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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Militärische Jugenderziehung

Mit besondrer Sorgfalt soll von diesen Übungen der Schießdienst betrieben
werden unter Berücksichtigung der Individualität des Schillers, Alle Vorübungen
wie Laden, Entladen, Anschlag und Abdrücken dürfen zuerst nur mit Platz¬
patronen und immer nur gegen Scheiben vorgenommen werden. Auf die Vor¬
übungen folgt das Versuchsschießen mit scharfer Munition, und den Schluß
bildet das Bedingungsschießen. Zu diesem werden die Schüler in zwei Schie߬
klassen geteilt; die erste ist aus dem ersten Unterrichtskursus, die zweite aus
dem zweiten oder anch dritten JahreSlursc gebildet. In jeder Klasse sind vier
Übungen ans Entfernungen von 200 und 300 Meter, aber nur liegend und
knieend, aufgelegt und freihändig, zu erfüllen. Für jede Übung erhält der
Schütze fünf Patronen, doch können bis zu acht Patronen bewilligt werden,
falls die Bedingungen nicht erfüllt wurden. Das Mnnitivnsausmaß ist reichlich
festgesetzt und beträgt je fünfzehn Platzpatronen für die Vorübungen, fünfzehn
Patronen für das Versuchsschießen und zwanzig bis dreißig Patronen für die
vier Übungen des Bedingungsschießens. Das neue Gesetz bestimmt endlich
noch, daß jeder Jahrcskursus der Gesamtausbilduug mindestens fünfzig Unter¬
richtsstunden umfassen solle. In dieser Zahl sind größere Übungsmärsche und
die auf die Besichtigungen verwandte Zeit nicht mit inbegriffen. Von den
Stunden soll mindestens die Hälfte auf ghmuastische Übungen und Soldateu-
schnle mit Gewehr, die andre Hälfte für die Vorbereitungen zum Schießen und
das Bedingungsschießen verwandt werden.

Jeder, der mit Aufmerksamkeit und unparteiischen Urteil diese strengen
Satzungen zur militärischen Erziehung des jungen "freien" Schweizer Bürgers
durchsieht, wird zu der Auffassung gelangen müssen, daß uuter solchen Um¬
ständen auch das Milizheer an Bedeutung und soldatischem Wert gewinnen
muß. Besonders der deutschen Sozialdemokratie, die ja allen Militarismus
verwirft und bei jeder Gelegenheit das Ideale des Milizsystems in der Schweiz
in den Vordergrund zu stellen weiß, werden diese Fortschritte und diese Art
Ausgleich für das Fehlen eines stehenden Heeres ein Dorn im Auge sein.

In der Presse, auch des Auslands, wird von den neuen Schweizer Ein¬
richtungen zur militärischen Vorbildung der Jugend besonders eingehend die
sorgfältige Handhabung des Schießdienstes besprochen und dabei betont, daß
die Schweiz mit diesen eingehenden Bestimmungen an der Spitze aller Nationen
marschiere und die erste sei, die diesen Dienst in ein Schnlprogramm aufgenommen
habe. Diese Angaben sind aber unrichtig, sondern Frankreich ist es gewesen,
das den Gedanken, schon die Jugend im Schießen auszubilden, zuerst gehabt
und durchgeführt hat. Und zwar geschah dies unmittelbar nach den, großen
Kriege von 1870/71, wo die Mobilmachung und Bewaffnung der großen
Volksmassen zum Teil mit Erfolg durchgeführt worden war. Es wurden
damals Schulkadettenkorps errichtet, und die jungen Krieger mit hölzernen
Schwertern und Musketen ausgerüstet und nach militärischen Vorschriften geübt.
Selbst an Paraden fehlte es nicht. Nach einigen Jahren wurde allerdings dieser


Militärische Jugenderziehung

Mit besondrer Sorgfalt soll von diesen Übungen der Schießdienst betrieben
werden unter Berücksichtigung der Individualität des Schillers, Alle Vorübungen
wie Laden, Entladen, Anschlag und Abdrücken dürfen zuerst nur mit Platz¬
patronen und immer nur gegen Scheiben vorgenommen werden. Auf die Vor¬
übungen folgt das Versuchsschießen mit scharfer Munition, und den Schluß
bildet das Bedingungsschießen. Zu diesem werden die Schüler in zwei Schie߬
klassen geteilt; die erste ist aus dem ersten Unterrichtskursus, die zweite aus
dem zweiten oder anch dritten JahreSlursc gebildet. In jeder Klasse sind vier
Übungen ans Entfernungen von 200 und 300 Meter, aber nur liegend und
knieend, aufgelegt und freihändig, zu erfüllen. Für jede Übung erhält der
Schütze fünf Patronen, doch können bis zu acht Patronen bewilligt werden,
falls die Bedingungen nicht erfüllt wurden. Das Mnnitivnsausmaß ist reichlich
festgesetzt und beträgt je fünfzehn Platzpatronen für die Vorübungen, fünfzehn
Patronen für das Versuchsschießen und zwanzig bis dreißig Patronen für die
vier Übungen des Bedingungsschießens. Das neue Gesetz bestimmt endlich
noch, daß jeder Jahrcskursus der Gesamtausbilduug mindestens fünfzig Unter¬
richtsstunden umfassen solle. In dieser Zahl sind größere Übungsmärsche und
die auf die Besichtigungen verwandte Zeit nicht mit inbegriffen. Von den
Stunden soll mindestens die Hälfte auf ghmuastische Übungen und Soldateu-
schnle mit Gewehr, die andre Hälfte für die Vorbereitungen zum Schießen und
das Bedingungsschießen verwandt werden.

Jeder, der mit Aufmerksamkeit und unparteiischen Urteil diese strengen
Satzungen zur militärischen Erziehung des jungen „freien" Schweizer Bürgers
durchsieht, wird zu der Auffassung gelangen müssen, daß uuter solchen Um¬
ständen auch das Milizheer an Bedeutung und soldatischem Wert gewinnen
muß. Besonders der deutschen Sozialdemokratie, die ja allen Militarismus
verwirft und bei jeder Gelegenheit das Ideale des Milizsystems in der Schweiz
in den Vordergrund zu stellen weiß, werden diese Fortschritte und diese Art
Ausgleich für das Fehlen eines stehenden Heeres ein Dorn im Auge sein.

In der Presse, auch des Auslands, wird von den neuen Schweizer Ein¬
richtungen zur militärischen Vorbildung der Jugend besonders eingehend die
sorgfältige Handhabung des Schießdienstes besprochen und dabei betont, daß
die Schweiz mit diesen eingehenden Bestimmungen an der Spitze aller Nationen
marschiere und die erste sei, die diesen Dienst in ein Schnlprogramm aufgenommen
habe. Diese Angaben sind aber unrichtig, sondern Frankreich ist es gewesen,
das den Gedanken, schon die Jugend im Schießen auszubilden, zuerst gehabt
und durchgeführt hat. Und zwar geschah dies unmittelbar nach den, großen
Kriege von 1870/71, wo die Mobilmachung und Bewaffnung der großen
Volksmassen zum Teil mit Erfolg durchgeführt worden war. Es wurden
damals Schulkadettenkorps errichtet, und die jungen Krieger mit hölzernen
Schwertern und Musketen ausgerüstet und nach militärischen Vorschriften geübt.
Selbst an Paraden fehlte es nicht. Nach einigen Jahren wurde allerdings dieser


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[0353] Militärische Jugenderziehung Mit besondrer Sorgfalt soll von diesen Übungen der Schießdienst betrieben werden unter Berücksichtigung der Individualität des Schillers, Alle Vorübungen wie Laden, Entladen, Anschlag und Abdrücken dürfen zuerst nur mit Platz¬ patronen und immer nur gegen Scheiben vorgenommen werden. Auf die Vor¬ übungen folgt das Versuchsschießen mit scharfer Munition, und den Schluß bildet das Bedingungsschießen. Zu diesem werden die Schüler in zwei Schie߬ klassen geteilt; die erste ist aus dem ersten Unterrichtskursus, die zweite aus dem zweiten oder anch dritten JahreSlursc gebildet. In jeder Klasse sind vier Übungen ans Entfernungen von 200 und 300 Meter, aber nur liegend und knieend, aufgelegt und freihändig, zu erfüllen. Für jede Übung erhält der Schütze fünf Patronen, doch können bis zu acht Patronen bewilligt werden, falls die Bedingungen nicht erfüllt wurden. Das Mnnitivnsausmaß ist reichlich festgesetzt und beträgt je fünfzehn Platzpatronen für die Vorübungen, fünfzehn Patronen für das Versuchsschießen und zwanzig bis dreißig Patronen für die vier Übungen des Bedingungsschießens. Das neue Gesetz bestimmt endlich noch, daß jeder Jahrcskursus der Gesamtausbilduug mindestens fünfzig Unter¬ richtsstunden umfassen solle. In dieser Zahl sind größere Übungsmärsche und die auf die Besichtigungen verwandte Zeit nicht mit inbegriffen. Von den Stunden soll mindestens die Hälfte auf ghmuastische Übungen und Soldateu- schnle mit Gewehr, die andre Hälfte für die Vorbereitungen zum Schießen und das Bedingungsschießen verwandt werden. Jeder, der mit Aufmerksamkeit und unparteiischen Urteil diese strengen Satzungen zur militärischen Erziehung des jungen „freien" Schweizer Bürgers durchsieht, wird zu der Auffassung gelangen müssen, daß uuter solchen Um¬ ständen auch das Milizheer an Bedeutung und soldatischem Wert gewinnen muß. Besonders der deutschen Sozialdemokratie, die ja allen Militarismus verwirft und bei jeder Gelegenheit das Ideale des Milizsystems in der Schweiz in den Vordergrund zu stellen weiß, werden diese Fortschritte und diese Art Ausgleich für das Fehlen eines stehenden Heeres ein Dorn im Auge sein. In der Presse, auch des Auslands, wird von den neuen Schweizer Ein¬ richtungen zur militärischen Vorbildung der Jugend besonders eingehend die sorgfältige Handhabung des Schießdienstes besprochen und dabei betont, daß die Schweiz mit diesen eingehenden Bestimmungen an der Spitze aller Nationen marschiere und die erste sei, die diesen Dienst in ein Schnlprogramm aufgenommen habe. Diese Angaben sind aber unrichtig, sondern Frankreich ist es gewesen, das den Gedanken, schon die Jugend im Schießen auszubilden, zuerst gehabt und durchgeführt hat. Und zwar geschah dies unmittelbar nach den, großen Kriege von 1870/71, wo die Mobilmachung und Bewaffnung der großen Volksmassen zum Teil mit Erfolg durchgeführt worden war. Es wurden damals Schulkadettenkorps errichtet, und die jungen Krieger mit hölzernen Schwertern und Musketen ausgerüstet und nach militärischen Vorschriften geübt. Selbst an Paraden fehlte es nicht. Nach einigen Jahren wurde allerdings dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/353>, abgerufen am 24.07.2024.