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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Line Ferienfahrt nach Brasilien

Santos, jetzt eine Stadt von 40000 bis 50000 Einwohnern, hat sich in
dem letzten Jahrzehnt ähnlich wie Rio, nur in entsprechend kleinerm Maßstabe,
gehoben. Die Kaianlagen sind sehr umfangreich, man erweitert sie noch
immer, um die Verschiffung der Landeserzeugnisse, inbesondre des Kaffees, mög¬
lichst zu erleichtern. Die Stadt ist nämlich fast ausschließlich auf den Kaffee¬
handel angewiesen. Der Umstand, daß es im Handelsverkehr eine besondre
Marke "Santoskaffee" gibt, könnte zu der Annahme verleiten, daß gerade dieser
Kaffee in der Umgegend von Santos gewonnen wird. Dies ist aber nicht
der Fall; bei Santos gibt es überhaupt keine Kaffeefacenden. Der Kaffee
wird vielmehr von dem Hinterkante aus zumeist auf der Eisenbahn nach
Santos geschafft und von hier aus nur verschifft, und zwar ebenso die aller¬
besten und teuersten Sorten wie die natürlich die Hauptmenge ausmachende
geringere und billigere Sorte, die speziell den Namen Santoskaffee führt.
Andrerseits gelangt Santoskaffee keineswegs nur über Santos, sondern auch
unmittelbar über Rio zum Versand. Der von den einzelnen Facenden in
Säcken nach Santos gelieferte Kaffee wird zunächst vom Bahnhof aus auf
Mulikarossen in die Armazems (Magazine) geschafft, hier ausgeschüttet, umge¬
schaufelt, gemischt und wieder in Säcke gefüllt, dann in die Lagerhäuser am
Kai befördert und aus diesen durch Träger, die bis zu drei Sack, jeden zu
120 Pfund, auf einmal auf die Schultern nehmen, in die Schiffe getragen.
Dies viles gibt dem Leben auf den Straßen, die auf weiten Strecken ganz
merklich von dem feinen Duft des ungebrannten Kaffees erfüllt sind, ein eigen¬
tümliches Gepräge.

Auch Santos hat wie Rio außer einem eng bebauten alten Stadtteil
neuere Bezirke mit gut angelegten Straßen. Von hervorragendem Gebäuden
möchte ich die beiden großen Krankenhäuser sowie das Haus des Deutschen
Klubs erwähnen, das von den Mitgliedern der deutschen Kolonie viel besucht
wird und durch seine hübsche Bauart, zweckmäßige Raumverteilung und behag¬
liche Einrichtung sowie durch seinen gut gepflegten Garten einen sehr ange¬
nehmen Eindruck macht.

In bezug auf Hygiene ist außerordentlich viel geschehen. Früher hatte
das gelbe Fieber epidemisch in Santos geherrscht und hauptsächlich unter den
Europäern große Verheerungen angerichtet, sodaß ganze Schiffsbesatzungen
dahingerafft worden waren. Da die Weiterentwicklung der Stadt, der man sogar
den Namen "Fremdenkirchhof" beigelegt hatte, dadurch ernstlich in Frage ge¬
stellt war, so ist man vor einer Reihe von Jahren mit der größten Energie
daran gegangen, durch Trockenlegung von Sümpfen und durch andre durch¬
greifende Maßregeln dem Übel die Wurzeln abzugraben, und hat auch die
Genugtuung gehabt, die Krankheit gänzlich zu unterdrücken und von Santos
fernzuhalten. Zu den im Interesse der Hygiene ausgeführten Anlagen gehört
auch der öffentliche Schlachthof. Der.Weg hat uns täglich vorübergeführt,
ohne daß uns üble Gerüche aufgefallen wären. Das Vieh wird von abenteuerlich


Line Ferienfahrt nach Brasilien

Santos, jetzt eine Stadt von 40000 bis 50000 Einwohnern, hat sich in
dem letzten Jahrzehnt ähnlich wie Rio, nur in entsprechend kleinerm Maßstabe,
gehoben. Die Kaianlagen sind sehr umfangreich, man erweitert sie noch
immer, um die Verschiffung der Landeserzeugnisse, inbesondre des Kaffees, mög¬
lichst zu erleichtern. Die Stadt ist nämlich fast ausschließlich auf den Kaffee¬
handel angewiesen. Der Umstand, daß es im Handelsverkehr eine besondre
Marke „Santoskaffee" gibt, könnte zu der Annahme verleiten, daß gerade dieser
Kaffee in der Umgegend von Santos gewonnen wird. Dies ist aber nicht
der Fall; bei Santos gibt es überhaupt keine Kaffeefacenden. Der Kaffee
wird vielmehr von dem Hinterkante aus zumeist auf der Eisenbahn nach
Santos geschafft und von hier aus nur verschifft, und zwar ebenso die aller¬
besten und teuersten Sorten wie die natürlich die Hauptmenge ausmachende
geringere und billigere Sorte, die speziell den Namen Santoskaffee führt.
Andrerseits gelangt Santoskaffee keineswegs nur über Santos, sondern auch
unmittelbar über Rio zum Versand. Der von den einzelnen Facenden in
Säcken nach Santos gelieferte Kaffee wird zunächst vom Bahnhof aus auf
Mulikarossen in die Armazems (Magazine) geschafft, hier ausgeschüttet, umge¬
schaufelt, gemischt und wieder in Säcke gefüllt, dann in die Lagerhäuser am
Kai befördert und aus diesen durch Träger, die bis zu drei Sack, jeden zu
120 Pfund, auf einmal auf die Schultern nehmen, in die Schiffe getragen.
Dies viles gibt dem Leben auf den Straßen, die auf weiten Strecken ganz
merklich von dem feinen Duft des ungebrannten Kaffees erfüllt sind, ein eigen¬
tümliches Gepräge.

Auch Santos hat wie Rio außer einem eng bebauten alten Stadtteil
neuere Bezirke mit gut angelegten Straßen. Von hervorragendem Gebäuden
möchte ich die beiden großen Krankenhäuser sowie das Haus des Deutschen
Klubs erwähnen, das von den Mitgliedern der deutschen Kolonie viel besucht
wird und durch seine hübsche Bauart, zweckmäßige Raumverteilung und behag¬
liche Einrichtung sowie durch seinen gut gepflegten Garten einen sehr ange¬
nehmen Eindruck macht.

In bezug auf Hygiene ist außerordentlich viel geschehen. Früher hatte
das gelbe Fieber epidemisch in Santos geherrscht und hauptsächlich unter den
Europäern große Verheerungen angerichtet, sodaß ganze Schiffsbesatzungen
dahingerafft worden waren. Da die Weiterentwicklung der Stadt, der man sogar
den Namen „Fremdenkirchhof" beigelegt hatte, dadurch ernstlich in Frage ge¬
stellt war, so ist man vor einer Reihe von Jahren mit der größten Energie
daran gegangen, durch Trockenlegung von Sümpfen und durch andre durch¬
greifende Maßregeln dem Übel die Wurzeln abzugraben, und hat auch die
Genugtuung gehabt, die Krankheit gänzlich zu unterdrücken und von Santos
fernzuhalten. Zu den im Interesse der Hygiene ausgeführten Anlagen gehört
auch der öffentliche Schlachthof. Der.Weg hat uns täglich vorübergeführt,
ohne daß uns üble Gerüche aufgefallen wären. Das Vieh wird von abenteuerlich


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[0266] Line Ferienfahrt nach Brasilien Santos, jetzt eine Stadt von 40000 bis 50000 Einwohnern, hat sich in dem letzten Jahrzehnt ähnlich wie Rio, nur in entsprechend kleinerm Maßstabe, gehoben. Die Kaianlagen sind sehr umfangreich, man erweitert sie noch immer, um die Verschiffung der Landeserzeugnisse, inbesondre des Kaffees, mög¬ lichst zu erleichtern. Die Stadt ist nämlich fast ausschließlich auf den Kaffee¬ handel angewiesen. Der Umstand, daß es im Handelsverkehr eine besondre Marke „Santoskaffee" gibt, könnte zu der Annahme verleiten, daß gerade dieser Kaffee in der Umgegend von Santos gewonnen wird. Dies ist aber nicht der Fall; bei Santos gibt es überhaupt keine Kaffeefacenden. Der Kaffee wird vielmehr von dem Hinterkante aus zumeist auf der Eisenbahn nach Santos geschafft und von hier aus nur verschifft, und zwar ebenso die aller¬ besten und teuersten Sorten wie die natürlich die Hauptmenge ausmachende geringere und billigere Sorte, die speziell den Namen Santoskaffee führt. Andrerseits gelangt Santoskaffee keineswegs nur über Santos, sondern auch unmittelbar über Rio zum Versand. Der von den einzelnen Facenden in Säcken nach Santos gelieferte Kaffee wird zunächst vom Bahnhof aus auf Mulikarossen in die Armazems (Magazine) geschafft, hier ausgeschüttet, umge¬ schaufelt, gemischt und wieder in Säcke gefüllt, dann in die Lagerhäuser am Kai befördert und aus diesen durch Träger, die bis zu drei Sack, jeden zu 120 Pfund, auf einmal auf die Schultern nehmen, in die Schiffe getragen. Dies viles gibt dem Leben auf den Straßen, die auf weiten Strecken ganz merklich von dem feinen Duft des ungebrannten Kaffees erfüllt sind, ein eigen¬ tümliches Gepräge. Auch Santos hat wie Rio außer einem eng bebauten alten Stadtteil neuere Bezirke mit gut angelegten Straßen. Von hervorragendem Gebäuden möchte ich die beiden großen Krankenhäuser sowie das Haus des Deutschen Klubs erwähnen, das von den Mitgliedern der deutschen Kolonie viel besucht wird und durch seine hübsche Bauart, zweckmäßige Raumverteilung und behag¬ liche Einrichtung sowie durch seinen gut gepflegten Garten einen sehr ange¬ nehmen Eindruck macht. In bezug auf Hygiene ist außerordentlich viel geschehen. Früher hatte das gelbe Fieber epidemisch in Santos geherrscht und hauptsächlich unter den Europäern große Verheerungen angerichtet, sodaß ganze Schiffsbesatzungen dahingerafft worden waren. Da die Weiterentwicklung der Stadt, der man sogar den Namen „Fremdenkirchhof" beigelegt hatte, dadurch ernstlich in Frage ge¬ stellt war, so ist man vor einer Reihe von Jahren mit der größten Energie daran gegangen, durch Trockenlegung von Sümpfen und durch andre durch¬ greifende Maßregeln dem Übel die Wurzeln abzugraben, und hat auch die Genugtuung gehabt, die Krankheit gänzlich zu unterdrücken und von Santos fernzuhalten. Zu den im Interesse der Hygiene ausgeführten Anlagen gehört auch der öffentliche Schlachthof. Der.Weg hat uns täglich vorübergeführt, ohne daß uns üble Gerüche aufgefallen wären. Das Vieh wird von abenteuerlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/266>, abgerufen am 30.06.2024.