notwendig. Was ist also logischer,
als daß wir, die Notwendigkeit des Bestehens belletristischer Unterhaltung
einmal zugestanden, unsre ganze Sorge darauf richte", der Hervorbringung
guter Romane nicht nur nicht hinderlich zu sein, sondern sie, soweit dies möglich,
nach Kräften zu unterstützen und zu fördern?"

Wenn es nun aber die katholische Belletristik sein soll, die man fördern
will, was ist damit gemeint? Der Freiherr von Hertling habe dargetan, wie
das scheinbare Antitheton "katholische Wissenschaft" zu verstehn sei. Auch die


Katholische Belletristik und Publizistik

Haupt mit Ernst zu reden, ist schwer, und man kann es angesichts dieses Mi߬
brauchs der Romanform zwar nicht gutheißen, aber doch begreifen, wenn der
Roman überhaupt von ernsten Männern mit Geringschätzung behandelt und
höchstens wegen seiner unterhaltenden Form noch für gut genug erachtet wird,
bestimmte!? Ideen damit größere Verbreitung zu verschaffen. Und wenn wir
sehen, wie Tausende und Abertausende vou Federn in diesem Genre unauf¬
hörlich tätig sind, in einer schlau berechneten Geschichte dem harmlosen Leser die
bizarrsten Ideen einzuimpfen, wenn wir sehen, wie der Sozialpolitiker seine
wirtschaftlichen Entdeckungen, der Philosoph seine Hnmanitütsgedanken, der
Naturwissenschaftler seine Weltanschauung, der Anhänger der Friedensliga seine
Abrüstungsschwärmerei, der Spiritist seiue Geistertheorien, der Moralrevolutionür
seine Ethik, die Frnuenrechtleriu ihre Reformgedanken, der Abstinenzler seine
Vesserungsvorschlüge, der Kulturkümpfer seine Intoleranz auf diese Weise zu
popularisieren sucht, warum sollte dann, bloß vom Konkurrcnzstcmdpuukt aus
betrachtet, die gleiche Form uns zu gut sein als Mittel, unsern Ideen Vor¬
schub zu leisten, sie in dem dialektischen Für und Wider einer fein berechneten
Konversation dem Leser in überzeugender Weise nahe zu bringen?"

Veremuudus lehnt diese Methode trotzdem ab. Angenommen, meint er,
es gelänge, eine solche katholische Tendenzliteratur zu zündte» (oder vielmehr,
da sie schon vorhanden ist, ihr Quantum zu vergrößern), was wäre damit er¬
reicht? Kaum viel mehr, als daß eine gar nicht existenzberechtigte Literatur¬
gattung bereichert würde. Wer eine katholische Literatur, die diesen Namen
verdient, fördern wolle, der habe das Gegenteil zu tun, der müsse „den Roman
gegen alle außerhalb der Poesie und der Kunst liegende» Ansprüche verteidigen.
Das wäre eine verdienstvolle literarische Tat, aber freilich auch ein Wagnis
gewesen. Denn es ist Tatsache, daß es in katholischen Kreisen eine große
Anzahl öffentlich einflußreicher Männer gibt, die teils aus einem ästhetischen
Vorurteil, teils aus gewissen, durch die schlechte Literatur allerdings gerecht¬
fertigten pädagogischen Vedeukeu dem Roman und der Romanlektüre so ab¬
lehnend gegenüberstehn, daß sie beides entweder gänzlich verwerfen oder nur
als ein unvermeidliches Übel gelten lassen." Die den Roman ganz verbannen
»vollen, werden jedoch schon von den andern widerlegt, die richtig erkannt
haben, daß man das „Übel" nicht loswerden kann. „Je mehr gegen das
Romanlesen geeifert wird, desto mehr nimmt es zu." Ein Übel aber „sind
nur schlechte Romane, und diese sind nicht notwendig. Was ist also logischer,
als daß wir, die Notwendigkeit des Bestehens belletristischer Unterhaltung
einmal zugestanden, unsre ganze Sorge darauf richte«, der Hervorbringung
guter Romane nicht nur nicht hinderlich zu sein, sondern sie, soweit dies möglich,
nach Kräften zu unterstützen und zu fördern?"

Wenn es nun aber die katholische Belletristik sein soll, die man fördern
will, was ist damit gemeint? Der Freiherr von Hertling habe dargetan, wie
das scheinbare Antitheton „katholische Wissenschaft" zu verstehn sei. Auch die


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[0413] Katholische Belletristik und Publizistik Haupt mit Ernst zu reden, ist schwer, und man kann es angesichts dieses Mi߬ brauchs der Romanform zwar nicht gutheißen, aber doch begreifen, wenn der Roman überhaupt von ernsten Männern mit Geringschätzung behandelt und höchstens wegen seiner unterhaltenden Form noch für gut genug erachtet wird, bestimmte!? Ideen damit größere Verbreitung zu verschaffen. Und wenn wir sehen, wie Tausende und Abertausende vou Federn in diesem Genre unauf¬ hörlich tätig sind, in einer schlau berechneten Geschichte dem harmlosen Leser die bizarrsten Ideen einzuimpfen, wenn wir sehen, wie der Sozialpolitiker seine wirtschaftlichen Entdeckungen, der Philosoph seine Hnmanitütsgedanken, der Naturwissenschaftler seine Weltanschauung, der Anhänger der Friedensliga seine Abrüstungsschwärmerei, der Spiritist seiue Geistertheorien, der Moralrevolutionür seine Ethik, die Frnuenrechtleriu ihre Reformgedanken, der Abstinenzler seine Vesserungsvorschlüge, der Kulturkümpfer seine Intoleranz auf diese Weise zu popularisieren sucht, warum sollte dann, bloß vom Konkurrcnzstcmdpuukt aus betrachtet, die gleiche Form uns zu gut sein als Mittel, unsern Ideen Vor¬ schub zu leisten, sie in dem dialektischen Für und Wider einer fein berechneten Konversation dem Leser in überzeugender Weise nahe zu bringen?" Veremuudus lehnt diese Methode trotzdem ab. Angenommen, meint er, es gelänge, eine solche katholische Tendenzliteratur zu zündte» (oder vielmehr, da sie schon vorhanden ist, ihr Quantum zu vergrößern), was wäre damit er¬ reicht? Kaum viel mehr, als daß eine gar nicht existenzberechtigte Literatur¬ gattung bereichert würde. Wer eine katholische Literatur, die diesen Namen verdient, fördern wolle, der habe das Gegenteil zu tun, der müsse „den Roman gegen alle außerhalb der Poesie und der Kunst liegende» Ansprüche verteidigen. Das wäre eine verdienstvolle literarische Tat, aber freilich auch ein Wagnis gewesen. Denn es ist Tatsache, daß es in katholischen Kreisen eine große Anzahl öffentlich einflußreicher Männer gibt, die teils aus einem ästhetischen Vorurteil, teils aus gewissen, durch die schlechte Literatur allerdings gerecht¬ fertigten pädagogischen Vedeukeu dem Roman und der Romanlektüre so ab¬ lehnend gegenüberstehn, daß sie beides entweder gänzlich verwerfen oder nur als ein unvermeidliches Übel gelten lassen." Die den Roman ganz verbannen »vollen, werden jedoch schon von den andern widerlegt, die richtig erkannt haben, daß man das „Übel" nicht loswerden kann. „Je mehr gegen das Romanlesen geeifert wird, desto mehr nimmt es zu." Ein Übel aber „sind nur schlechte Romane, und diese sind nicht notwendig. Was ist also logischer, als daß wir, die Notwendigkeit des Bestehens belletristischer Unterhaltung einmal zugestanden, unsre ganze Sorge darauf richte«, der Hervorbringung guter Romane nicht nur nicht hinderlich zu sein, sondern sie, soweit dies möglich, nach Kräften zu unterstützen und zu fördern?" Wenn es nun aber die katholische Belletristik sein soll, die man fördern will, was ist damit gemeint? Der Freiherr von Hertling habe dargetan, wie das scheinbare Antitheton „katholische Wissenschaft" zu verstehn sei. Auch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/413>, abgerufen am 25.07.2024.