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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Eine Ferienfahrt nach Brasilien

mit den Frauen und den "Jugendlichen" zweihundert Arbeiter -- sämtlich Ita¬
liener -- in der Fabrik beschäftigt; es war jedoch schon ein größerer Er¬
weiterungsbau in Angriff genommen worden, nach dessen Fertigstellung die
Zahl stark vermehrt werden sollte. Die Arbeitszeit dauert von ^6 Uhr Morgens
bis 7 Uhr Abends mit einstündiger Mittagspause. Die Jnnehaltung dieser
langen Zeit wird den Arbeitern dadurch sehr erleichtert, daß ihre Wohnhäuser
dicht bei der Arbeitsstätte liegen. Immerhin genießen die Arbeiter das Tages¬
licht außerhalb der Fabrik nur in der einen Mittagsstunde, weil die Sonne
während des ganzen Jahres erst nach dem Beginn der Arbeit aufgeht und vor
deren Schluß wieder untergeht und die Dämmerung nur wenig Minuten dauert.
Um hierfür einen gewissen Ausgleich zu schaffen, läßt die Fabrikleitung die
Arbeit von Sonnabend Mittag an bis Montag früh vollständig ruhen. Die
Fabrik gewährt den Arbeitern Wohnung und Gartenland sowie freien Schul¬
unterricht für die Kinder, läßt ihnen Milch zu sehr billigem Preise ab und
verschafft ihnen durch die regelmäßige Heranziehung von Metzgern Gelegen¬
heit zum Einkauf von gutem, frischem Fleisch. Die gezählten Akkordlöhne sind
so hoch, daß die Arbeiter, zumal da die Lebensmittel verhältnismäßig nicht teuer
sind, durchweg bedeutende Ersparnisse zurücklegen und gern Landsleute auf die
günstige Arbeitsgelegenheit aufmerksam machen.

Die Zeit in Carioba ging wie im Fluge dahin. An den Vormittagen
unternahmen wir, nachdem ich mich schon früh in den Wellen des Quilombo
erfrischt hatte, stundenlange Spaziergünge in Feld und Wald. In der Plan¬
tage war die Baumwollenernte fast beendigt; um so mehr freuten wir uns, daß
wir noch Pflanzen in allen Stadien der Entwicklung vorfanden und uns am
lebenden Objekt über die Kultur belehren lassen konnten. Sobald die Sonne
höher stieg, mußten wir den Schatten aufsuchen. Am Quilombo war es am
kühlsten, wir ließen uns jedoch auch die größere Anstrengung nicht verdrießen,
einen entfernter" Wald am Ufer des Piracicabci wiederholt und gründlich zu
erforschen. Es war kein eigentlicher Urwald, der Wuchs aber doch so üppig,
daß es gar nicht möglich war, die wenigen Wege dauernd frei zu halten. Meist
mußte Herr Müller vorangehn und mit dem Waldmesser die Schlingpflanzen
beiseite räumen, damit wir übrigen im Gäusemarsche folgen konnten. Nur un¬
mittelbar am Wasser war es bequemer. Glücklicherweise hatte man seinerzeit
einige von den Riesen des alten Urwaldes stehn lassen, die uns einen Begriff
davon gaben, wie es früher hier ausgesehen haben muß. Namentlich zwei
Knoblauchsbäume -- so genannt, weil die Blätter stark wie Knoblauch riechen --
waren von mächtigem Wuchse. Der eine von ihnen war so hohl, daß mehrere
Erwachsene in ihm Platz hatten. In der Höhlung hatte ein allerliebstes
Kolibripärchen sein Nest gebaut, auf dem das Weibchen brütete, während das
Männchen uns zum Greifen nahe umflatterte. Auch grüne Papageien sahen
wir in diesem Walde, wie sie unter lautem Gekreisch über den Wipfeln hin und
her flogen.


Grenzboten I 1907 48
Eine Ferienfahrt nach Brasilien

mit den Frauen und den „Jugendlichen" zweihundert Arbeiter — sämtlich Ita¬
liener — in der Fabrik beschäftigt; es war jedoch schon ein größerer Er¬
weiterungsbau in Angriff genommen worden, nach dessen Fertigstellung die
Zahl stark vermehrt werden sollte. Die Arbeitszeit dauert von ^6 Uhr Morgens
bis 7 Uhr Abends mit einstündiger Mittagspause. Die Jnnehaltung dieser
langen Zeit wird den Arbeitern dadurch sehr erleichtert, daß ihre Wohnhäuser
dicht bei der Arbeitsstätte liegen. Immerhin genießen die Arbeiter das Tages¬
licht außerhalb der Fabrik nur in der einen Mittagsstunde, weil die Sonne
während des ganzen Jahres erst nach dem Beginn der Arbeit aufgeht und vor
deren Schluß wieder untergeht und die Dämmerung nur wenig Minuten dauert.
Um hierfür einen gewissen Ausgleich zu schaffen, läßt die Fabrikleitung die
Arbeit von Sonnabend Mittag an bis Montag früh vollständig ruhen. Die
Fabrik gewährt den Arbeitern Wohnung und Gartenland sowie freien Schul¬
unterricht für die Kinder, läßt ihnen Milch zu sehr billigem Preise ab und
verschafft ihnen durch die regelmäßige Heranziehung von Metzgern Gelegen¬
heit zum Einkauf von gutem, frischem Fleisch. Die gezählten Akkordlöhne sind
so hoch, daß die Arbeiter, zumal da die Lebensmittel verhältnismäßig nicht teuer
sind, durchweg bedeutende Ersparnisse zurücklegen und gern Landsleute auf die
günstige Arbeitsgelegenheit aufmerksam machen.

Die Zeit in Carioba ging wie im Fluge dahin. An den Vormittagen
unternahmen wir, nachdem ich mich schon früh in den Wellen des Quilombo
erfrischt hatte, stundenlange Spaziergünge in Feld und Wald. In der Plan¬
tage war die Baumwollenernte fast beendigt; um so mehr freuten wir uns, daß
wir noch Pflanzen in allen Stadien der Entwicklung vorfanden und uns am
lebenden Objekt über die Kultur belehren lassen konnten. Sobald die Sonne
höher stieg, mußten wir den Schatten aufsuchen. Am Quilombo war es am
kühlsten, wir ließen uns jedoch auch die größere Anstrengung nicht verdrießen,
einen entfernter» Wald am Ufer des Piracicabci wiederholt und gründlich zu
erforschen. Es war kein eigentlicher Urwald, der Wuchs aber doch so üppig,
daß es gar nicht möglich war, die wenigen Wege dauernd frei zu halten. Meist
mußte Herr Müller vorangehn und mit dem Waldmesser die Schlingpflanzen
beiseite räumen, damit wir übrigen im Gäusemarsche folgen konnten. Nur un¬
mittelbar am Wasser war es bequemer. Glücklicherweise hatte man seinerzeit
einige von den Riesen des alten Urwaldes stehn lassen, die uns einen Begriff
davon gaben, wie es früher hier ausgesehen haben muß. Namentlich zwei
Knoblauchsbäume — so genannt, weil die Blätter stark wie Knoblauch riechen —
waren von mächtigem Wuchse. Der eine von ihnen war so hohl, daß mehrere
Erwachsene in ihm Platz hatten. In der Höhlung hatte ein allerliebstes
Kolibripärchen sein Nest gebaut, auf dem das Weibchen brütete, während das
Männchen uns zum Greifen nahe umflatterte. Auch grüne Papageien sahen
wir in diesem Walde, wie sie unter lautem Gekreisch über den Wipfeln hin und
her flogen.


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[0373] Eine Ferienfahrt nach Brasilien mit den Frauen und den „Jugendlichen" zweihundert Arbeiter — sämtlich Ita¬ liener — in der Fabrik beschäftigt; es war jedoch schon ein größerer Er¬ weiterungsbau in Angriff genommen worden, nach dessen Fertigstellung die Zahl stark vermehrt werden sollte. Die Arbeitszeit dauert von ^6 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends mit einstündiger Mittagspause. Die Jnnehaltung dieser langen Zeit wird den Arbeitern dadurch sehr erleichtert, daß ihre Wohnhäuser dicht bei der Arbeitsstätte liegen. Immerhin genießen die Arbeiter das Tages¬ licht außerhalb der Fabrik nur in der einen Mittagsstunde, weil die Sonne während des ganzen Jahres erst nach dem Beginn der Arbeit aufgeht und vor deren Schluß wieder untergeht und die Dämmerung nur wenig Minuten dauert. Um hierfür einen gewissen Ausgleich zu schaffen, läßt die Fabrikleitung die Arbeit von Sonnabend Mittag an bis Montag früh vollständig ruhen. Die Fabrik gewährt den Arbeitern Wohnung und Gartenland sowie freien Schul¬ unterricht für die Kinder, läßt ihnen Milch zu sehr billigem Preise ab und verschafft ihnen durch die regelmäßige Heranziehung von Metzgern Gelegen¬ heit zum Einkauf von gutem, frischem Fleisch. Die gezählten Akkordlöhne sind so hoch, daß die Arbeiter, zumal da die Lebensmittel verhältnismäßig nicht teuer sind, durchweg bedeutende Ersparnisse zurücklegen und gern Landsleute auf die günstige Arbeitsgelegenheit aufmerksam machen. Die Zeit in Carioba ging wie im Fluge dahin. An den Vormittagen unternahmen wir, nachdem ich mich schon früh in den Wellen des Quilombo erfrischt hatte, stundenlange Spaziergünge in Feld und Wald. In der Plan¬ tage war die Baumwollenernte fast beendigt; um so mehr freuten wir uns, daß wir noch Pflanzen in allen Stadien der Entwicklung vorfanden und uns am lebenden Objekt über die Kultur belehren lassen konnten. Sobald die Sonne höher stieg, mußten wir den Schatten aufsuchen. Am Quilombo war es am kühlsten, wir ließen uns jedoch auch die größere Anstrengung nicht verdrießen, einen entfernter» Wald am Ufer des Piracicabci wiederholt und gründlich zu erforschen. Es war kein eigentlicher Urwald, der Wuchs aber doch so üppig, daß es gar nicht möglich war, die wenigen Wege dauernd frei zu halten. Meist mußte Herr Müller vorangehn und mit dem Waldmesser die Schlingpflanzen beiseite räumen, damit wir übrigen im Gäusemarsche folgen konnten. Nur un¬ mittelbar am Wasser war es bequemer. Glücklicherweise hatte man seinerzeit einige von den Riesen des alten Urwaldes stehn lassen, die uns einen Begriff davon gaben, wie es früher hier ausgesehen haben muß. Namentlich zwei Knoblauchsbäume — so genannt, weil die Blätter stark wie Knoblauch riechen — waren von mächtigem Wuchse. Der eine von ihnen war so hohl, daß mehrere Erwachsene in ihm Platz hatten. In der Höhlung hatte ein allerliebstes Kolibripärchen sein Nest gebaut, auf dem das Weibchen brütete, während das Männchen uns zum Greifen nahe umflatterte. Auch grüne Papageien sahen wir in diesem Walde, wie sie unter lautem Gekreisch über den Wipfeln hin und her flogen. Grenzboten I 1907 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/373>, abgerufen am 25.07.2024.