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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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es die Lichtung hinter sich hatte, zwischen den Bäumen mehrere Wendungen
ausführen mußte. Der Mulatte verstand aber seine Sache und wußte ohne
Anwendung seines Banwusstabes, nur durch Namenzuruf jedes einzelne Tier
zu bestimmen, das ihm obliegende Manöver gerade im richtigen Augenblick
auszuführen. Viele unsrer Arbeitskutscher, die in der unsinnigsten Weise die
Peitsche gebrauchen, könnten sich an diesem Mulatten ein Beispiel nehmen.

An allen drei Abenden unsers Aufenthalts in Carioba kehrten wir erst mit
Anbruch der Dunkelheit in das Haus zur Mahlzeit zurück und unterhielten uns
nach Tische im Familienkreise noch lange über die Erlebnisse und Eindrücke
des Tages. Diese Stunden waren nicht nur sehr gemütlich, sondern auch über¬
aus lehrreich, da unser Wirt früher schon lange Jahre an andern Orten Bra¬
siliens, zuletzt in der Stadt Sav Paulo gewohnt hatte, also über die Verhält¬
nisse des Landes genau unterrichtet war.

Bei der Kürze der uns zur Verfügung stehenden Zeit mußten wir unsre
liebenswürdigen Gastfreunde am vierten Tage wieder verlassen, und zwar schon
Morgens, um noch möglichst viele Stunden für Sav Paulo übrig zu behalten.
Ein Kollege meines Schwagers, Dr. Wcmnowski, widmete sich uns in der freund¬
lichsten Weise, holte uns aus dem Hotel ab und zeigte uns die Hcmptsehcns-
würdigkeiten. Die Stadt, als die Hauptstadt des gleichnamigen Staates, ist der
Sitz aller höhern Behörden. Die Regierung selbst hat sich in dem ehemaligen
Jesuitenkollegium niedergelassen; von andern öffentlichen Gebäuden sind zu
nennen: der bischöfliche Palast, die Gebäude der Rechtsschule, der theologischen
Fakultät und des Appellhofs, das Museum, das Theater, die Hospitäler, das
Irrenhaus und das Zuchthaus. Wer als Fremder die Straßen durchwandert,
hat das Gefühl, sich in einer internationalen Handels- und Industriestadt zu
befinden. Von den Straßen ist die neu angelegte, nur mit modernen Villen
besetzte Avenida Paulista hervorzuheben. Die Angaben über die Einwohnerzahl
gehn weit auseinander; das Mittel der verschiednen Zahlen ist 200000, während
man die deutsche Kolonie ziemlich übereinstimmend auf 20000 Seelen schätzt.
Der deutsche Klub hat ein großes, gut eingerichtetes Heim, worin man, wie
das uns von Herrn Wcmnowski vorgesetzte Mahl bewies, ausgezeichnet auf¬
gehoben ist; leider fehlt bei dem Hause ein Garten. Wer Erholung im Freien
sucht, geht in den dem Bahnhof gegenüberliegenden öffentlichen Garten, der gut
augelegt und wohlgepflegt ist, auch eine reiche Sammlung von Vertretern der
Fauna Brasiliens enthält. Er ist der besondre Stolz der Paulisten und nament¬
lich an den Konzertabenden der Sammelpunkt der wohlhabenden Kreise. Im
allgemeinen bin ich zu der Ansicht gelangt, daß es dem, der hauptsächlich auf
großstädtisches Leben Wert legt, in Sav Paulo wohl gefallen kann, daß der
Naturfreund dagegen weniger auf seine Rechnung kommt, weil Wald und Ge¬
birge für den häufigern Besuch immerhin recht entlegen sind.

In Sav Paulo hörten wir, daß unser Gesandter von Treutler anwesend
sei, sind ihm aber nicht begegnet. Später wurde uns mitgeteilt, er habe zur


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es die Lichtung hinter sich hatte, zwischen den Bäumen mehrere Wendungen
ausführen mußte. Der Mulatte verstand aber seine Sache und wußte ohne
Anwendung seines Banwusstabes, nur durch Namenzuruf jedes einzelne Tier
zu bestimmen, das ihm obliegende Manöver gerade im richtigen Augenblick
auszuführen. Viele unsrer Arbeitskutscher, die in der unsinnigsten Weise die
Peitsche gebrauchen, könnten sich an diesem Mulatten ein Beispiel nehmen.

An allen drei Abenden unsers Aufenthalts in Carioba kehrten wir erst mit
Anbruch der Dunkelheit in das Haus zur Mahlzeit zurück und unterhielten uns
nach Tische im Familienkreise noch lange über die Erlebnisse und Eindrücke
des Tages. Diese Stunden waren nicht nur sehr gemütlich, sondern auch über¬
aus lehrreich, da unser Wirt früher schon lange Jahre an andern Orten Bra¬
siliens, zuletzt in der Stadt Sav Paulo gewohnt hatte, also über die Verhält¬
nisse des Landes genau unterrichtet war.

Bei der Kürze der uns zur Verfügung stehenden Zeit mußten wir unsre
liebenswürdigen Gastfreunde am vierten Tage wieder verlassen, und zwar schon
Morgens, um noch möglichst viele Stunden für Sav Paulo übrig zu behalten.
Ein Kollege meines Schwagers, Dr. Wcmnowski, widmete sich uns in der freund¬
lichsten Weise, holte uns aus dem Hotel ab und zeigte uns die Hcmptsehcns-
würdigkeiten. Die Stadt, als die Hauptstadt des gleichnamigen Staates, ist der
Sitz aller höhern Behörden. Die Regierung selbst hat sich in dem ehemaligen
Jesuitenkollegium niedergelassen; von andern öffentlichen Gebäuden sind zu
nennen: der bischöfliche Palast, die Gebäude der Rechtsschule, der theologischen
Fakultät und des Appellhofs, das Museum, das Theater, die Hospitäler, das
Irrenhaus und das Zuchthaus. Wer als Fremder die Straßen durchwandert,
hat das Gefühl, sich in einer internationalen Handels- und Industriestadt zu
befinden. Von den Straßen ist die neu angelegte, nur mit modernen Villen
besetzte Avenida Paulista hervorzuheben. Die Angaben über die Einwohnerzahl
gehn weit auseinander; das Mittel der verschiednen Zahlen ist 200000, während
man die deutsche Kolonie ziemlich übereinstimmend auf 20000 Seelen schätzt.
Der deutsche Klub hat ein großes, gut eingerichtetes Heim, worin man, wie
das uns von Herrn Wcmnowski vorgesetzte Mahl bewies, ausgezeichnet auf¬
gehoben ist; leider fehlt bei dem Hause ein Garten. Wer Erholung im Freien
sucht, geht in den dem Bahnhof gegenüberliegenden öffentlichen Garten, der gut
augelegt und wohlgepflegt ist, auch eine reiche Sammlung von Vertretern der
Fauna Brasiliens enthält. Er ist der besondre Stolz der Paulisten und nament¬
lich an den Konzertabenden der Sammelpunkt der wohlhabenden Kreise. Im
allgemeinen bin ich zu der Ansicht gelangt, daß es dem, der hauptsächlich auf
großstädtisches Leben Wert legt, in Sav Paulo wohl gefallen kann, daß der
Naturfreund dagegen weniger auf seine Rechnung kommt, weil Wald und Ge¬
birge für den häufigern Besuch immerhin recht entlegen sind.

In Sav Paulo hörten wir, daß unser Gesandter von Treutler anwesend
sei, sind ihm aber nicht begegnet. Später wurde uns mitgeteilt, er habe zur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/376>, abgerufen am 24.07.2024.