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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Versuch wieder aufgegeben auf das Drängen der Pädagogen und militärischen Sach¬
verständigen. Namentlich die letztgenannten verwiesen darauf, daß die jungen
Rekruten bei der Einstellung gewöhnlich alles vergessen hätten, was sie während
der Schulzeit an Soldatenkunst gelernt hätten. Außerdem verursachte die ganze
Einrichtung zu viel Kosten, besonders wegen der Munition, die bei der Truppe
gespart werden mußte, um jenen Bedarf zu decken. Seitdem hat bei der
französischen Republik die Idee eines militärischen Vorunterrichts für die heran¬
wachsende Jugend so gut wie ganz geruht, und nur vereinzelt tauchten Wünsche
auf, es möchten die alten Einrichtungen wieder aufgenommen werden. Aber
zunächst ohne Erfolg. Erst die Resultate des russisch-japanischen Krieges und mit
ihnen die Tatsache, daß Jung-Japan der Ursprung aller glorreichen Siege gewesen
sei, hat den Franzosen die Augen geöffnet und die Gedanken einer militärischen
Jugenderziehung neu belebt. Greifbare Gestalt haben die verschiedne" Bvr-
schläge allerdings noch nicht angenommen. Immerhin finden aber die Grund¬
sätze, die einer der bekanntesten französischen Militürschriftsteller, der General
Prndhomme, kürzlich in der I'rÄnos Nilitaii'6 in beredten Worten veröffentlicht
hat, solch allgemeine Beachtung, daß sich ihre Wiedergabe an dieser Stelle wohl
verlohnt. Der General will die ganze Arbeit den bestehenden Turm-, Schützeu-
uud Kriegervereinen überlassen und dazu mindestens in jedem Departements¬
hauptort einen militärisch organisierten, dem kommandierender General des
Armeekorps oder des Territorialkreises unterstellten Verein ins Leben rufen.
Jeden Sonn- und Feiertag sollen die der Schule entlassnen Jünglinge von
Offizieren und Unteroffizieren des stehenden Heeres, der Reserve und des
Landsturmes ausgebildet werde", ebenso sollen die Reservisten verpflichtet werden,
bis zu ihren: fünfundvierzigsten Lebensjahre an diesem Dienst teilzunehmen. Die
Veteranen, die sich beteiligen, sollen in Landsturmverbände der zweiten Reserve
vereinigt werden. Die Brigadekommandeure der Gendarmerie (Sektionschefs)
sollen genaue Kontrolle führen und an die Vereine Waffen und Munition,
Turngeräte und Schießmatcrial austeilen. So würden alle männlichen Hilfs¬
kräfte von Anfang an bis ins hohe Alter hinein militärisch geschult und lieferten
dem Lande jederzeit eine für die Verteidigung des Vaterlandes brauchbare
Wehrmacht. Die jungen, gut vorbereiteten Soldaten brächten in die Armee
jene Begeisterung mit, die, ohne sich zu besinnen, kühn jeder Gefahr entgegen¬
tritt und die andern mitreißt. Die verfügbaren Reservisten (rosa'vistöZ äisvorüdlö^),
die meist unverheiratet sind, gäben dem Ganzen Festigkeit und Rückgrat.

Die eigentlichen Reservisten würden, ohne beständig um ihre Familien
besorgt sein zu müssen, ebenfalls mitgerissen. Sie würden im Training bleiben,
als kräftige Leute für das Ertragen von Strapazen vorbildlich wirken und
durch treue Pflichterfüllung den jungen ein Ansporn sein. Man könnte sie im
Falle der Not, in Einheiten mit Neserveunteroffizieren und -Offizieren an der
Spitze formiert, direkt in der Reservearmee verwenden. Die Leute vom Land¬
sturm könnten ebenfalls sofort verwandt werden. Sie kennten ihre Vorgesetzten


Versuch wieder aufgegeben auf das Drängen der Pädagogen und militärischen Sach¬
verständigen. Namentlich die letztgenannten verwiesen darauf, daß die jungen
Rekruten bei der Einstellung gewöhnlich alles vergessen hätten, was sie während
der Schulzeit an Soldatenkunst gelernt hätten. Außerdem verursachte die ganze
Einrichtung zu viel Kosten, besonders wegen der Munition, die bei der Truppe
gespart werden mußte, um jenen Bedarf zu decken. Seitdem hat bei der
französischen Republik die Idee eines militärischen Vorunterrichts für die heran¬
wachsende Jugend so gut wie ganz geruht, und nur vereinzelt tauchten Wünsche
auf, es möchten die alten Einrichtungen wieder aufgenommen werden. Aber
zunächst ohne Erfolg. Erst die Resultate des russisch-japanischen Krieges und mit
ihnen die Tatsache, daß Jung-Japan der Ursprung aller glorreichen Siege gewesen
sei, hat den Franzosen die Augen geöffnet und die Gedanken einer militärischen
Jugenderziehung neu belebt. Greifbare Gestalt haben die verschiedne» Bvr-
schläge allerdings noch nicht angenommen. Immerhin finden aber die Grund¬
sätze, die einer der bekanntesten französischen Militürschriftsteller, der General
Prndhomme, kürzlich in der I'rÄnos Nilitaii'6 in beredten Worten veröffentlicht
hat, solch allgemeine Beachtung, daß sich ihre Wiedergabe an dieser Stelle wohl
verlohnt. Der General will die ganze Arbeit den bestehenden Turm-, Schützeu-
uud Kriegervereinen überlassen und dazu mindestens in jedem Departements¬
hauptort einen militärisch organisierten, dem kommandierender General des
Armeekorps oder des Territorialkreises unterstellten Verein ins Leben rufen.
Jeden Sonn- und Feiertag sollen die der Schule entlassnen Jünglinge von
Offizieren und Unteroffizieren des stehenden Heeres, der Reserve und des
Landsturmes ausgebildet werde», ebenso sollen die Reservisten verpflichtet werden,
bis zu ihren: fünfundvierzigsten Lebensjahre an diesem Dienst teilzunehmen. Die
Veteranen, die sich beteiligen, sollen in Landsturmverbände der zweiten Reserve
vereinigt werden. Die Brigadekommandeure der Gendarmerie (Sektionschefs)
sollen genaue Kontrolle führen und an die Vereine Waffen und Munition,
Turngeräte und Schießmatcrial austeilen. So würden alle männlichen Hilfs¬
kräfte von Anfang an bis ins hohe Alter hinein militärisch geschult und lieferten
dem Lande jederzeit eine für die Verteidigung des Vaterlandes brauchbare
Wehrmacht. Die jungen, gut vorbereiteten Soldaten brächten in die Armee
jene Begeisterung mit, die, ohne sich zu besinnen, kühn jeder Gefahr entgegen¬
tritt und die andern mitreißt. Die verfügbaren Reservisten (rosa'vistöZ äisvorüdlö^),
die meist unverheiratet sind, gäben dem Ganzen Festigkeit und Rückgrat.

Die eigentlichen Reservisten würden, ohne beständig um ihre Familien
besorgt sein zu müssen, ebenfalls mitgerissen. Sie würden im Training bleiben,
als kräftige Leute für das Ertragen von Strapazen vorbildlich wirken und
durch treue Pflichterfüllung den jungen ein Ansporn sein. Man könnte sie im
Falle der Not, in Einheiten mit Neserveunteroffizieren und -Offizieren an der
Spitze formiert, direkt in der Reservearmee verwenden. Die Leute vom Land¬
sturm könnten ebenfalls sofort verwandt werden. Sie kennten ihre Vorgesetzten


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[0354] Versuch wieder aufgegeben auf das Drängen der Pädagogen und militärischen Sach¬ verständigen. Namentlich die letztgenannten verwiesen darauf, daß die jungen Rekruten bei der Einstellung gewöhnlich alles vergessen hätten, was sie während der Schulzeit an Soldatenkunst gelernt hätten. Außerdem verursachte die ganze Einrichtung zu viel Kosten, besonders wegen der Munition, die bei der Truppe gespart werden mußte, um jenen Bedarf zu decken. Seitdem hat bei der französischen Republik die Idee eines militärischen Vorunterrichts für die heran¬ wachsende Jugend so gut wie ganz geruht, und nur vereinzelt tauchten Wünsche auf, es möchten die alten Einrichtungen wieder aufgenommen werden. Aber zunächst ohne Erfolg. Erst die Resultate des russisch-japanischen Krieges und mit ihnen die Tatsache, daß Jung-Japan der Ursprung aller glorreichen Siege gewesen sei, hat den Franzosen die Augen geöffnet und die Gedanken einer militärischen Jugenderziehung neu belebt. Greifbare Gestalt haben die verschiedne» Bvr- schläge allerdings noch nicht angenommen. Immerhin finden aber die Grund¬ sätze, die einer der bekanntesten französischen Militürschriftsteller, der General Prndhomme, kürzlich in der I'rÄnos Nilitaii'6 in beredten Worten veröffentlicht hat, solch allgemeine Beachtung, daß sich ihre Wiedergabe an dieser Stelle wohl verlohnt. Der General will die ganze Arbeit den bestehenden Turm-, Schützeu- uud Kriegervereinen überlassen und dazu mindestens in jedem Departements¬ hauptort einen militärisch organisierten, dem kommandierender General des Armeekorps oder des Territorialkreises unterstellten Verein ins Leben rufen. Jeden Sonn- und Feiertag sollen die der Schule entlassnen Jünglinge von Offizieren und Unteroffizieren des stehenden Heeres, der Reserve und des Landsturmes ausgebildet werde», ebenso sollen die Reservisten verpflichtet werden, bis zu ihren: fünfundvierzigsten Lebensjahre an diesem Dienst teilzunehmen. Die Veteranen, die sich beteiligen, sollen in Landsturmverbände der zweiten Reserve vereinigt werden. Die Brigadekommandeure der Gendarmerie (Sektionschefs) sollen genaue Kontrolle führen und an die Vereine Waffen und Munition, Turngeräte und Schießmatcrial austeilen. So würden alle männlichen Hilfs¬ kräfte von Anfang an bis ins hohe Alter hinein militärisch geschult und lieferten dem Lande jederzeit eine für die Verteidigung des Vaterlandes brauchbare Wehrmacht. Die jungen, gut vorbereiteten Soldaten brächten in die Armee jene Begeisterung mit, die, ohne sich zu besinnen, kühn jeder Gefahr entgegen¬ tritt und die andern mitreißt. Die verfügbaren Reservisten (rosa'vistöZ äisvorüdlö^), die meist unverheiratet sind, gäben dem Ganzen Festigkeit und Rückgrat. Die eigentlichen Reservisten würden, ohne beständig um ihre Familien besorgt sein zu müssen, ebenfalls mitgerissen. Sie würden im Training bleiben, als kräftige Leute für das Ertragen von Strapazen vorbildlich wirken und durch treue Pflichterfüllung den jungen ein Ansporn sein. Man könnte sie im Falle der Not, in Einheiten mit Neserveunteroffizieren und -Offizieren an der Spitze formiert, direkt in der Reservearmee verwenden. Die Leute vom Land¬ sturm könnten ebenfalls sofort verwandt werden. Sie kennten ihre Vorgesetzten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/354>, abgerufen am 24.07.2024.