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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Ratholische Belletristik und Publizistik

Gebiete kennen lernt. Die Katholiken haben nun wohl genug Gelegenheit,
protestantische Zeitschriften und Romane zu lesen, sie finden solche in der
Journalmappe, im Cafe, dagegen sind katholische Literatnrerzeugnisse nicht
einmal an katholischen Orten allgemein verbreitet und dringen kaum über
diese hinaus.

Im Jahre 1898 hat Karl Muth unter dem Pseudonym Veremundus
bei Franz Kirchheim in Mainz eine Broschüre veröffentlicht, der es beschieden
war, Epoche zu machen: Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der
Zeit? Die Tatsache hatte ich aus den Zeitungen erfahren, aber über den
Inhalt hatte keine ausführlich berichtet, und so habe ich diesen erst jetzt kennen
gelernt.*) Nachdem Hertling und Schelk die heutige Inferiorität der Katholiken
ans dem wissenschaftlichen Gebiet eingestanden und zu erklären verflicht hatten,
legte der Katholikentag zu Landshut in Beziehung auf die schöne Literatur das¬
selbe Geständnis ab. Zur Abhilfe schlug ein Rektor Huppert vor, die katholischen
Schriftsteller lind Schriftstellerinnen sollten ihre Geschichten nicht so oft in
Adels- oder reichen Bürgerkreisen spielen lassen, sondern sich mehr dem klein¬
bürgerlichen Leben zuwenden. Auch gewisse brennende Fragen sollten von
Katholiken ausgiebig in groß angelegten Romanen behandelt werden, wogegen
man der Liebesgeschichten gerade genug habe für eine lange Reihe von Jahren.
Er mahnte die katholischen Männer, namentlich die Professoren, sie möchten
es nicht unter ihrer Würde erachten, sich nach berühmten Mustern auch auf
dem schöngeistigen Gebiete zu beendigen. Veremnudus protestiert gegen diese
Art und Weise, die Angelegenheit zu behandeln. Wenn man die Nomanform
für Zwecke empfehle, die außerhalb der Kunst liegen, so werde man damit
weiter nichts erreichen, als Herabsetzung des künstlerischen Ansehens des Ro¬
mans in der öffentlichen Meinung. Die bei weitem überwiegende Zahl der
alljährlich erscheinenden Romane, schreibt er, "hat mit der Kunst und im be¬
sondern mit der Poesie so gut wie nichts zu tun. Sie sind entweder Not-
produktc erwerbsbedürftiger Schriftsteller, oder Früchte weiblicher Schreib- und
Fabulierseligkeit, sofern ihnen nicht in fast gleich vielen Füllen nur der Ehr¬
geiz, literarisch von sich reden zu machen, oder die Absicht, durch sie Ideen zu
kolportieren, Gevatter gestanden hat. Sie sind gleichgiltig für die Literatur¬
geschichte; denn sie erfinden nichts, sie schaffen kein neues Lebe" und ver¬
mehren keines; dieses tun sie höchstens, wie Eichendorff sagt, durch ihre Lang¬
weiligkeit. Den Konsumenten aber sind sie Futter für die verschiedenstell
Bedürfnisse, unter denen das der poetischen Anregung, der künstlerischen Er¬
hebung an allerletzter Stelle steht. Von einer solchen Literaturgattung über-



") Daß sie, woran ich nachträglich erinnert werde, in den Grenzboten schon besprochen
worden ist, und zwar im 47. Heft des Jahrgangs 1898, hatte ich vergessen. Die damalige
Besprechung hatte einen andern Zweck als die meine; der Verfasser begrüßt zwar ebenfalls den
Veremundus als eine erfreuliche Erscheinung, aber kritisiert ihn auch. Daß einige Zitate aus diesem
hier wiederkehren, dürste nicht schaden, da sie die Grenzbotenleser wohl längst vergesse" haben.
Ratholische Belletristik und Publizistik

Gebiete kennen lernt. Die Katholiken haben nun wohl genug Gelegenheit,
protestantische Zeitschriften und Romane zu lesen, sie finden solche in der
Journalmappe, im Cafe, dagegen sind katholische Literatnrerzeugnisse nicht
einmal an katholischen Orten allgemein verbreitet und dringen kaum über
diese hinaus.

Im Jahre 1898 hat Karl Muth unter dem Pseudonym Veremundus
bei Franz Kirchheim in Mainz eine Broschüre veröffentlicht, der es beschieden
war, Epoche zu machen: Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der
Zeit? Die Tatsache hatte ich aus den Zeitungen erfahren, aber über den
Inhalt hatte keine ausführlich berichtet, und so habe ich diesen erst jetzt kennen
gelernt.*) Nachdem Hertling und Schelk die heutige Inferiorität der Katholiken
ans dem wissenschaftlichen Gebiet eingestanden und zu erklären verflicht hatten,
legte der Katholikentag zu Landshut in Beziehung auf die schöne Literatur das¬
selbe Geständnis ab. Zur Abhilfe schlug ein Rektor Huppert vor, die katholischen
Schriftsteller lind Schriftstellerinnen sollten ihre Geschichten nicht so oft in
Adels- oder reichen Bürgerkreisen spielen lassen, sondern sich mehr dem klein¬
bürgerlichen Leben zuwenden. Auch gewisse brennende Fragen sollten von
Katholiken ausgiebig in groß angelegten Romanen behandelt werden, wogegen
man der Liebesgeschichten gerade genug habe für eine lange Reihe von Jahren.
Er mahnte die katholischen Männer, namentlich die Professoren, sie möchten
es nicht unter ihrer Würde erachten, sich nach berühmten Mustern auch auf
dem schöngeistigen Gebiete zu beendigen. Veremnudus protestiert gegen diese
Art und Weise, die Angelegenheit zu behandeln. Wenn man die Nomanform
für Zwecke empfehle, die außerhalb der Kunst liegen, so werde man damit
weiter nichts erreichen, als Herabsetzung des künstlerischen Ansehens des Ro¬
mans in der öffentlichen Meinung. Die bei weitem überwiegende Zahl der
alljährlich erscheinenden Romane, schreibt er, „hat mit der Kunst und im be¬
sondern mit der Poesie so gut wie nichts zu tun. Sie sind entweder Not-
produktc erwerbsbedürftiger Schriftsteller, oder Früchte weiblicher Schreib- und
Fabulierseligkeit, sofern ihnen nicht in fast gleich vielen Füllen nur der Ehr¬
geiz, literarisch von sich reden zu machen, oder die Absicht, durch sie Ideen zu
kolportieren, Gevatter gestanden hat. Sie sind gleichgiltig für die Literatur¬
geschichte; denn sie erfinden nichts, sie schaffen kein neues Lebe» und ver¬
mehren keines; dieses tun sie höchstens, wie Eichendorff sagt, durch ihre Lang¬
weiligkeit. Den Konsumenten aber sind sie Futter für die verschiedenstell
Bedürfnisse, unter denen das der poetischen Anregung, der künstlerischen Er¬
hebung an allerletzter Stelle steht. Von einer solchen Literaturgattung über-



") Daß sie, woran ich nachträglich erinnert werde, in den Grenzboten schon besprochen
worden ist, und zwar im 47. Heft des Jahrgangs 1898, hatte ich vergessen. Die damalige
Besprechung hatte einen andern Zweck als die meine; der Verfasser begrüßt zwar ebenfalls den
Veremundus als eine erfreuliche Erscheinung, aber kritisiert ihn auch. Daß einige Zitate aus diesem
hier wiederkehren, dürste nicht schaden, da sie die Grenzbotenleser wohl längst vergesse» haben.
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[0412] Ratholische Belletristik und Publizistik Gebiete kennen lernt. Die Katholiken haben nun wohl genug Gelegenheit, protestantische Zeitschriften und Romane zu lesen, sie finden solche in der Journalmappe, im Cafe, dagegen sind katholische Literatnrerzeugnisse nicht einmal an katholischen Orten allgemein verbreitet und dringen kaum über diese hinaus. Im Jahre 1898 hat Karl Muth unter dem Pseudonym Veremundus bei Franz Kirchheim in Mainz eine Broschüre veröffentlicht, der es beschieden war, Epoche zu machen: Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Die Tatsache hatte ich aus den Zeitungen erfahren, aber über den Inhalt hatte keine ausführlich berichtet, und so habe ich diesen erst jetzt kennen gelernt.*) Nachdem Hertling und Schelk die heutige Inferiorität der Katholiken ans dem wissenschaftlichen Gebiet eingestanden und zu erklären verflicht hatten, legte der Katholikentag zu Landshut in Beziehung auf die schöne Literatur das¬ selbe Geständnis ab. Zur Abhilfe schlug ein Rektor Huppert vor, die katholischen Schriftsteller lind Schriftstellerinnen sollten ihre Geschichten nicht so oft in Adels- oder reichen Bürgerkreisen spielen lassen, sondern sich mehr dem klein¬ bürgerlichen Leben zuwenden. Auch gewisse brennende Fragen sollten von Katholiken ausgiebig in groß angelegten Romanen behandelt werden, wogegen man der Liebesgeschichten gerade genug habe für eine lange Reihe von Jahren. Er mahnte die katholischen Männer, namentlich die Professoren, sie möchten es nicht unter ihrer Würde erachten, sich nach berühmten Mustern auch auf dem schöngeistigen Gebiete zu beendigen. Veremnudus protestiert gegen diese Art und Weise, die Angelegenheit zu behandeln. Wenn man die Nomanform für Zwecke empfehle, die außerhalb der Kunst liegen, so werde man damit weiter nichts erreichen, als Herabsetzung des künstlerischen Ansehens des Ro¬ mans in der öffentlichen Meinung. Die bei weitem überwiegende Zahl der alljährlich erscheinenden Romane, schreibt er, „hat mit der Kunst und im be¬ sondern mit der Poesie so gut wie nichts zu tun. Sie sind entweder Not- produktc erwerbsbedürftiger Schriftsteller, oder Früchte weiblicher Schreib- und Fabulierseligkeit, sofern ihnen nicht in fast gleich vielen Füllen nur der Ehr¬ geiz, literarisch von sich reden zu machen, oder die Absicht, durch sie Ideen zu kolportieren, Gevatter gestanden hat. Sie sind gleichgiltig für die Literatur¬ geschichte; denn sie erfinden nichts, sie schaffen kein neues Lebe» und ver¬ mehren keines; dieses tun sie höchstens, wie Eichendorff sagt, durch ihre Lang¬ weiligkeit. Den Konsumenten aber sind sie Futter für die verschiedenstell Bedürfnisse, unter denen das der poetischen Anregung, der künstlerischen Er¬ hebung an allerletzter Stelle steht. Von einer solchen Literaturgattung über- ") Daß sie, woran ich nachträglich erinnert werde, in den Grenzboten schon besprochen worden ist, und zwar im 47. Heft des Jahrgangs 1898, hatte ich vergessen. Die damalige Besprechung hatte einen andern Zweck als die meine; der Verfasser begrüßt zwar ebenfalls den Veremundus als eine erfreuliche Erscheinung, aber kritisiert ihn auch. Daß einige Zitate aus diesem hier wiederkehren, dürste nicht schaden, da sie die Grenzbotenleser wohl längst vergesse» haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/412>, abgerufen am 04.07.2024.