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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Schöpfung der Sprache

sköin-an), schienen-ern, schilt-ern und als gotisch sksir-s (klar, glänzend).
Deutlich spiegelt das Gesetz wieder das griechische se^-" (Seil) gegenüber
unserm Seil, das englische äark gegenüber unserm bunt-el, das Nebenein¬
ander von lateinisch mur-us (Mauer) und mosn-ig, (Stadtmauer), von unsern
Mur-d und Maul (ahd. mut), suum-en und Surr-en, bruma-en und
bruit-en, und wenn wir nun im Lichte dieses Gesetzes als Angehörige der¬
selben Wurzelfamilie nicht nur das griechische (<7)^/>.-t0L (Sonne) mit <7x>i,-^
(Mond), das lateinische sol, das deutsche Sonn-e (englisch sun), sondern
auch das griechische <7^-"s (Licht, Glanz), das lateinische skr-fünf (heiter,
hell), ja sogar das griechische (s) ^"-^" (Tag) erkennen, so sehen wir immer
aufs neue, wie sich das Wesengleiche auch in seinem Ausdruck in der Sprache
zusammenfindet. Sonne und Tag, wie Ursache und Wirkung, aufs engste
verknüpft, sodaß die dichterische Anschauung sie wieder unmittelbar einander
gleichsetzen kann. Und in einen solchen naturnotwendigen Zusammenhang
tritt nun auch unser "Meer", das gotische ura-r-si, das lateinische mar-s,
das nichts andres ist als die schon erwähnten lateinischen Wortgebilde wan-Ars
(fließen) und ainn-is (Fluß), ein Typus derselben Wurzel, die in andrer
Gestalt im griechischen ^^-er (fließen), in v"^>-os (fließend) und in dem
Namen des allbekannten Meergottes ^V^-e^s vorliegt. So selbstverständlich
der Begriff "Fluß" zu "fließen" gehört, so selbstverständlich muß auch der
Begriff "Meer" dazu gehören, diese große "Flut", die alles Fließende in sich
aufnimmt.

Aber weiter. Mit fortschreitendem Eindringen in den Sprachstoff erwies
sich nicht nur der generelle Wechsel der Spiranten f, v, es, es (<x, S) inner¬
halb derselben Wurzel als primäres sprachschöpferisches Gesetz, wie es das
Nebeneinander von griechisch So^-", unserm Tür und lateinisch lor-Sö (Tür)
kurz andeuten möge, sondern mehr und mehr, trotz eignem langen Widerstreben,
ergab sich die Erkenntnis, daß Liquiden, nasale und alle Spiranten, also auch
s und j, unterschiedslos in ein und derselben Wurzel von vornherein wechseln
können. Hatte man in dem Streben, aus dem Wirrsal der Erscheinungen nach
gesetzmüßiger Klarheit zu gelangen, vorn auf seinem Wege diese Klarheit nur
da zu sehen vermocht, wo sie sich in ihrer einfachsten Form gab, so mußte
man weiterschreitend die vorher in klarer Isolierung laufenden Fäden auch da
noch leicht verfolgen lernen, wo sie sich kreuzen und verbinden, und wo das
ungeübte Auge nur ein verwirrendes Durcheinander wahrnehmen würde. Oder
hätte man gewaltsam die Augen schließen sollen vor solchen zutage liegenden Be¬
ziehungen, wie sie bestehn zwischen dem griechischen ^n'^-^x-s (Ameise) und dem
gleichbedeutenden lateinischen korin-log., zwischen dem griechischen ^"ox-tlo/"
(Schlund, Kehle) und dem gleichbedeutenden lateinischen kauv-s, zwischen dem
lateinischen satt-us (Waldgebirge) und unserm Wald (ahd. waly, besonders
wenn Tausende von Beispielen an allen Ecken und Enden des weiten indo¬
germanischen Sprachgebietes immer wieder dieses Gesetz mit lauter Stimme


Die Schöpfung der Sprache

sköin-an), schienen-ern, schilt-ern und als gotisch sksir-s (klar, glänzend).
Deutlich spiegelt das Gesetz wieder das griechische se^-« (Seil) gegenüber
unserm Seil, das englische äark gegenüber unserm bunt-el, das Nebenein¬
ander von lateinisch mur-us (Mauer) und mosn-ig, (Stadtmauer), von unsern
Mur-d und Maul (ahd. mut), suum-en und Surr-en, bruma-en und
bruit-en, und wenn wir nun im Lichte dieses Gesetzes als Angehörige der¬
selben Wurzelfamilie nicht nur das griechische (<7)^/>.-t0L (Sonne) mit <7x>i,-^
(Mond), das lateinische sol, das deutsche Sonn-e (englisch sun), sondern
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hell), ja sogar das griechische (s) ^«-^« (Tag) erkennen, so sehen wir immer
aufs neue, wie sich das Wesengleiche auch in seinem Ausdruck in der Sprache
zusammenfindet. Sonne und Tag, wie Ursache und Wirkung, aufs engste
verknüpft, sodaß die dichterische Anschauung sie wieder unmittelbar einander
gleichsetzen kann. Und in einen solchen naturnotwendigen Zusammenhang
tritt nun auch unser „Meer", das gotische ura-r-si, das lateinische mar-s,
das nichts andres ist als die schon erwähnten lateinischen Wortgebilde wan-Ars
(fließen) und ainn-is (Fluß), ein Typus derselben Wurzel, die in andrer
Gestalt im griechischen ^^-er (fließen), in v«^>-os (fließend) und in dem
Namen des allbekannten Meergottes ^V^-e^s vorliegt. So selbstverständlich
der Begriff „Fluß" zu „fließen" gehört, so selbstverständlich muß auch der
Begriff „Meer" dazu gehören, diese große „Flut", die alles Fließende in sich
aufnimmt.

Aber weiter. Mit fortschreitendem Eindringen in den Sprachstoff erwies
sich nicht nur der generelle Wechsel der Spiranten f, v, es, es (<x, S) inner¬
halb derselben Wurzel als primäres sprachschöpferisches Gesetz, wie es das
Nebeneinander von griechisch So^-«, unserm Tür und lateinisch lor-Sö (Tür)
kurz andeuten möge, sondern mehr und mehr, trotz eignem langen Widerstreben,
ergab sich die Erkenntnis, daß Liquiden, nasale und alle Spiranten, also auch
s und j, unterschiedslos in ein und derselben Wurzel von vornherein wechseln
können. Hatte man in dem Streben, aus dem Wirrsal der Erscheinungen nach
gesetzmüßiger Klarheit zu gelangen, vorn auf seinem Wege diese Klarheit nur
da zu sehen vermocht, wo sie sich in ihrer einfachsten Form gab, so mußte
man weiterschreitend die vorher in klarer Isolierung laufenden Fäden auch da
noch leicht verfolgen lernen, wo sie sich kreuzen und verbinden, und wo das
ungeübte Auge nur ein verwirrendes Durcheinander wahrnehmen würde. Oder
hätte man gewaltsam die Augen schließen sollen vor solchen zutage liegenden Be¬
ziehungen, wie sie bestehn zwischen dem griechischen ^n'^-^x-s (Ameise) und dem
gleichbedeutenden lateinischen korin-log., zwischen dem griechischen ^«ox-tlo/«
(Schlund, Kehle) und dem gleichbedeutenden lateinischen kauv-s, zwischen dem
lateinischen satt-us (Waldgebirge) und unserm Wald (ahd. waly, besonders
wenn Tausende von Beispielen an allen Ecken und Enden des weiten indo¬
germanischen Sprachgebietes immer wieder dieses Gesetz mit lauter Stimme


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/260>, abgerufen am 05.07.2024.