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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Das Mexiko des Porfirio Diaz

unsre Aufmerksamkeit tierdiente, sind für immer entschwunden. Japans Sieges¬
laufbahn hat alle Welt mit Staunen verfolgt. Die Vereinigten Staaten von
Amerika nehmen unter ihrem genialen Präsidenten Roosevelt immer regern
Anteil an der Weltpolitik, und daneben sind andre Nationen in schnellem wirt¬
schaftlichem und politischem Emporblühen begriffen, die vor einigen Jahren
überhaupt noch keine Rolle auf der Weltbühne spielten und zu der großen
Zahl interessanter Länder gehörten, von denen man nur als Briefmarken¬
sammler oder auf der Schulbank etwas gehört hatte. Und doch wird unsre
Zukunft mehr oder weniger davon abhängen, wie weit es uns gelingt, zu
diesen Ländern gute Beziehungen zu erhalten. In Südamerika sind es Chile,
Brasilien und Argentinien, von denen wir eine genaue Kenntnis haben müßten,
und in Nordamerika sind nicht nur Kanada und die Union für uns von der
größten Wichtigkeit, sondern auch Mexiko.

Ein Blick auf die Weltkarte, wo alle Länder in demselben Maßstabe dar¬
gestellt sind, zeigt uns, daß Mexiko ungefähr viermal so groß ist als das
Deutsche Reich, und dabei ist Mexiko jetzt nur halb so groß, als es früher war,
hat es doch nach dem unglücklichen Kriege mit den Vereinigten Staaten von
Amerika im Frieden von Guadelupe im Jahre 1848 von seinen ihm damals
gehörenden 216 000 Quadratmeilen 110 000 Quadratmeilen an diese Schwester-
rcpublik abtreten müssen. Die Bevölkerung Mexikos beträgt 18 Millionen
Einwohner, kommt also der Spaniens gleich und wird sie bei dem viel
schnellern Wachstum bald bedeutend übertreffen. Aller Voraussicht nach wird
Mexiko in absehbarer Zeit sein Mutterland wirtschaftlich noch in ganz andrer
Weise in den Schatten stellen als die Vereinigten Staaten England. Mexiko
hat in dreißig Jahren das nachgeholt, was sich Europa im Laufe von Jahr¬
hunderten errungen hatte, und wenn natürlich auch die allgemeine Bildung
nicht annähernd mit der deutschen verglichen werden kann, so sind doch die
wirtschaftliche Kraft, das Verkehrswesen und vor allem der auswärtige Kredit
des Landes auf eine Höhe gebracht worden, die sehr wohl einen Vergleich mit
europäischen Verhältnissen aushält.

Und dies alles ist das Werk eines einzigen Mannes, der sein dreihundert
Jahre hindurch von den Spaniern ausgesognes und dann sechzig Jahre lang
von Bürgerkrieg und fremden Invasionen zerfleischtes Vaterland mit der Macht
des Genius in moderne Kulturbahnen gelenkt und aus dem Chaos eines wirt¬
schaftlich und politisch zerrütteten Landes einen Musterstaat geschaffen hat, der allen
andern amerikanischen Republiken zur Nachahmung empfohlen werden kann.

Es ist darum mit Freuden zu begrüßen, daß soeben die erste Biographie dieses
seltnen Mannes, die auf seinen eignen Tagebuchaufzeichnungen beruht, in deutscher
Übersetzung erschienen ist. Das Werk führt den Titel: Alce Tweedie, Porfiriv
Diaz, der Schöpfer des heutigen Mexiko (Berlin, B. Behrs Verlag, 1906).
Die Verfasserin ist eine Engländerin, die sich zweimal längere Zeit in Mexiko
aufgehalten hat und schon ein andres, weniger bedeutendes Werk über Mexiko
veröffentlicht hat. Das vorliegende Buch verdient wegen der persönlichen Auf¬
zeichnungen des Präsidenten Diaz große Beachtung. Diese sind so neu und


Das Mexiko des Porfirio Diaz

unsre Aufmerksamkeit tierdiente, sind für immer entschwunden. Japans Sieges¬
laufbahn hat alle Welt mit Staunen verfolgt. Die Vereinigten Staaten von
Amerika nehmen unter ihrem genialen Präsidenten Roosevelt immer regern
Anteil an der Weltpolitik, und daneben sind andre Nationen in schnellem wirt¬
schaftlichem und politischem Emporblühen begriffen, die vor einigen Jahren
überhaupt noch keine Rolle auf der Weltbühne spielten und zu der großen
Zahl interessanter Länder gehörten, von denen man nur als Briefmarken¬
sammler oder auf der Schulbank etwas gehört hatte. Und doch wird unsre
Zukunft mehr oder weniger davon abhängen, wie weit es uns gelingt, zu
diesen Ländern gute Beziehungen zu erhalten. In Südamerika sind es Chile,
Brasilien und Argentinien, von denen wir eine genaue Kenntnis haben müßten,
und in Nordamerika sind nicht nur Kanada und die Union für uns von der
größten Wichtigkeit, sondern auch Mexiko.

Ein Blick auf die Weltkarte, wo alle Länder in demselben Maßstabe dar¬
gestellt sind, zeigt uns, daß Mexiko ungefähr viermal so groß ist als das
Deutsche Reich, und dabei ist Mexiko jetzt nur halb so groß, als es früher war,
hat es doch nach dem unglücklichen Kriege mit den Vereinigten Staaten von
Amerika im Frieden von Guadelupe im Jahre 1848 von seinen ihm damals
gehörenden 216 000 Quadratmeilen 110 000 Quadratmeilen an diese Schwester-
rcpublik abtreten müssen. Die Bevölkerung Mexikos beträgt 18 Millionen
Einwohner, kommt also der Spaniens gleich und wird sie bei dem viel
schnellern Wachstum bald bedeutend übertreffen. Aller Voraussicht nach wird
Mexiko in absehbarer Zeit sein Mutterland wirtschaftlich noch in ganz andrer
Weise in den Schatten stellen als die Vereinigten Staaten England. Mexiko
hat in dreißig Jahren das nachgeholt, was sich Europa im Laufe von Jahr¬
hunderten errungen hatte, und wenn natürlich auch die allgemeine Bildung
nicht annähernd mit der deutschen verglichen werden kann, so sind doch die
wirtschaftliche Kraft, das Verkehrswesen und vor allem der auswärtige Kredit
des Landes auf eine Höhe gebracht worden, die sehr wohl einen Vergleich mit
europäischen Verhältnissen aushält.

Und dies alles ist das Werk eines einzigen Mannes, der sein dreihundert
Jahre hindurch von den Spaniern ausgesognes und dann sechzig Jahre lang
von Bürgerkrieg und fremden Invasionen zerfleischtes Vaterland mit der Macht
des Genius in moderne Kulturbahnen gelenkt und aus dem Chaos eines wirt¬
schaftlich und politisch zerrütteten Landes einen Musterstaat geschaffen hat, der allen
andern amerikanischen Republiken zur Nachahmung empfohlen werden kann.

Es ist darum mit Freuden zu begrüßen, daß soeben die erste Biographie dieses
seltnen Mannes, die auf seinen eignen Tagebuchaufzeichnungen beruht, in deutscher
Übersetzung erschienen ist. Das Werk führt den Titel: Alce Tweedie, Porfiriv
Diaz, der Schöpfer des heutigen Mexiko (Berlin, B. Behrs Verlag, 1906).
Die Verfasserin ist eine Engländerin, die sich zweimal längere Zeit in Mexiko
aufgehalten hat und schon ein andres, weniger bedeutendes Werk über Mexiko
veröffentlicht hat. Das vorliegende Buch verdient wegen der persönlichen Auf¬
zeichnungen des Präsidenten Diaz große Beachtung. Diese sind so neu und


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[0238] Das Mexiko des Porfirio Diaz unsre Aufmerksamkeit tierdiente, sind für immer entschwunden. Japans Sieges¬ laufbahn hat alle Welt mit Staunen verfolgt. Die Vereinigten Staaten von Amerika nehmen unter ihrem genialen Präsidenten Roosevelt immer regern Anteil an der Weltpolitik, und daneben sind andre Nationen in schnellem wirt¬ schaftlichem und politischem Emporblühen begriffen, die vor einigen Jahren überhaupt noch keine Rolle auf der Weltbühne spielten und zu der großen Zahl interessanter Länder gehörten, von denen man nur als Briefmarken¬ sammler oder auf der Schulbank etwas gehört hatte. Und doch wird unsre Zukunft mehr oder weniger davon abhängen, wie weit es uns gelingt, zu diesen Ländern gute Beziehungen zu erhalten. In Südamerika sind es Chile, Brasilien und Argentinien, von denen wir eine genaue Kenntnis haben müßten, und in Nordamerika sind nicht nur Kanada und die Union für uns von der größten Wichtigkeit, sondern auch Mexiko. Ein Blick auf die Weltkarte, wo alle Länder in demselben Maßstabe dar¬ gestellt sind, zeigt uns, daß Mexiko ungefähr viermal so groß ist als das Deutsche Reich, und dabei ist Mexiko jetzt nur halb so groß, als es früher war, hat es doch nach dem unglücklichen Kriege mit den Vereinigten Staaten von Amerika im Frieden von Guadelupe im Jahre 1848 von seinen ihm damals gehörenden 216 000 Quadratmeilen 110 000 Quadratmeilen an diese Schwester- rcpublik abtreten müssen. Die Bevölkerung Mexikos beträgt 18 Millionen Einwohner, kommt also der Spaniens gleich und wird sie bei dem viel schnellern Wachstum bald bedeutend übertreffen. Aller Voraussicht nach wird Mexiko in absehbarer Zeit sein Mutterland wirtschaftlich noch in ganz andrer Weise in den Schatten stellen als die Vereinigten Staaten England. Mexiko hat in dreißig Jahren das nachgeholt, was sich Europa im Laufe von Jahr¬ hunderten errungen hatte, und wenn natürlich auch die allgemeine Bildung nicht annähernd mit der deutschen verglichen werden kann, so sind doch die wirtschaftliche Kraft, das Verkehrswesen und vor allem der auswärtige Kredit des Landes auf eine Höhe gebracht worden, die sehr wohl einen Vergleich mit europäischen Verhältnissen aushält. Und dies alles ist das Werk eines einzigen Mannes, der sein dreihundert Jahre hindurch von den Spaniern ausgesognes und dann sechzig Jahre lang von Bürgerkrieg und fremden Invasionen zerfleischtes Vaterland mit der Macht des Genius in moderne Kulturbahnen gelenkt und aus dem Chaos eines wirt¬ schaftlich und politisch zerrütteten Landes einen Musterstaat geschaffen hat, der allen andern amerikanischen Republiken zur Nachahmung empfohlen werden kann. Es ist darum mit Freuden zu begrüßen, daß soeben die erste Biographie dieses seltnen Mannes, die auf seinen eignen Tagebuchaufzeichnungen beruht, in deutscher Übersetzung erschienen ist. Das Werk führt den Titel: Alce Tweedie, Porfiriv Diaz, der Schöpfer des heutigen Mexiko (Berlin, B. Behrs Verlag, 1906). Die Verfasserin ist eine Engländerin, die sich zweimal längere Zeit in Mexiko aufgehalten hat und schon ein andres, weniger bedeutendes Werk über Mexiko veröffentlicht hat. Das vorliegende Buch verdient wegen der persönlichen Auf¬ zeichnungen des Präsidenten Diaz große Beachtung. Diese sind so neu und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/238>, abgerufen am 24.07.2024.