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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Eine Ferienfahrt nach Brasilien

unvermittelt bis zu tausend Meter Höhe die Serra auf, in deren Schluchten
Weiße Wasserfälle herabstürzen. Der Wald ist echter, unerforschter Urwald und
nur von wenigen schmalen Jügerpfaden durchzogen; es werden dort Hirsche,
Tapire, Gürteltiere, Affen, Perikiten und Fasanen erbeutet. Wir landeten an
einer Lichtung, aus der uns schon von fern eine deutsche Flagge gegrüßt hatte,
stiegen einige hundert Schritt durch einen Obstgarten aufwärts und waren damit
an unserm Ziele angelangt.

Der in Sav Paulo wohnende Großkaufmann von Bülow, dessen Firma
in Santos eine Zweigfirma unterhält, hat sich dieses Sitio (Ansiedlung) an¬
gelegt, um alljährlich einige Monate hier zu verleben. Das luftig gebaute Haus
enthält außer der Familienwohnung des Verwalters einen großen Speisesaal,
verschiedne Schlafräume, Küche, Vorratsräume und vorn in der ganzen Breite
eine offne Halle, die wohl am meisten von allen Räumlichkeiten benutzt wird.
Von der Halle aus hat man nach beiden Seiten hin den Blick auf den Wald,
während man den sich abdachenden Garten, den in der Sonne glänzenden Fluß
und das gegenüberliegende, nicht unbedeutend ansteigende Ufer gerade vor sich
hat. Von dem Platze vor dem Hause führt ein breiter, mit riesigen Agaven
eingefaßter Weg zu einem von der Natur geschaffnen Bade: ein kristallklares,
kühles Büchlein ergießt sich mit einem kleinen Fall in eine Felsenmulde, durch¬
strömt sie und fließt auf der andern Seite über ein natürliches Wehr wieder ab;
das Becken, dessen Durchmesser etwa zwanzig Schritt beträgt, ist so abgestuft,
daß es verschiedne Tiefen hat, gerade so, wie sie für Jung und Alt angenehm
sind; die ganze Stelle ist von Bäumen beschattet, aber nicht so dicht, daß nicht
die Sonne hier und dort hindurchscheinen und ihr Licht auf dem Wasser spielen
lassen könnte. Es muß himmlisch sein, hier die Glieder zu erfrischen.

Bei einem Rundgänge durch das Anwesen fiel mir auf, daß außer einigem
Geflügel kein Vieh vorhanden war. Zur Erklärung teilte mir der Verwalter
mit, daß der Versuch, Rinder und Ziegen zu halten, aufgegeben worden sei, weil
gar zu viele Tiere auf der Weide den Bissen giftiger Schlangen erlegen seien;
auch die Geflügelhaltung sei wenig lohnend, weil man sich der Raubvögel nicht
erwehren könne. Noch in andrer Weise wurden wir daran erinnert, daß wir
uns mitten in der Wildnis befanden. Der Verwalter zeigte uns gar nicht weit
vom Wohnhause entfernt eine Stelle, an der er vor einigen Tagen die Neste
eines Zwerghirsches vorgefunden hatte; die Spuren hätten ergeben, daß das
Tier zweifellos einer Onza (Jaguar) zum Opfer gefallen war. Nun, uns war
bekannt, daß der Jaguar, wo er nur irgend kann, dem Menschen ausweicht, und
so ließen sich denn sogar unsre Damen durch diese Erzählung nicht abhalten,
die weitere Umgebung des Besitztums zu durchstreifen.

Mit schwanken Gerten gegen die Schlangen ausgerüstet, begaben wir uns
zunächst auf leidlichem Wege nach der landeinwärts liegenden Erholungsstation
des Norddeutschen Lloyd. Diese Station ist zur Aufnahme fieberkranker See¬
leute bestimmt, hat aber glücklicherweise -- ebenso wie die Station der Hamburg-


Eine Ferienfahrt nach Brasilien

unvermittelt bis zu tausend Meter Höhe die Serra auf, in deren Schluchten
Weiße Wasserfälle herabstürzen. Der Wald ist echter, unerforschter Urwald und
nur von wenigen schmalen Jügerpfaden durchzogen; es werden dort Hirsche,
Tapire, Gürteltiere, Affen, Perikiten und Fasanen erbeutet. Wir landeten an
einer Lichtung, aus der uns schon von fern eine deutsche Flagge gegrüßt hatte,
stiegen einige hundert Schritt durch einen Obstgarten aufwärts und waren damit
an unserm Ziele angelangt.

Der in Sav Paulo wohnende Großkaufmann von Bülow, dessen Firma
in Santos eine Zweigfirma unterhält, hat sich dieses Sitio (Ansiedlung) an¬
gelegt, um alljährlich einige Monate hier zu verleben. Das luftig gebaute Haus
enthält außer der Familienwohnung des Verwalters einen großen Speisesaal,
verschiedne Schlafräume, Küche, Vorratsräume und vorn in der ganzen Breite
eine offne Halle, die wohl am meisten von allen Räumlichkeiten benutzt wird.
Von der Halle aus hat man nach beiden Seiten hin den Blick auf den Wald,
während man den sich abdachenden Garten, den in der Sonne glänzenden Fluß
und das gegenüberliegende, nicht unbedeutend ansteigende Ufer gerade vor sich
hat. Von dem Platze vor dem Hause führt ein breiter, mit riesigen Agaven
eingefaßter Weg zu einem von der Natur geschaffnen Bade: ein kristallklares,
kühles Büchlein ergießt sich mit einem kleinen Fall in eine Felsenmulde, durch¬
strömt sie und fließt auf der andern Seite über ein natürliches Wehr wieder ab;
das Becken, dessen Durchmesser etwa zwanzig Schritt beträgt, ist so abgestuft,
daß es verschiedne Tiefen hat, gerade so, wie sie für Jung und Alt angenehm
sind; die ganze Stelle ist von Bäumen beschattet, aber nicht so dicht, daß nicht
die Sonne hier und dort hindurchscheinen und ihr Licht auf dem Wasser spielen
lassen könnte. Es muß himmlisch sein, hier die Glieder zu erfrischen.

Bei einem Rundgänge durch das Anwesen fiel mir auf, daß außer einigem
Geflügel kein Vieh vorhanden war. Zur Erklärung teilte mir der Verwalter
mit, daß der Versuch, Rinder und Ziegen zu halten, aufgegeben worden sei, weil
gar zu viele Tiere auf der Weide den Bissen giftiger Schlangen erlegen seien;
auch die Geflügelhaltung sei wenig lohnend, weil man sich der Raubvögel nicht
erwehren könne. Noch in andrer Weise wurden wir daran erinnert, daß wir
uns mitten in der Wildnis befanden. Der Verwalter zeigte uns gar nicht weit
vom Wohnhause entfernt eine Stelle, an der er vor einigen Tagen die Neste
eines Zwerghirsches vorgefunden hatte; die Spuren hätten ergeben, daß das
Tier zweifellos einer Onza (Jaguar) zum Opfer gefallen war. Nun, uns war
bekannt, daß der Jaguar, wo er nur irgend kann, dem Menschen ausweicht, und
so ließen sich denn sogar unsre Damen durch diese Erzählung nicht abhalten,
die weitere Umgebung des Besitztums zu durchstreifen.

Mit schwanken Gerten gegen die Schlangen ausgerüstet, begaben wir uns
zunächst auf leidlichem Wege nach der landeinwärts liegenden Erholungsstation
des Norddeutschen Lloyd. Diese Station ist zur Aufnahme fieberkranker See¬
leute bestimmt, hat aber glücklicherweise — ebenso wie die Station der Hamburg-


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[0271] Eine Ferienfahrt nach Brasilien unvermittelt bis zu tausend Meter Höhe die Serra auf, in deren Schluchten Weiße Wasserfälle herabstürzen. Der Wald ist echter, unerforschter Urwald und nur von wenigen schmalen Jügerpfaden durchzogen; es werden dort Hirsche, Tapire, Gürteltiere, Affen, Perikiten und Fasanen erbeutet. Wir landeten an einer Lichtung, aus der uns schon von fern eine deutsche Flagge gegrüßt hatte, stiegen einige hundert Schritt durch einen Obstgarten aufwärts und waren damit an unserm Ziele angelangt. Der in Sav Paulo wohnende Großkaufmann von Bülow, dessen Firma in Santos eine Zweigfirma unterhält, hat sich dieses Sitio (Ansiedlung) an¬ gelegt, um alljährlich einige Monate hier zu verleben. Das luftig gebaute Haus enthält außer der Familienwohnung des Verwalters einen großen Speisesaal, verschiedne Schlafräume, Küche, Vorratsräume und vorn in der ganzen Breite eine offne Halle, die wohl am meisten von allen Räumlichkeiten benutzt wird. Von der Halle aus hat man nach beiden Seiten hin den Blick auf den Wald, während man den sich abdachenden Garten, den in der Sonne glänzenden Fluß und das gegenüberliegende, nicht unbedeutend ansteigende Ufer gerade vor sich hat. Von dem Platze vor dem Hause führt ein breiter, mit riesigen Agaven eingefaßter Weg zu einem von der Natur geschaffnen Bade: ein kristallklares, kühles Büchlein ergießt sich mit einem kleinen Fall in eine Felsenmulde, durch¬ strömt sie und fließt auf der andern Seite über ein natürliches Wehr wieder ab; das Becken, dessen Durchmesser etwa zwanzig Schritt beträgt, ist so abgestuft, daß es verschiedne Tiefen hat, gerade so, wie sie für Jung und Alt angenehm sind; die ganze Stelle ist von Bäumen beschattet, aber nicht so dicht, daß nicht die Sonne hier und dort hindurchscheinen und ihr Licht auf dem Wasser spielen lassen könnte. Es muß himmlisch sein, hier die Glieder zu erfrischen. Bei einem Rundgänge durch das Anwesen fiel mir auf, daß außer einigem Geflügel kein Vieh vorhanden war. Zur Erklärung teilte mir der Verwalter mit, daß der Versuch, Rinder und Ziegen zu halten, aufgegeben worden sei, weil gar zu viele Tiere auf der Weide den Bissen giftiger Schlangen erlegen seien; auch die Geflügelhaltung sei wenig lohnend, weil man sich der Raubvögel nicht erwehren könne. Noch in andrer Weise wurden wir daran erinnert, daß wir uns mitten in der Wildnis befanden. Der Verwalter zeigte uns gar nicht weit vom Wohnhause entfernt eine Stelle, an der er vor einigen Tagen die Neste eines Zwerghirsches vorgefunden hatte; die Spuren hätten ergeben, daß das Tier zweifellos einer Onza (Jaguar) zum Opfer gefallen war. Nun, uns war bekannt, daß der Jaguar, wo er nur irgend kann, dem Menschen ausweicht, und so ließen sich denn sogar unsre Damen durch diese Erzählung nicht abhalten, die weitere Umgebung des Besitztums zu durchstreifen. Mit schwanken Gerten gegen die Schlangen ausgerüstet, begaben wir uns zunächst auf leidlichem Wege nach der landeinwärts liegenden Erholungsstation des Norddeutschen Lloyd. Diese Station ist zur Aufnahme fieberkranker See¬ leute bestimmt, hat aber glücklicherweise — ebenso wie die Station der Hamburg-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/271>, abgerufen am 02.07.2024.