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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Das Mexiko des porfirio Diaz

so ungemein lehrreich für die Entwicklung des modernen Mexiko, daß das
Buch sicher auch in Deutschland die weiteste Verbreitung finden wird, wenn
es näher bekannt geworden ist.

Mit Recht geht die Verfasserin davon aus, daß sich zu der Zeit, wo
Porfirio Diaz am 15. Dezember 1830 geboren wurde, die Nachwirkungen der
spanischen Unterdrückung noch geltend machten. Was aus Mexiko geworden
wäre, wenn die fanatischen Spanier nicht die hohe Aztekenkultur in Stücke
geschlagen und Tausende von Mexikanern dem Feuertode der Inquisition über¬
liefert hätten, ist gar nicht auszudenken. Alexander von Humboldt, der wissen¬
schaftliche Entdecker Mexikos, der dort wie ein Nationalheros verehrt wird,
hat in seinem berühmten ?rg.it6 xolitiMs sur 1" Uouvelle. LsMAns darauf
hingewiesen, daß der noch jetzt vorhandne Steinblock mit dem eingemeißelten
Kalender die genaueste Kenntnis der Einteilung des Jahres durch die Azteken
beweist, daß die vier Seiten der mexikanischen Tempelpyramiden fast genau
nach den vier Kardinalpunkten des Kompasses gerichtet sind, und daß die
wenigen von den Spaniern nicht verbrannten Hieroglyphenaufzeichnungen ans
einen hohen Kulturgrad schließen lassen. Die Spanier haben diese Kultur in
der erbarmungslosesten Weise ausgerottet und die ganze mexikanische Bevölkerung
zu Sklaven herabgewürdigt. Kein Wunder, daß der Charakter der Mexikaner,
wie er sich in den Revolutionen während der Jugendzeit von Porfirio Diaz
zeigte, das Produkt der spanischen Vergewaltigung war: listig, grausam, unstet,
zur Verräterei neigend, trotz persönlichen Mutes, und politisch völlig unfähig.

Den ersten aktiven Anteil an der Revolution nahm der auf dem römisch¬
katholischen Seminar erzogne und später zum Rechtsstudium übergetretne junge
Diaz am 1. Dezember 1854. Der damalige Direktor der mexikanischen Republik,
General Santa Anna, wollte, dem Beispiel Napoleons des Dritten folgend, durch
eine Volksabstimmung entscheiden lassen, daß er auch fernerhin die höchste Gewalt
in Händen behielte. Alle Studenten stimmten unter dem Druck ihrer Pro¬
fessoren dafür, aber Diaz stimmte gegen Santa Anna und für den General
Alvarez, das Haupt der Nevolutionspartei. Man wollte Diaz verhaften, aber
er entzog sich seiner Festnahme durch die Flucht, sammelte einige verwegne
Altersgenossen um sich und brachte einer Regierungstruppe in einem Engpaß
durch Steinlawinen Verluste bei. "Das war mein erstes Gefecht", schrieb er
in sein Tagebuch. Hernach kämpfte Diaz für die Reformgesetze des Benito
Juarez gegen die Kirche und unterstützte als Hauptmann in der Armee die
Wahl des Juarez zum Präsidenten der Republik, 1857. Zwei Jahre darauf
wurde Juarez von den Vereinigten Staaten als rechtmäßiger konstitutioneller
Präsident von Mexiko anerkannt. Diaz wurde der wichtige Posten eines
Gouverneurs und Militärkommandanten des Distrikts Tehuantepec übertragen.
Unglaublich waren die Strapazen, die Diaz während der Revolutionskriege
zu erdulden hatte. Fast immer mußte im Freien biwakiert werden, die Ver¬
pflegung war höchst mangelhaft, und die Heilung der Wunden kaum möglich.
Zweimal erhielt Diaz eine gefährliche Schußwunde. Die eine Kugel hatte er
ein Jahr und acht Monate mit sich herumtragen müssen. Sie hatte ihm


Das Mexiko des porfirio Diaz

so ungemein lehrreich für die Entwicklung des modernen Mexiko, daß das
Buch sicher auch in Deutschland die weiteste Verbreitung finden wird, wenn
es näher bekannt geworden ist.

Mit Recht geht die Verfasserin davon aus, daß sich zu der Zeit, wo
Porfirio Diaz am 15. Dezember 1830 geboren wurde, die Nachwirkungen der
spanischen Unterdrückung noch geltend machten. Was aus Mexiko geworden
wäre, wenn die fanatischen Spanier nicht die hohe Aztekenkultur in Stücke
geschlagen und Tausende von Mexikanern dem Feuertode der Inquisition über¬
liefert hätten, ist gar nicht auszudenken. Alexander von Humboldt, der wissen¬
schaftliche Entdecker Mexikos, der dort wie ein Nationalheros verehrt wird,
hat in seinem berühmten ?rg.it6 xolitiMs sur 1» Uouvelle. LsMAns darauf
hingewiesen, daß der noch jetzt vorhandne Steinblock mit dem eingemeißelten
Kalender die genaueste Kenntnis der Einteilung des Jahres durch die Azteken
beweist, daß die vier Seiten der mexikanischen Tempelpyramiden fast genau
nach den vier Kardinalpunkten des Kompasses gerichtet sind, und daß die
wenigen von den Spaniern nicht verbrannten Hieroglyphenaufzeichnungen ans
einen hohen Kulturgrad schließen lassen. Die Spanier haben diese Kultur in
der erbarmungslosesten Weise ausgerottet und die ganze mexikanische Bevölkerung
zu Sklaven herabgewürdigt. Kein Wunder, daß der Charakter der Mexikaner,
wie er sich in den Revolutionen während der Jugendzeit von Porfirio Diaz
zeigte, das Produkt der spanischen Vergewaltigung war: listig, grausam, unstet,
zur Verräterei neigend, trotz persönlichen Mutes, und politisch völlig unfähig.

Den ersten aktiven Anteil an der Revolution nahm der auf dem römisch¬
katholischen Seminar erzogne und später zum Rechtsstudium übergetretne junge
Diaz am 1. Dezember 1854. Der damalige Direktor der mexikanischen Republik,
General Santa Anna, wollte, dem Beispiel Napoleons des Dritten folgend, durch
eine Volksabstimmung entscheiden lassen, daß er auch fernerhin die höchste Gewalt
in Händen behielte. Alle Studenten stimmten unter dem Druck ihrer Pro¬
fessoren dafür, aber Diaz stimmte gegen Santa Anna und für den General
Alvarez, das Haupt der Nevolutionspartei. Man wollte Diaz verhaften, aber
er entzog sich seiner Festnahme durch die Flucht, sammelte einige verwegne
Altersgenossen um sich und brachte einer Regierungstruppe in einem Engpaß
durch Steinlawinen Verluste bei. „Das war mein erstes Gefecht", schrieb er
in sein Tagebuch. Hernach kämpfte Diaz für die Reformgesetze des Benito
Juarez gegen die Kirche und unterstützte als Hauptmann in der Armee die
Wahl des Juarez zum Präsidenten der Republik, 1857. Zwei Jahre darauf
wurde Juarez von den Vereinigten Staaten als rechtmäßiger konstitutioneller
Präsident von Mexiko anerkannt. Diaz wurde der wichtige Posten eines
Gouverneurs und Militärkommandanten des Distrikts Tehuantepec übertragen.
Unglaublich waren die Strapazen, die Diaz während der Revolutionskriege
zu erdulden hatte. Fast immer mußte im Freien biwakiert werden, die Ver¬
pflegung war höchst mangelhaft, und die Heilung der Wunden kaum möglich.
Zweimal erhielt Diaz eine gefährliche Schußwunde. Die eine Kugel hatte er
ein Jahr und acht Monate mit sich herumtragen müssen. Sie hatte ihm


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[0239] Das Mexiko des porfirio Diaz so ungemein lehrreich für die Entwicklung des modernen Mexiko, daß das Buch sicher auch in Deutschland die weiteste Verbreitung finden wird, wenn es näher bekannt geworden ist. Mit Recht geht die Verfasserin davon aus, daß sich zu der Zeit, wo Porfirio Diaz am 15. Dezember 1830 geboren wurde, die Nachwirkungen der spanischen Unterdrückung noch geltend machten. Was aus Mexiko geworden wäre, wenn die fanatischen Spanier nicht die hohe Aztekenkultur in Stücke geschlagen und Tausende von Mexikanern dem Feuertode der Inquisition über¬ liefert hätten, ist gar nicht auszudenken. Alexander von Humboldt, der wissen¬ schaftliche Entdecker Mexikos, der dort wie ein Nationalheros verehrt wird, hat in seinem berühmten ?rg.it6 xolitiMs sur 1» Uouvelle. LsMAns darauf hingewiesen, daß der noch jetzt vorhandne Steinblock mit dem eingemeißelten Kalender die genaueste Kenntnis der Einteilung des Jahres durch die Azteken beweist, daß die vier Seiten der mexikanischen Tempelpyramiden fast genau nach den vier Kardinalpunkten des Kompasses gerichtet sind, und daß die wenigen von den Spaniern nicht verbrannten Hieroglyphenaufzeichnungen ans einen hohen Kulturgrad schließen lassen. Die Spanier haben diese Kultur in der erbarmungslosesten Weise ausgerottet und die ganze mexikanische Bevölkerung zu Sklaven herabgewürdigt. Kein Wunder, daß der Charakter der Mexikaner, wie er sich in den Revolutionen während der Jugendzeit von Porfirio Diaz zeigte, das Produkt der spanischen Vergewaltigung war: listig, grausam, unstet, zur Verräterei neigend, trotz persönlichen Mutes, und politisch völlig unfähig. Den ersten aktiven Anteil an der Revolution nahm der auf dem römisch¬ katholischen Seminar erzogne und später zum Rechtsstudium übergetretne junge Diaz am 1. Dezember 1854. Der damalige Direktor der mexikanischen Republik, General Santa Anna, wollte, dem Beispiel Napoleons des Dritten folgend, durch eine Volksabstimmung entscheiden lassen, daß er auch fernerhin die höchste Gewalt in Händen behielte. Alle Studenten stimmten unter dem Druck ihrer Pro¬ fessoren dafür, aber Diaz stimmte gegen Santa Anna und für den General Alvarez, das Haupt der Nevolutionspartei. Man wollte Diaz verhaften, aber er entzog sich seiner Festnahme durch die Flucht, sammelte einige verwegne Altersgenossen um sich und brachte einer Regierungstruppe in einem Engpaß durch Steinlawinen Verluste bei. „Das war mein erstes Gefecht", schrieb er in sein Tagebuch. Hernach kämpfte Diaz für die Reformgesetze des Benito Juarez gegen die Kirche und unterstützte als Hauptmann in der Armee die Wahl des Juarez zum Präsidenten der Republik, 1857. Zwei Jahre darauf wurde Juarez von den Vereinigten Staaten als rechtmäßiger konstitutioneller Präsident von Mexiko anerkannt. Diaz wurde der wichtige Posten eines Gouverneurs und Militärkommandanten des Distrikts Tehuantepec übertragen. Unglaublich waren die Strapazen, die Diaz während der Revolutionskriege zu erdulden hatte. Fast immer mußte im Freien biwakiert werden, die Ver¬ pflegung war höchst mangelhaft, und die Heilung der Wunden kaum möglich. Zweimal erhielt Diaz eine gefährliche Schußwunde. Die eine Kugel hatte er ein Jahr und acht Monate mit sich herumtragen müssen. Sie hatte ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/239>, abgerufen am 24.07.2024.