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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Line Ferienfahrt nach Brasilien

saal, hatten sehr bedeutende Dimensionen, waren aber nur in der allereinfachsten
Weise möbliert. Das Zimmer des schon verheirateten jungen Herrn war nur
mit einem alten gebeizten Schreibtisch, einem Stuhl und einer Anzahl von
Spucknäpfen ausgestattet; im Speisesaal war eine der Dame des Hauses als
Sitz dienende Hängematte angebracht, die übrige Einrichtung bestand, abgesehen
von Spuckuäpfen, nur aus Büfett, Tisch und zahlreichen, in einer langen Reihe
an der Wand stehenden Stühlen, alles von der ursprünglichsten Ausführung.
Der einzige Wandschmuck waren farbige Reklameschilder von Seifen- und Zi¬
garettenfabriken. Später sagte uns Herr Müller, daß diese Art von Ausstattung
für die sich im Besitz von Portugiesen befindenden Faeenden typisch sei. Wir
wurden mit vorzüglicher Limonade bewirtet und dann durch den Garten bis auf
die Spitze einer Landzunge geführt, an der sich der Atibaja und der Jaguary
zum Piracicabci vereinigen. Es war ein Genuß, im Garten Umschau zu halten;
die Zitronen- und die Orangenbäume mit einer überreichen Fülle von goldnen
Früchten waren weitaus die schönsten, die wir auf der ganzen Reise gesehen
haben. Die Besitzerin teilte uns mit, daß sie den Wasserfall, dessen Kraft sich
in der wasserärmsten Zeit noch auf 4000 Pferdekräfte belaufen soll, für
100 Contos (100 000 Milreis ^ 150000 Mark) verkaufen wolle. Ein kapital¬
kräftiger Käufer, der nötigenfalls eine Reihe von Jahren mit der Verwertung
der Wasserkraft warten kann, wird bei diesem Geschäft sicherlich auf seine Kosten
kommen. Leider waren wir nicht in der Lage, auf die Sache einzugehn.

Der zweite Tag war mehr den Wäldern gewidmet. Von einem Walde
sahen wir allerdings nur noch die Reste, da der Besitzer erst vor kurzem das
immer noch gebräuchliche Verfahren des Abbrennens angewandt hatte, um das
Land urbar zu machen. Einzelne vollsaftige Bäume hatte das Feuer nicht zu
stürzen und zu verzehren vermocht, sodaß noch halbhohe, geschwärzte Stämme
mit Ästen, die von der Hitze verdreht waren, gespenstisch emporragten, andre
Bäume lagen halb verbrannt am Boden; von den meisten aber waren nur ver¬
kohlte Stümpfe übrig geblieben. Einen erfreulichen Gegensatz zu diesem trau¬
rigen Anblick bot ein andrer Wald, worin wir eine längere Rast machten. Es
war ein Wald, der schon durchforstet worden war, sodaß die Stämme nicht
mehr allzu dicht standen. In dem Bestände waren unter andern starke und
gerade gewachsene Perobabäume, deren Holz als Bauholz geschätzt wird. Die
Lianen hingen meist senkrecht von den Asten zum Erdboden herab, ohne sich
von Stamm zu Stamm zu winden und sich untereinander zu einem unent¬
wirrbaren Geflecht zu verschlingen. Die Lianen dieser Art waren übrigens so
fest, daß unsre jungen Herren an ihnen wie an Tauen ein gutes Stück in die
Höhe klettern konnten. Während wir die im Trolly mitgebrachten Orangen
verzehrten, führte ein athletisch gebauter Mulatte sechs Paar Ochsen heran, die
vor ein auf eine Achse gesetztes und mit Ketten versehenes Gestell gespannt waren.
Er hatte die Aufgabe, einen in einer Lichtung liegenden großen Stamm aus
dem Walde zu schaffen. Die Arbeit war schwierig, weil das Gefährt, sobald


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saal, hatten sehr bedeutende Dimensionen, waren aber nur in der allereinfachsten
Weise möbliert. Das Zimmer des schon verheirateten jungen Herrn war nur
mit einem alten gebeizten Schreibtisch, einem Stuhl und einer Anzahl von
Spucknäpfen ausgestattet; im Speisesaal war eine der Dame des Hauses als
Sitz dienende Hängematte angebracht, die übrige Einrichtung bestand, abgesehen
von Spuckuäpfen, nur aus Büfett, Tisch und zahlreichen, in einer langen Reihe
an der Wand stehenden Stühlen, alles von der ursprünglichsten Ausführung.
Der einzige Wandschmuck waren farbige Reklameschilder von Seifen- und Zi¬
garettenfabriken. Später sagte uns Herr Müller, daß diese Art von Ausstattung
für die sich im Besitz von Portugiesen befindenden Faeenden typisch sei. Wir
wurden mit vorzüglicher Limonade bewirtet und dann durch den Garten bis auf
die Spitze einer Landzunge geführt, an der sich der Atibaja und der Jaguary
zum Piracicabci vereinigen. Es war ein Genuß, im Garten Umschau zu halten;
die Zitronen- und die Orangenbäume mit einer überreichen Fülle von goldnen
Früchten waren weitaus die schönsten, die wir auf der ganzen Reise gesehen
haben. Die Besitzerin teilte uns mit, daß sie den Wasserfall, dessen Kraft sich
in der wasserärmsten Zeit noch auf 4000 Pferdekräfte belaufen soll, für
100 Contos (100 000 Milreis ^ 150000 Mark) verkaufen wolle. Ein kapital¬
kräftiger Käufer, der nötigenfalls eine Reihe von Jahren mit der Verwertung
der Wasserkraft warten kann, wird bei diesem Geschäft sicherlich auf seine Kosten
kommen. Leider waren wir nicht in der Lage, auf die Sache einzugehn.

Der zweite Tag war mehr den Wäldern gewidmet. Von einem Walde
sahen wir allerdings nur noch die Reste, da der Besitzer erst vor kurzem das
immer noch gebräuchliche Verfahren des Abbrennens angewandt hatte, um das
Land urbar zu machen. Einzelne vollsaftige Bäume hatte das Feuer nicht zu
stürzen und zu verzehren vermocht, sodaß noch halbhohe, geschwärzte Stämme
mit Ästen, die von der Hitze verdreht waren, gespenstisch emporragten, andre
Bäume lagen halb verbrannt am Boden; von den meisten aber waren nur ver¬
kohlte Stümpfe übrig geblieben. Einen erfreulichen Gegensatz zu diesem trau¬
rigen Anblick bot ein andrer Wald, worin wir eine längere Rast machten. Es
war ein Wald, der schon durchforstet worden war, sodaß die Stämme nicht
mehr allzu dicht standen. In dem Bestände waren unter andern starke und
gerade gewachsene Perobabäume, deren Holz als Bauholz geschätzt wird. Die
Lianen hingen meist senkrecht von den Asten zum Erdboden herab, ohne sich
von Stamm zu Stamm zu winden und sich untereinander zu einem unent¬
wirrbaren Geflecht zu verschlingen. Die Lianen dieser Art waren übrigens so
fest, daß unsre jungen Herren an ihnen wie an Tauen ein gutes Stück in die
Höhe klettern konnten. Während wir die im Trolly mitgebrachten Orangen
verzehrten, führte ein athletisch gebauter Mulatte sechs Paar Ochsen heran, die
vor ein auf eine Achse gesetztes und mit Ketten versehenes Gestell gespannt waren.
Er hatte die Aufgabe, einen in einer Lichtung liegenden großen Stamm aus
dem Walde zu schaffen. Die Arbeit war schwierig, weil das Gefährt, sobald


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/375>, abgerufen am 24.07.2024.