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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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wie ich zu dem Roman "Zwei Seelen" kam

gefragt, wie dies hatte geschehen können, aber der tief schmerzliche Zug in
seinem Gesicht, der qualvolle Blick seines Auges hielt mich davon ab. Ich
verschob es auf ein andresmal und bin niemals dazugekommen.

An diesem Abend ließ ich mir erzählen, wie er seine Gefangenschaft bisher
ertragen Hütte.

Es ist nicht so schlimm, wie Sie wohl denken, erklärte er. Zuerst wollte
ich mir freilich den Kopf einrennen, aber allmählich bin ich ruhig geworden.
Ich habe meine Strafe verdient und nehme sie willig auf mich. Das heißt,
unterbrach er sich, wenn ich rein verstandesmüßig darüber nachdenke. Daneben
habe ich Stunden, wo sich alle meine Gefühle dagegen auflehnen, dann bin
ich sehr unglücklich. Sie kommen jedoch immer seltner über mich, und ich
glaube, ich habe uun Ruhe gefunden.

Und auf welche Weise? fragte ich.

Er errötete und zeigte nach dem Fenster hin. Draußen am dunkeln
Nachthimmel schwebte die Mondsichel zwischen leichtem Gewölk und glänzten
einige Sterne.

Wenn man immer nur in die Höhe schauen kann, sagte er dann, und
wenn man von dem, was drunten vorgeht, kaum noch eine Ahnung hat, dann
muß mau ja wohl auf Gedanken kommen, in denen Ruhe ist.

Er sprach sich nicht deutlich aus, wie er denn überhaupt große Scheu
hatte, von seinen innersten und so besonders von seinen religiösen Gefühlen
zu reden. Diese zarte Zurückhaltung machte ihn mir von vornherein sympathisch.
Auch später haben wir nur ganz selten von religiösen Dingen gesprochen, nur
etwa dann, wenn ihn seine Lektüre zu einer Frage veranlaßte. Er suchte sich
über alles, was ihm beim Lesen eines Buches unklar geblieben war, Be¬
lehrung zu verschaffen und wich in einem solchen Falle auch Fragen nicht
aus, die in die Welt des Religiösen hinübergriffen, sie bezogen sich dann
mehr auf äußere, sein inneres Wesen nicht unmittelbar berührende Dinge.
Man fühlte es aber deutlich heraus, daß er im tiefsten Herzen religiös war.
Er suchte seinen Glauben zu verbergen und konnte es doch nicht verhindern,
daß er durch alle seine Gedanken hindurchschimmerte.

Am Ende meines Gesprächs mit ihm fragte ich ihn, ob er denn nicht das
Verlangen Hütte, wieder mit andern Menschen zusammen zu sein.

Nein, ganz und gar nicht, versetzte er fast erregt. Ich habe ja selbst
darum gebeten, hier bleiben zu dürfen. Hier merke ich nicht viel davon, daß
ich gefangen bin, nur wenn ich die Zelle verlasse, dann fühle ich es wieder,
und dann fällt es mir schwer aufs Herz. Dieses Zimmer ist meine Welt und
mein Haus. So viel ich es vermochte, habe ich es mir traulich gemacht, und
wenn die Tür geschlossen ist, bin ich ruhig, dann bin ich bei mir zu Hause.
Ich habe meine Arbeit, meine Bücher, einige Briefe von meinem verstorbnen
Vater und sein Bild. Und dann kann ich auch hinausschauen in die Ferne.
Es ist nicht eben viel zu sehen, ein Stück Ackerland, ein Strich Wald in der


wie ich zu dem Roman „Zwei Seelen" kam

gefragt, wie dies hatte geschehen können, aber der tief schmerzliche Zug in
seinem Gesicht, der qualvolle Blick seines Auges hielt mich davon ab. Ich
verschob es auf ein andresmal und bin niemals dazugekommen.

An diesem Abend ließ ich mir erzählen, wie er seine Gefangenschaft bisher
ertragen Hütte.

Es ist nicht so schlimm, wie Sie wohl denken, erklärte er. Zuerst wollte
ich mir freilich den Kopf einrennen, aber allmählich bin ich ruhig geworden.
Ich habe meine Strafe verdient und nehme sie willig auf mich. Das heißt,
unterbrach er sich, wenn ich rein verstandesmüßig darüber nachdenke. Daneben
habe ich Stunden, wo sich alle meine Gefühle dagegen auflehnen, dann bin
ich sehr unglücklich. Sie kommen jedoch immer seltner über mich, und ich
glaube, ich habe uun Ruhe gefunden.

Und auf welche Weise? fragte ich.

Er errötete und zeigte nach dem Fenster hin. Draußen am dunkeln
Nachthimmel schwebte die Mondsichel zwischen leichtem Gewölk und glänzten
einige Sterne.

Wenn man immer nur in die Höhe schauen kann, sagte er dann, und
wenn man von dem, was drunten vorgeht, kaum noch eine Ahnung hat, dann
muß mau ja wohl auf Gedanken kommen, in denen Ruhe ist.

Er sprach sich nicht deutlich aus, wie er denn überhaupt große Scheu
hatte, von seinen innersten und so besonders von seinen religiösen Gefühlen
zu reden. Diese zarte Zurückhaltung machte ihn mir von vornherein sympathisch.
Auch später haben wir nur ganz selten von religiösen Dingen gesprochen, nur
etwa dann, wenn ihn seine Lektüre zu einer Frage veranlaßte. Er suchte sich
über alles, was ihm beim Lesen eines Buches unklar geblieben war, Be¬
lehrung zu verschaffen und wich in einem solchen Falle auch Fragen nicht
aus, die in die Welt des Religiösen hinübergriffen, sie bezogen sich dann
mehr auf äußere, sein inneres Wesen nicht unmittelbar berührende Dinge.
Man fühlte es aber deutlich heraus, daß er im tiefsten Herzen religiös war.
Er suchte seinen Glauben zu verbergen und konnte es doch nicht verhindern,
daß er durch alle seine Gedanken hindurchschimmerte.

Am Ende meines Gesprächs mit ihm fragte ich ihn, ob er denn nicht das
Verlangen Hütte, wieder mit andern Menschen zusammen zu sein.

Nein, ganz und gar nicht, versetzte er fast erregt. Ich habe ja selbst
darum gebeten, hier bleiben zu dürfen. Hier merke ich nicht viel davon, daß
ich gefangen bin, nur wenn ich die Zelle verlasse, dann fühle ich es wieder,
und dann fällt es mir schwer aufs Herz. Dieses Zimmer ist meine Welt und
mein Haus. So viel ich es vermochte, habe ich es mir traulich gemacht, und
wenn die Tür geschlossen ist, bin ich ruhig, dann bin ich bei mir zu Hause.
Ich habe meine Arbeit, meine Bücher, einige Briefe von meinem verstorbnen
Vater und sein Bild. Und dann kann ich auch hinausschauen in die Ferne.
Es ist nicht eben viel zu sehen, ein Stück Ackerland, ein Strich Wald in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/316>, abgerufen am 24.07.2024.