Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

bewerten als einen mit dem Einjährigfreiwilligen-Zeugnis ausgestatteten
Handlungsgehilfen.

Nun fragen Sie sehr mit Recht: Wie wird die Wirkung des Vorschlags
in der Praxis sein? und wird überhaupt nicht jede Regierung und jede Kammer
eine ganz genane Vorberechnung über die Erfolge eines solchen Wahlrechts¬
vorschlags verlangen? Hier muß ich vor Ihnen kapituliere". Das muß ich
anerkennen, daß vor praktischer Bearbeitung meines Gedankens in Form eines
Gesetzentwurfs genaue Aufnahmen durch das statistische Landesamt erforderlich
sind, wenn man erkennen will, wie die Vorschlüge in den einzelnen Wahlkreisen
tatsächlich wirken. Ich fürchte diese Prüfung aber um deswillen nicht, weil ich
den grundlegenden Gedanken für richtig erachte und darum der festen Über¬
zeugung von seiner Durchführbarkeit bin, auch wenn sich einzelne Unebenheiten
in der Praxis zeigen und einige Sozialdemokraten mehr als erwünscht in die
Kammer einziehn sollten. Jede Änderung des Wahlrechts wird aber zweifellos
auf der einen Seite unbefriedigte Wünsche zurücklassen und auf der andern
Seite die Befürchtung erwecken, daß man in der Gewährung von Rechten schon
zu weit gehe. Nur in einem Punkte, glaube ich, werden Sie jetzt schon richtig
vorausgesehen haben, daß nämlich mein Vorschlag eine bedeutende Stärkung
der Stellung des Mittelstandes zur Folge haben wird. Denn wenn, rein
theoretisch gesprochen, die Hälfte der Wähler mit dem geringsten Einkommen
und das Sechstel der Wähler mit dem höchsten Einkommen die gleiche Stünmen-
zahl haben, so liegt die Entscheidung bei der zweiten Klasse. Das aber wäre
mir nur erwünscht, wenngleich es sich natürlich in der Praxis, wo die
Parteien durch die Klassengrenzeu nicht mehr geschieden sind, vielfach anders ge¬
stalten wird.

Und nun Ihre Einwendungen gegen meine Vorschläge über die Ergänzung
der ersten Kammer. Sie meinen, wenn meine Wahlrechtsvorschläge in betreff
der zweiten Kammer Annahme fänden, müßte erst recht Ihr Verlangen nach
der gänzlichen Neugestaltung der ersten Kammer als berechtigt anerkannt werden.
Ich kann Ihnen auch hier nicht folgen. Meines Trachtens ist die Verstärkung
der ersten Kammer um zehn Mitglieder schon ein sehr bedeutender Schritt
vorwärts, und die Ernennung der Mitglieder durch die Krone bei der mangelnden
gesetzlichen Organisation der meisten Berufsstände unumgänglich notwendig.
Sie wollen zwar das Oberhaus als aus Berufsständen hervorgegangen organi¬
sieren, wollen aber seine Rechte womöglich vermindern- In bezug auf den
letzten Punkt kann ich erst recht nicht mit Ihnen gehn. Je liberaler man das
Wahlrecht zur zweiten Kammer gestaltet, desto vorsichtiger muß man meines
Erachtens mit den Rechten des Oberhauses umgehn. Ja ich gehe noch einen
Schritt weiter und komme damit zum Schluß auf einen Punkt zu sprechen,
den Sie da neulich mündlich berührt haben. Ich halte auch dafür, daß das
allgemeine Wahlrecht zum Reichstag nicht angetastet werden kann, solange die
Sozialdemokratie nicht eine wirkliche Revolution und den gewaltsamen Umsturz


bewerten als einen mit dem Einjährigfreiwilligen-Zeugnis ausgestatteten
Handlungsgehilfen.

Nun fragen Sie sehr mit Recht: Wie wird die Wirkung des Vorschlags
in der Praxis sein? und wird überhaupt nicht jede Regierung und jede Kammer
eine ganz genane Vorberechnung über die Erfolge eines solchen Wahlrechts¬
vorschlags verlangen? Hier muß ich vor Ihnen kapituliere». Das muß ich
anerkennen, daß vor praktischer Bearbeitung meines Gedankens in Form eines
Gesetzentwurfs genaue Aufnahmen durch das statistische Landesamt erforderlich
sind, wenn man erkennen will, wie die Vorschlüge in den einzelnen Wahlkreisen
tatsächlich wirken. Ich fürchte diese Prüfung aber um deswillen nicht, weil ich
den grundlegenden Gedanken für richtig erachte und darum der festen Über¬
zeugung von seiner Durchführbarkeit bin, auch wenn sich einzelne Unebenheiten
in der Praxis zeigen und einige Sozialdemokraten mehr als erwünscht in die
Kammer einziehn sollten. Jede Änderung des Wahlrechts wird aber zweifellos
auf der einen Seite unbefriedigte Wünsche zurücklassen und auf der andern
Seite die Befürchtung erwecken, daß man in der Gewährung von Rechten schon
zu weit gehe. Nur in einem Punkte, glaube ich, werden Sie jetzt schon richtig
vorausgesehen haben, daß nämlich mein Vorschlag eine bedeutende Stärkung
der Stellung des Mittelstandes zur Folge haben wird. Denn wenn, rein
theoretisch gesprochen, die Hälfte der Wähler mit dem geringsten Einkommen
und das Sechstel der Wähler mit dem höchsten Einkommen die gleiche Stünmen-
zahl haben, so liegt die Entscheidung bei der zweiten Klasse. Das aber wäre
mir nur erwünscht, wenngleich es sich natürlich in der Praxis, wo die
Parteien durch die Klassengrenzeu nicht mehr geschieden sind, vielfach anders ge¬
stalten wird.

Und nun Ihre Einwendungen gegen meine Vorschläge über die Ergänzung
der ersten Kammer. Sie meinen, wenn meine Wahlrechtsvorschläge in betreff
der zweiten Kammer Annahme fänden, müßte erst recht Ihr Verlangen nach
der gänzlichen Neugestaltung der ersten Kammer als berechtigt anerkannt werden.
Ich kann Ihnen auch hier nicht folgen. Meines Trachtens ist die Verstärkung
der ersten Kammer um zehn Mitglieder schon ein sehr bedeutender Schritt
vorwärts, und die Ernennung der Mitglieder durch die Krone bei der mangelnden
gesetzlichen Organisation der meisten Berufsstände unumgänglich notwendig.
Sie wollen zwar das Oberhaus als aus Berufsständen hervorgegangen organi¬
sieren, wollen aber seine Rechte womöglich vermindern- In bezug auf den
letzten Punkt kann ich erst recht nicht mit Ihnen gehn. Je liberaler man das
Wahlrecht zur zweiten Kammer gestaltet, desto vorsichtiger muß man meines
Erachtens mit den Rechten des Oberhauses umgehn. Ja ich gehe noch einen
Schritt weiter und komme damit zum Schluß auf einen Punkt zu sprechen,
den Sie da neulich mündlich berührt haben. Ich halte auch dafür, daß das
allgemeine Wahlrecht zum Reichstag nicht angetastet werden kann, solange die
Sozialdemokratie nicht eine wirkliche Revolution und den gewaltsamen Umsturz


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0193" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301447"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_667" prev="#ID_666"> bewerten als einen mit dem Einjährigfreiwilligen-Zeugnis ausgestatteten<lb/>
Handlungsgehilfen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_668"> Nun fragen Sie sehr mit Recht: Wie wird die Wirkung des Vorschlags<lb/>
in der Praxis sein? und wird überhaupt nicht jede Regierung und jede Kammer<lb/>
eine ganz genane Vorberechnung über die Erfolge eines solchen Wahlrechts¬<lb/>
vorschlags verlangen? Hier muß ich vor Ihnen kapituliere». Das muß ich<lb/>
anerkennen, daß vor praktischer Bearbeitung meines Gedankens in Form eines<lb/>
Gesetzentwurfs genaue Aufnahmen durch das statistische Landesamt erforderlich<lb/>
sind, wenn man erkennen will, wie die Vorschlüge in den einzelnen Wahlkreisen<lb/>
tatsächlich wirken. Ich fürchte diese Prüfung aber um deswillen nicht, weil ich<lb/>
den grundlegenden Gedanken für richtig erachte und darum der festen Über¬<lb/>
zeugung von seiner Durchführbarkeit bin, auch wenn sich einzelne Unebenheiten<lb/>
in der Praxis zeigen und einige Sozialdemokraten mehr als erwünscht in die<lb/>
Kammer einziehn sollten. Jede Änderung des Wahlrechts wird aber zweifellos<lb/>
auf der einen Seite unbefriedigte Wünsche zurücklassen und auf der andern<lb/>
Seite die Befürchtung erwecken, daß man in der Gewährung von Rechten schon<lb/>
zu weit gehe. Nur in einem Punkte, glaube ich, werden Sie jetzt schon richtig<lb/>
vorausgesehen haben, daß nämlich mein Vorschlag eine bedeutende Stärkung<lb/>
der Stellung des Mittelstandes zur Folge haben wird. Denn wenn, rein<lb/>
theoretisch gesprochen, die Hälfte der Wähler mit dem geringsten Einkommen<lb/>
und das Sechstel der Wähler mit dem höchsten Einkommen die gleiche Stünmen-<lb/>
zahl haben, so liegt die Entscheidung bei der zweiten Klasse. Das aber wäre<lb/>
mir nur erwünscht, wenngleich es sich natürlich in der Praxis, wo die<lb/>
Parteien durch die Klassengrenzeu nicht mehr geschieden sind, vielfach anders ge¬<lb/>
stalten wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_669" next="#ID_670"> Und nun Ihre Einwendungen gegen meine Vorschläge über die Ergänzung<lb/>
der ersten Kammer. Sie meinen, wenn meine Wahlrechtsvorschläge in betreff<lb/>
der zweiten Kammer Annahme fänden, müßte erst recht Ihr Verlangen nach<lb/>
der gänzlichen Neugestaltung der ersten Kammer als berechtigt anerkannt werden.<lb/>
Ich kann Ihnen auch hier nicht folgen. Meines Trachtens ist die Verstärkung<lb/>
der ersten Kammer um zehn Mitglieder schon ein sehr bedeutender Schritt<lb/>
vorwärts, und die Ernennung der Mitglieder durch die Krone bei der mangelnden<lb/>
gesetzlichen Organisation der meisten Berufsstände unumgänglich notwendig.<lb/>
Sie wollen zwar das Oberhaus als aus Berufsständen hervorgegangen organi¬<lb/>
sieren, wollen aber seine Rechte womöglich vermindern- In bezug auf den<lb/>
letzten Punkt kann ich erst recht nicht mit Ihnen gehn. Je liberaler man das<lb/>
Wahlrecht zur zweiten Kammer gestaltet, desto vorsichtiger muß man meines<lb/>
Erachtens mit den Rechten des Oberhauses umgehn. Ja ich gehe noch einen<lb/>
Schritt weiter und komme damit zum Schluß auf einen Punkt zu sprechen,<lb/>
den Sie da neulich mündlich berührt haben. Ich halte auch dafür, daß das<lb/>
allgemeine Wahlrecht zum Reichstag nicht angetastet werden kann, solange die<lb/>
Sozialdemokratie nicht eine wirkliche Revolution und den gewaltsamen Umsturz</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0193] bewerten als einen mit dem Einjährigfreiwilligen-Zeugnis ausgestatteten Handlungsgehilfen. Nun fragen Sie sehr mit Recht: Wie wird die Wirkung des Vorschlags in der Praxis sein? und wird überhaupt nicht jede Regierung und jede Kammer eine ganz genane Vorberechnung über die Erfolge eines solchen Wahlrechts¬ vorschlags verlangen? Hier muß ich vor Ihnen kapituliere». Das muß ich anerkennen, daß vor praktischer Bearbeitung meines Gedankens in Form eines Gesetzentwurfs genaue Aufnahmen durch das statistische Landesamt erforderlich sind, wenn man erkennen will, wie die Vorschlüge in den einzelnen Wahlkreisen tatsächlich wirken. Ich fürchte diese Prüfung aber um deswillen nicht, weil ich den grundlegenden Gedanken für richtig erachte und darum der festen Über¬ zeugung von seiner Durchführbarkeit bin, auch wenn sich einzelne Unebenheiten in der Praxis zeigen und einige Sozialdemokraten mehr als erwünscht in die Kammer einziehn sollten. Jede Änderung des Wahlrechts wird aber zweifellos auf der einen Seite unbefriedigte Wünsche zurücklassen und auf der andern Seite die Befürchtung erwecken, daß man in der Gewährung von Rechten schon zu weit gehe. Nur in einem Punkte, glaube ich, werden Sie jetzt schon richtig vorausgesehen haben, daß nämlich mein Vorschlag eine bedeutende Stärkung der Stellung des Mittelstandes zur Folge haben wird. Denn wenn, rein theoretisch gesprochen, die Hälfte der Wähler mit dem geringsten Einkommen und das Sechstel der Wähler mit dem höchsten Einkommen die gleiche Stünmen- zahl haben, so liegt die Entscheidung bei der zweiten Klasse. Das aber wäre mir nur erwünscht, wenngleich es sich natürlich in der Praxis, wo die Parteien durch die Klassengrenzeu nicht mehr geschieden sind, vielfach anders ge¬ stalten wird. Und nun Ihre Einwendungen gegen meine Vorschläge über die Ergänzung der ersten Kammer. Sie meinen, wenn meine Wahlrechtsvorschläge in betreff der zweiten Kammer Annahme fänden, müßte erst recht Ihr Verlangen nach der gänzlichen Neugestaltung der ersten Kammer als berechtigt anerkannt werden. Ich kann Ihnen auch hier nicht folgen. Meines Trachtens ist die Verstärkung der ersten Kammer um zehn Mitglieder schon ein sehr bedeutender Schritt vorwärts, und die Ernennung der Mitglieder durch die Krone bei der mangelnden gesetzlichen Organisation der meisten Berufsstände unumgänglich notwendig. Sie wollen zwar das Oberhaus als aus Berufsständen hervorgegangen organi¬ sieren, wollen aber seine Rechte womöglich vermindern- In bezug auf den letzten Punkt kann ich erst recht nicht mit Ihnen gehn. Je liberaler man das Wahlrecht zur zweiten Kammer gestaltet, desto vorsichtiger muß man meines Erachtens mit den Rechten des Oberhauses umgehn. Ja ich gehe noch einen Schritt weiter und komme damit zum Schluß auf einen Punkt zu sprechen, den Sie da neulich mündlich berührt haben. Ich halte auch dafür, daß das allgemeine Wahlrecht zum Reichstag nicht angetastet werden kann, solange die Sozialdemokratie nicht eine wirkliche Revolution und den gewaltsamen Umsturz

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/193
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/193>, abgerufen am 04.07.2024.