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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Eine Ferienfahrt nach Brasilien

aussehenden Reitern, echten Söhnen der Steppe, herdenweise angetrieben;
oft spielen sich dort bewegte Szenen ab, wenn einzelne Rinder störrisch werden
und mit dem Lasso, den die Reiter mit fabelhafter Geschicklichkeit werfen, ge¬
bändigt werden müssen. Für die Beseitigung der Abfälle sorgen die Aasgeier,
die sich in großer Anzahl auf den Dächern und in der nächsten Umgebung
aufhalten und auf den Palmen oft so dicht sitzen, daß sie die harten Blattstiele
tief herunterbeugen. Diese Geier üben in Südamerika das Amt der Sanitüts-
Polizei aus und erfreuen sich in den meisten Ländern eines besondern gesetzlichen
Schutzes. Wer in Brasilien einem Aasgeier nachstellt, wird ebenso hart be¬
straft wie in Deutschland der, der sich eine Beamtenbeleidigung zuschulden
kommen läßt.

Die ebenfalls sehr wichtige Trinkwasserfrage hat durch Anlage einer
Leitung vom Gebirge her die beste Lösung erfahren. Das Wasser ist vorzüglich,
sodaß auch die Schiffskapitäne die Tanks gern damit füllen.

Nach alledem brauchten wir keinerlei Besorgnis zu hegen, daß wir für das
Wandeln unter den Palmen bestraft werden würden.




Für mein Unterkommen war schon aufs beste gesorgt worden. Mein
Schwager, der in Santos als Arzt praktiziert und deshalb in der Stadt selbst
wohnen muß, hatte für seine Mutter und Schwester ein Landhaus in dem
durch Dampfbond leicht erreichbaren Vorort Sav Vicente gemietet, sodaß ich
in diesen Hausstand nur einzutreten brauchte. An die Zeit, die wir dort
draußen verlebten, kann ich nur mit Sehnsucht zurückdenken. Die Villa war
wohnlich eingerichtet und vollständig ausgestattet. Soweit wir nicht auf Aus¬
flügen begriffen waren, brachten wir den größten Teil des Tages auf der ge¬
räumigen rosenumrankten Veranda zu, bald in ein Buch oder in eine der nur
selten zu uns gelangenden Zeitungen vertieft, bald die Augen auf die dunkeln
Berge oder das brandende Meer gerichtet. Auch nach der Hauptmahlzeit, die
nach Landessitte in die Abendstunde gelegt war, hielt es uns nicht im Zimmer;
mindestens mußte draußen noch den Glühkäfern, die so stark wie Handlaternen
leuchteten, und den großen Fledermäusen ein Weilchen zugeschaut werden. Der
mehrere Morgen große Garten enthielt neben südländischen Gewächsen, wie
Palmen, Araukarien, Baumfarren, Orangenbäumen und gegen hundert Bananen¬
stämmen, auch Vertreter der europäischen Flora, insbesondre Rosen und Veilchen
vom schönsten Duft; sogar die deutsche Geißblattlaube fehlte nicht. Ein rot
blühender Strauch übte offenbar eine besondre Anziehungskraft auf die Kolibris
aus. Regelmäßig konnten wir diese zutraulichen und reizenden Tierchen aus
der nächsten Nähe betrachten, wie sie unter munterm Gezirpe in den Zweigen
hin und her schössen oder nach Art der Libellen die Flügel vibrieren ließen
und sich dadurch vor den Blüten in der Schwebe hielten.


Eine Ferienfahrt nach Brasilien

aussehenden Reitern, echten Söhnen der Steppe, herdenweise angetrieben;
oft spielen sich dort bewegte Szenen ab, wenn einzelne Rinder störrisch werden
und mit dem Lasso, den die Reiter mit fabelhafter Geschicklichkeit werfen, ge¬
bändigt werden müssen. Für die Beseitigung der Abfälle sorgen die Aasgeier,
die sich in großer Anzahl auf den Dächern und in der nächsten Umgebung
aufhalten und auf den Palmen oft so dicht sitzen, daß sie die harten Blattstiele
tief herunterbeugen. Diese Geier üben in Südamerika das Amt der Sanitüts-
Polizei aus und erfreuen sich in den meisten Ländern eines besondern gesetzlichen
Schutzes. Wer in Brasilien einem Aasgeier nachstellt, wird ebenso hart be¬
straft wie in Deutschland der, der sich eine Beamtenbeleidigung zuschulden
kommen läßt.

Die ebenfalls sehr wichtige Trinkwasserfrage hat durch Anlage einer
Leitung vom Gebirge her die beste Lösung erfahren. Das Wasser ist vorzüglich,
sodaß auch die Schiffskapitäne die Tanks gern damit füllen.

Nach alledem brauchten wir keinerlei Besorgnis zu hegen, daß wir für das
Wandeln unter den Palmen bestraft werden würden.




Für mein Unterkommen war schon aufs beste gesorgt worden. Mein
Schwager, der in Santos als Arzt praktiziert und deshalb in der Stadt selbst
wohnen muß, hatte für seine Mutter und Schwester ein Landhaus in dem
durch Dampfbond leicht erreichbaren Vorort Sav Vicente gemietet, sodaß ich
in diesen Hausstand nur einzutreten brauchte. An die Zeit, die wir dort
draußen verlebten, kann ich nur mit Sehnsucht zurückdenken. Die Villa war
wohnlich eingerichtet und vollständig ausgestattet. Soweit wir nicht auf Aus¬
flügen begriffen waren, brachten wir den größten Teil des Tages auf der ge¬
räumigen rosenumrankten Veranda zu, bald in ein Buch oder in eine der nur
selten zu uns gelangenden Zeitungen vertieft, bald die Augen auf die dunkeln
Berge oder das brandende Meer gerichtet. Auch nach der Hauptmahlzeit, die
nach Landessitte in die Abendstunde gelegt war, hielt es uns nicht im Zimmer;
mindestens mußte draußen noch den Glühkäfern, die so stark wie Handlaternen
leuchteten, und den großen Fledermäusen ein Weilchen zugeschaut werden. Der
mehrere Morgen große Garten enthielt neben südländischen Gewächsen, wie
Palmen, Araukarien, Baumfarren, Orangenbäumen und gegen hundert Bananen¬
stämmen, auch Vertreter der europäischen Flora, insbesondre Rosen und Veilchen
vom schönsten Duft; sogar die deutsche Geißblattlaube fehlte nicht. Ein rot
blühender Strauch übte offenbar eine besondre Anziehungskraft auf die Kolibris
aus. Regelmäßig konnten wir diese zutraulichen und reizenden Tierchen aus
der nächsten Nähe betrachten, wie sie unter munterm Gezirpe in den Zweigen
hin und her schössen oder nach Art der Libellen die Flügel vibrieren ließen
und sich dadurch vor den Blüten in der Schwebe hielten.


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[0267] Eine Ferienfahrt nach Brasilien aussehenden Reitern, echten Söhnen der Steppe, herdenweise angetrieben; oft spielen sich dort bewegte Szenen ab, wenn einzelne Rinder störrisch werden und mit dem Lasso, den die Reiter mit fabelhafter Geschicklichkeit werfen, ge¬ bändigt werden müssen. Für die Beseitigung der Abfälle sorgen die Aasgeier, die sich in großer Anzahl auf den Dächern und in der nächsten Umgebung aufhalten und auf den Palmen oft so dicht sitzen, daß sie die harten Blattstiele tief herunterbeugen. Diese Geier üben in Südamerika das Amt der Sanitüts- Polizei aus und erfreuen sich in den meisten Ländern eines besondern gesetzlichen Schutzes. Wer in Brasilien einem Aasgeier nachstellt, wird ebenso hart be¬ straft wie in Deutschland der, der sich eine Beamtenbeleidigung zuschulden kommen läßt. Die ebenfalls sehr wichtige Trinkwasserfrage hat durch Anlage einer Leitung vom Gebirge her die beste Lösung erfahren. Das Wasser ist vorzüglich, sodaß auch die Schiffskapitäne die Tanks gern damit füllen. Nach alledem brauchten wir keinerlei Besorgnis zu hegen, daß wir für das Wandeln unter den Palmen bestraft werden würden. Für mein Unterkommen war schon aufs beste gesorgt worden. Mein Schwager, der in Santos als Arzt praktiziert und deshalb in der Stadt selbst wohnen muß, hatte für seine Mutter und Schwester ein Landhaus in dem durch Dampfbond leicht erreichbaren Vorort Sav Vicente gemietet, sodaß ich in diesen Hausstand nur einzutreten brauchte. An die Zeit, die wir dort draußen verlebten, kann ich nur mit Sehnsucht zurückdenken. Die Villa war wohnlich eingerichtet und vollständig ausgestattet. Soweit wir nicht auf Aus¬ flügen begriffen waren, brachten wir den größten Teil des Tages auf der ge¬ räumigen rosenumrankten Veranda zu, bald in ein Buch oder in eine der nur selten zu uns gelangenden Zeitungen vertieft, bald die Augen auf die dunkeln Berge oder das brandende Meer gerichtet. Auch nach der Hauptmahlzeit, die nach Landessitte in die Abendstunde gelegt war, hielt es uns nicht im Zimmer; mindestens mußte draußen noch den Glühkäfern, die so stark wie Handlaternen leuchteten, und den großen Fledermäusen ein Weilchen zugeschaut werden. Der mehrere Morgen große Garten enthielt neben südländischen Gewächsen, wie Palmen, Araukarien, Baumfarren, Orangenbäumen und gegen hundert Bananen¬ stämmen, auch Vertreter der europäischen Flora, insbesondre Rosen und Veilchen vom schönsten Duft; sogar die deutsche Geißblattlaube fehlte nicht. Ein rot blühender Strauch übte offenbar eine besondre Anziehungskraft auf die Kolibris aus. Regelmäßig konnten wir diese zutraulichen und reizenden Tierchen aus der nächsten Nähe betrachten, wie sie unter munterm Gezirpe in den Zweigen hin und her schössen oder nach Art der Libellen die Flügel vibrieren ließen und sich dadurch vor den Blüten in der Schwebe hielten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/267>, abgerufen am 02.07.2024.