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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Line Ferienfahrt nach Brasilien

Nach dem zweiten Frühstück wurde eine kurze Siesta gehalten, dann ging
es in die weitere Umgebung hinaus, die Damen im Trolly, der Hausherr, zwei
seiner Söhne und ich zu Pferde.

Die zwar kleinen, aber sichern und ausdauernden brasilianischen Pferde
haben eine in Deutschland nicht bekannte Gangart, den sogenannten Passo; das
Wort bedeutet eigentlich Schritt, ist tatsächlich aber eine zwischen Schritt und
Trab die Mitte haltende Gangart, die für den Reiter sehr bequem ist und ihn
nur wenig angreift. Sie können in diesem Tempo stundenlang bleiben, ohne
zu ermüden, und kommen damit sehr gut vorwärts, sind aber auch in schnellern
Gangarten durchaus zuverlässig. Es hat mir großes Vergnügen bereitet, mich
auf diese Art beliebig im Gelände bewegen zu können. Zwölf Monate vorher
hatte ich das letztemal zu Pferde gesessen; damals war ich auf einem breiten
norwegischen Pony von Tromsö aus durch einen Zwergbirkenwald in ein ödes,
von Schneebergen eingefaßtes Hochtal geritten und hatte ein Zeltlager von
Lappländern, die Hunderte von Renntieren bei sich hatten, aufgesucht -- ein
schroffer Gegensatz zu diesen Ritten in dem heißen Kaffeebezirk Brasiliens.

An beiden Tagen führte uns der Weg, wenn auch in verschiedner Rich¬
tung, durch Kamp, durch Wald, durch die Gebiete von Kaffee- und Rohr- (Zucker-)
Facenden und auch bei Ansiedlungen kleinerer Kolonisten vorüber, die erst vor
kurzem "Rom geschlagen" (Wald gerötet) hatten. Unter der sachkundigen
Führung, deren ich mich zu erfreuen hatte, habe ich mich über alle Einzelheiten
der verschiednen Betriebe unterrichten können. Nach allem, was ich gehört habe,
mußte ich es nur lebhaft bedauern, daß wir unsern Besuch nicht nach drei bis
vier Wochen wiederholen konnten. Dann hätten wir die Kaffeeblüte erlebt, die
das Land in ein Paradies verwandeln soll. Einzelne vorzeitige Blüten haben
wir wohl gefunden; nach solchen soll man sich aber keine Vorstellung von der
Pracht der eigentlichen Kaffeeblüte machen können.

Das Ziel des ersten Ausflugs war der Salto Grande, ein vom Atibaja
gebildeter großer Wasserfall. Wir sahen den Fall, zu dem ein hochstämmiger,
über und über mit rosafarbnen Blüten bedeckter Paineirasbaum eine liebliche
Staffage bildete, schon von der über den Fluß führenden Brücke aus und her¬
nach aus nächster Nähe, stiegen auch noch einen steilen Abhang hinunter, um
ihn von dem Ufer des untern Flußlaufes aus zu bewundern. Der Fall hat,
was die Wassermenge, die Höhe und die Breite anlangt, eine große Ähnlichkeit
mit dem Rheinfall, ebenso darin, daß er durch Klippen in mehrere Arme ge¬
schieden wird. Der Grund und Boden gehört zu der Rohrfacenda Salto Grande,
deren Besitzerin wir aufsuchten, uM für die uns von ihrem Adoptivsohn erteilte
Zutrittserlaubnis zu danken. Es war uns sehr willkommen, daß die Besitzerin,
eine reiche Brasilianerin von portugiesischer Abstammung, uns ersuchte, näher
zu treten. Das augenscheinlich schon ältere Wohnhaus ist mit der zur Sklaven¬
zeit landesüblich gewesenen Raumverschwendung gebaut worden. Die Flure und
die Zimmer, namentlich auch der zugleich als Empfangsraum dienende Speise-


Line Ferienfahrt nach Brasilien

Nach dem zweiten Frühstück wurde eine kurze Siesta gehalten, dann ging
es in die weitere Umgebung hinaus, die Damen im Trolly, der Hausherr, zwei
seiner Söhne und ich zu Pferde.

Die zwar kleinen, aber sichern und ausdauernden brasilianischen Pferde
haben eine in Deutschland nicht bekannte Gangart, den sogenannten Passo; das
Wort bedeutet eigentlich Schritt, ist tatsächlich aber eine zwischen Schritt und
Trab die Mitte haltende Gangart, die für den Reiter sehr bequem ist und ihn
nur wenig angreift. Sie können in diesem Tempo stundenlang bleiben, ohne
zu ermüden, und kommen damit sehr gut vorwärts, sind aber auch in schnellern
Gangarten durchaus zuverlässig. Es hat mir großes Vergnügen bereitet, mich
auf diese Art beliebig im Gelände bewegen zu können. Zwölf Monate vorher
hatte ich das letztemal zu Pferde gesessen; damals war ich auf einem breiten
norwegischen Pony von Tromsö aus durch einen Zwergbirkenwald in ein ödes,
von Schneebergen eingefaßtes Hochtal geritten und hatte ein Zeltlager von
Lappländern, die Hunderte von Renntieren bei sich hatten, aufgesucht — ein
schroffer Gegensatz zu diesen Ritten in dem heißen Kaffeebezirk Brasiliens.

An beiden Tagen führte uns der Weg, wenn auch in verschiedner Rich¬
tung, durch Kamp, durch Wald, durch die Gebiete von Kaffee- und Rohr- (Zucker-)
Facenden und auch bei Ansiedlungen kleinerer Kolonisten vorüber, die erst vor
kurzem „Rom geschlagen" (Wald gerötet) hatten. Unter der sachkundigen
Führung, deren ich mich zu erfreuen hatte, habe ich mich über alle Einzelheiten
der verschiednen Betriebe unterrichten können. Nach allem, was ich gehört habe,
mußte ich es nur lebhaft bedauern, daß wir unsern Besuch nicht nach drei bis
vier Wochen wiederholen konnten. Dann hätten wir die Kaffeeblüte erlebt, die
das Land in ein Paradies verwandeln soll. Einzelne vorzeitige Blüten haben
wir wohl gefunden; nach solchen soll man sich aber keine Vorstellung von der
Pracht der eigentlichen Kaffeeblüte machen können.

Das Ziel des ersten Ausflugs war der Salto Grande, ein vom Atibaja
gebildeter großer Wasserfall. Wir sahen den Fall, zu dem ein hochstämmiger,
über und über mit rosafarbnen Blüten bedeckter Paineirasbaum eine liebliche
Staffage bildete, schon von der über den Fluß führenden Brücke aus und her¬
nach aus nächster Nähe, stiegen auch noch einen steilen Abhang hinunter, um
ihn von dem Ufer des untern Flußlaufes aus zu bewundern. Der Fall hat,
was die Wassermenge, die Höhe und die Breite anlangt, eine große Ähnlichkeit
mit dem Rheinfall, ebenso darin, daß er durch Klippen in mehrere Arme ge¬
schieden wird. Der Grund und Boden gehört zu der Rohrfacenda Salto Grande,
deren Besitzerin wir aufsuchten, uM für die uns von ihrem Adoptivsohn erteilte
Zutrittserlaubnis zu danken. Es war uns sehr willkommen, daß die Besitzerin,
eine reiche Brasilianerin von portugiesischer Abstammung, uns ersuchte, näher
zu treten. Das augenscheinlich schon ältere Wohnhaus ist mit der zur Sklaven¬
zeit landesüblich gewesenen Raumverschwendung gebaut worden. Die Flure und
die Zimmer, namentlich auch der zugleich als Empfangsraum dienende Speise-


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[0374] Line Ferienfahrt nach Brasilien Nach dem zweiten Frühstück wurde eine kurze Siesta gehalten, dann ging es in die weitere Umgebung hinaus, die Damen im Trolly, der Hausherr, zwei seiner Söhne und ich zu Pferde. Die zwar kleinen, aber sichern und ausdauernden brasilianischen Pferde haben eine in Deutschland nicht bekannte Gangart, den sogenannten Passo; das Wort bedeutet eigentlich Schritt, ist tatsächlich aber eine zwischen Schritt und Trab die Mitte haltende Gangart, die für den Reiter sehr bequem ist und ihn nur wenig angreift. Sie können in diesem Tempo stundenlang bleiben, ohne zu ermüden, und kommen damit sehr gut vorwärts, sind aber auch in schnellern Gangarten durchaus zuverlässig. Es hat mir großes Vergnügen bereitet, mich auf diese Art beliebig im Gelände bewegen zu können. Zwölf Monate vorher hatte ich das letztemal zu Pferde gesessen; damals war ich auf einem breiten norwegischen Pony von Tromsö aus durch einen Zwergbirkenwald in ein ödes, von Schneebergen eingefaßtes Hochtal geritten und hatte ein Zeltlager von Lappländern, die Hunderte von Renntieren bei sich hatten, aufgesucht — ein schroffer Gegensatz zu diesen Ritten in dem heißen Kaffeebezirk Brasiliens. An beiden Tagen führte uns der Weg, wenn auch in verschiedner Rich¬ tung, durch Kamp, durch Wald, durch die Gebiete von Kaffee- und Rohr- (Zucker-) Facenden und auch bei Ansiedlungen kleinerer Kolonisten vorüber, die erst vor kurzem „Rom geschlagen" (Wald gerötet) hatten. Unter der sachkundigen Führung, deren ich mich zu erfreuen hatte, habe ich mich über alle Einzelheiten der verschiednen Betriebe unterrichten können. Nach allem, was ich gehört habe, mußte ich es nur lebhaft bedauern, daß wir unsern Besuch nicht nach drei bis vier Wochen wiederholen konnten. Dann hätten wir die Kaffeeblüte erlebt, die das Land in ein Paradies verwandeln soll. Einzelne vorzeitige Blüten haben wir wohl gefunden; nach solchen soll man sich aber keine Vorstellung von der Pracht der eigentlichen Kaffeeblüte machen können. Das Ziel des ersten Ausflugs war der Salto Grande, ein vom Atibaja gebildeter großer Wasserfall. Wir sahen den Fall, zu dem ein hochstämmiger, über und über mit rosafarbnen Blüten bedeckter Paineirasbaum eine liebliche Staffage bildete, schon von der über den Fluß führenden Brücke aus und her¬ nach aus nächster Nähe, stiegen auch noch einen steilen Abhang hinunter, um ihn von dem Ufer des untern Flußlaufes aus zu bewundern. Der Fall hat, was die Wassermenge, die Höhe und die Breite anlangt, eine große Ähnlichkeit mit dem Rheinfall, ebenso darin, daß er durch Klippen in mehrere Arme ge¬ schieden wird. Der Grund und Boden gehört zu der Rohrfacenda Salto Grande, deren Besitzerin wir aufsuchten, uM für die uns von ihrem Adoptivsohn erteilte Zutrittserlaubnis zu danken. Es war uns sehr willkommen, daß die Besitzerin, eine reiche Brasilianerin von portugiesischer Abstammung, uns ersuchte, näher zu treten. Das augenscheinlich schon ältere Wohnhaus ist mit der zur Sklaven¬ zeit landesüblich gewesenen Raumverschwendung gebaut worden. Die Flure und die Zimmer, namentlich auch der zugleich als Empfangsraum dienende Speise-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/374>, abgerufen am 24.07.2024.