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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Line Ferienfahrt nach Brasilien

Amerika-Linie, die sich auf einer Insel vor der Einfahrt zum Hafen von Santos
befindet -- schon seit Jahren leer stehn können. Die hölzernen Gebäude hat
man auf hohe Pfeiler gestellt, um sie vor der Feuchtigkeit des Bodens zu schützen,
und um den vielerlei Kriechtieren das Eindringen zu erschweren. Rings um
das ganze Hauptgebäude zieht sich eine breite Galerie; der Raum unterhalb des
Fußbodens ist zur Anlage einer Kegelbahn benutzt worden. Das für den Betrieb
bestimmte Inventar wird alljährlich von einem Beamten des Lloyd revidiert,
und soweit es nötig ist, ergänzt; in der in den Zimmern aufsaugenden Haus¬
ordnung wird alles Wissenswerte mitgeteilt; auch wird auf die durch Giftschlangen
drohende Gefahr aufmerksam gemacht und vor jeder Unvorsichtigkeit beim Gehen
im Walde gewarnt.

Nachdem wir alle Räume in Augenschein genommen hatten, ging es weiter
auf schmalem, schlüpfrigem Pfade in den Wald hinein bis zu einer Schlucht,
deren Sohle von einem Netz von Rinnsalen bedeckt war. Die meisten kehrten
an dieser Stelle um, nur wenige Unermüdliche kletterten hinunter, balancierten
auf lose liegenden, glatt geschliffnen Blöcken über die Wasserläufe hinweg und
drangen dann bergauf und bergab unter fortwährendem Kampfe mit den sich
über den Weg ziehenden Lianen weiter vor. Bei einer Wendung wurde die
feierliche Stille fast unvermittelt durch ein gleichmäßiges Brausen unterbrochen,
und wenige Augenblicke später traten wir aus dem beklemmenden Dickicht in einen
freien Grund hinaus. Die Szenerie war überraschend und von wunderbarer
Schönheit. Rechts von der Höhe stürzten schäumende Wassermassen über zerrissene
Felsengebilde in einen Kessel, sammelten sich hier und strömten als reißender Bach
weiter, hier über wildes Geröll hinwegspringend, dort durch moorige, trügerisch
überwachsene Flächen in glatter Flut dahinschießend, während sich von dem Falle
her der feine Wasserstaub wie ein zarter Schleier über den Grund zog. Unter
dem Einfluß dieser sich jahraus jahrein gleich bleibenden Feuchtigkeit hatte sich
eine Vegetation von unbeschreiblicher Üppigkeit entwickelt. Die Palmen, die Philo-
dendren, die Farne und die verschiedensten Schlinggewächse prangten in einem
tiefsatten, strotzenden Grün, von dem sich der blendend weiße Wassersturz wir¬
kungsvoll abhob. Der Gebirgsurwald zeigte sich in seiner vollen Pracht.

Inzwischen waren die im Hause zurückgebliebnen Vorstandsdamen nicht
müßig gewesen, sodaß wir bei unsrer Rückkehr die Tafel in der Halle schön mit
Blumen geschmückt und reich mit Speise und Trank besetzt vorfanden. An das
Mahl, das den heitersten Verlauf nahm, schloß sich sogar noch ein Tänzchen
an, das schuld daran trug, daß wir die festgesetzte Abfahrtsstunde versäumten.
Deshalb konnten wir erst bei der tiefsten Dunkelheit, und nachdem wir einige
kleine Fährlich reiten glücklich überstanden hatten, wieder bei dem Schlachthof
anlegen.____




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Amerika-Linie, die sich auf einer Insel vor der Einfahrt zum Hafen von Santos
befindet — schon seit Jahren leer stehn können. Die hölzernen Gebäude hat
man auf hohe Pfeiler gestellt, um sie vor der Feuchtigkeit des Bodens zu schützen,
und um den vielerlei Kriechtieren das Eindringen zu erschweren. Rings um
das ganze Hauptgebäude zieht sich eine breite Galerie; der Raum unterhalb des
Fußbodens ist zur Anlage einer Kegelbahn benutzt worden. Das für den Betrieb
bestimmte Inventar wird alljährlich von einem Beamten des Lloyd revidiert,
und soweit es nötig ist, ergänzt; in der in den Zimmern aufsaugenden Haus¬
ordnung wird alles Wissenswerte mitgeteilt; auch wird auf die durch Giftschlangen
drohende Gefahr aufmerksam gemacht und vor jeder Unvorsichtigkeit beim Gehen
im Walde gewarnt.

Nachdem wir alle Räume in Augenschein genommen hatten, ging es weiter
auf schmalem, schlüpfrigem Pfade in den Wald hinein bis zu einer Schlucht,
deren Sohle von einem Netz von Rinnsalen bedeckt war. Die meisten kehrten
an dieser Stelle um, nur wenige Unermüdliche kletterten hinunter, balancierten
auf lose liegenden, glatt geschliffnen Blöcken über die Wasserläufe hinweg und
drangen dann bergauf und bergab unter fortwährendem Kampfe mit den sich
über den Weg ziehenden Lianen weiter vor. Bei einer Wendung wurde die
feierliche Stille fast unvermittelt durch ein gleichmäßiges Brausen unterbrochen,
und wenige Augenblicke später traten wir aus dem beklemmenden Dickicht in einen
freien Grund hinaus. Die Szenerie war überraschend und von wunderbarer
Schönheit. Rechts von der Höhe stürzten schäumende Wassermassen über zerrissene
Felsengebilde in einen Kessel, sammelten sich hier und strömten als reißender Bach
weiter, hier über wildes Geröll hinwegspringend, dort durch moorige, trügerisch
überwachsene Flächen in glatter Flut dahinschießend, während sich von dem Falle
her der feine Wasserstaub wie ein zarter Schleier über den Grund zog. Unter
dem Einfluß dieser sich jahraus jahrein gleich bleibenden Feuchtigkeit hatte sich
eine Vegetation von unbeschreiblicher Üppigkeit entwickelt. Die Palmen, die Philo-
dendren, die Farne und die verschiedensten Schlinggewächse prangten in einem
tiefsatten, strotzenden Grün, von dem sich der blendend weiße Wassersturz wir¬
kungsvoll abhob. Der Gebirgsurwald zeigte sich in seiner vollen Pracht.

Inzwischen waren die im Hause zurückgebliebnen Vorstandsdamen nicht
müßig gewesen, sodaß wir bei unsrer Rückkehr die Tafel in der Halle schön mit
Blumen geschmückt und reich mit Speise und Trank besetzt vorfanden. An das
Mahl, das den heitersten Verlauf nahm, schloß sich sogar noch ein Tänzchen
an, das schuld daran trug, daß wir die festgesetzte Abfahrtsstunde versäumten.
Deshalb konnten wir erst bei der tiefsten Dunkelheit, und nachdem wir einige
kleine Fährlich reiten glücklich überstanden hatten, wieder bei dem Schlachthof
anlegen.____




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/272>, abgerufen am 30.06.2024.