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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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des Reichs versucht. Bleibt sie in den Grenzen des Gesetzes, so müssen wir
uns anders helfen, um eine etwaige rote Majorität im Reichstage möglichst
unschädlich zu machen. Ich glaube, daß die Einsetzung eines Oberhauses, eines
Senats nach dem Muster von England durchaus nützlich und erwünscht sein
würde. Sie ist auch mehr eine Weiterentwicklung als eine völlige Änderung
der Grundlagen unsrer Verfassung. Und wenn das Oberhaus gewählt würde
durch die Landtage der Einzelstaaten, so würde zugleich das bundesstaatliche
Element in unserm Reiche eine erwünschte Stärkung erfahren. Ich behalte
mir vor, Ihnen hierüber meine Ansicht noch einmal ausführlicher darzulegen.

Für heute leben Sie wohl und lassen bald einmal etwas von sich hören.


Ihr ergebenste Germaniens r


König Friedrich der Große und der Baron lVarkotsch
W. Berg von2

och wahrend des verhängnisvollen Vormittags erhielt der Ritt¬
meister im Dmgvnerregiment von Zastrow, Ferdinand von
Rabenau (nach andern der Stabskapitün in demselben Re¬
giment" von Königsegg), den Befehl, mit einem Kommando
von achtzig Dragonern die beiden Staatsverbrecher zu ver¬
haften. Rabenau schickte einen Unteroffizier mit zwölf Mann nach Sieben-
Hufen ab, um sich des Kuraten zu versichern. In Siebenhufen erfuhr der
Unteroffizier, daß sich Schmidt als Tischgast bei einem benachbarten Edel¬
manns, dem Gutsbesitzer Leonhard von Nimptsch, in Allgersdorf befinde.
Dort wurde Schmidt auch gefunden und festgenommen. Nimptsch, der den
Kuraten uur oberflächlich kannte und von dessen verbrecherischen Umtrieben
nichts ahnte, erklärte sich bereit, ein gesatteltes Pferd zur Wegführung des
Verhafteten zu leihen. Kurz vor dem Aufbruch erlaubte der Unteroffizier
dem Kuraten, den Abort aufzusuchen, nachdem der Gutsbesitzer versichert hatte,
daß der im ersten Stockwerke liegende Abort keinen weitern Ausgang habe
und an ein Entkommen nicht zu denken sei. Es gelang aber Schmidt trotzdem,
sich durch das kleine Fenster hindurchzuschieben und an einer zufällig an der
äußern Wand angelehnten Stange hinabzulassen. Die nach der Entdeckung
der Flucht sofort nachgeschickten Dragoner konnten ihn nicht mehr finden. Der
Unteroffizier mochte aber gegen Nimptsch Verdacht geschöpft haben, verhaftete
ihn als den vermutlich Mitschuldigen und lieferte ihn gefangen ein. Nimptsch
mußte später in Brieg und Breslau noch mehrere Wochen in Untersuchungs¬
haft sitzen, bis er als gänzlich unschuldig entlassen wurde. Der rührende


des Reichs versucht. Bleibt sie in den Grenzen des Gesetzes, so müssen wir
uns anders helfen, um eine etwaige rote Majorität im Reichstage möglichst
unschädlich zu machen. Ich glaube, daß die Einsetzung eines Oberhauses, eines
Senats nach dem Muster von England durchaus nützlich und erwünscht sein
würde. Sie ist auch mehr eine Weiterentwicklung als eine völlige Änderung
der Grundlagen unsrer Verfassung. Und wenn das Oberhaus gewählt würde
durch die Landtage der Einzelstaaten, so würde zugleich das bundesstaatliche
Element in unserm Reiche eine erwünschte Stärkung erfahren. Ich behalte
mir vor, Ihnen hierüber meine Ansicht noch einmal ausführlicher darzulegen.

Für heute leben Sie wohl und lassen bald einmal etwas von sich hören.


Ihr ergebenste Germaniens r


König Friedrich der Große und der Baron lVarkotsch
W. Berg von2

och wahrend des verhängnisvollen Vormittags erhielt der Ritt¬
meister im Dmgvnerregiment von Zastrow, Ferdinand von
Rabenau (nach andern der Stabskapitün in demselben Re¬
giment« von Königsegg), den Befehl, mit einem Kommando
von achtzig Dragonern die beiden Staatsverbrecher zu ver¬
haften. Rabenau schickte einen Unteroffizier mit zwölf Mann nach Sieben-
Hufen ab, um sich des Kuraten zu versichern. In Siebenhufen erfuhr der
Unteroffizier, daß sich Schmidt als Tischgast bei einem benachbarten Edel¬
manns, dem Gutsbesitzer Leonhard von Nimptsch, in Allgersdorf befinde.
Dort wurde Schmidt auch gefunden und festgenommen. Nimptsch, der den
Kuraten uur oberflächlich kannte und von dessen verbrecherischen Umtrieben
nichts ahnte, erklärte sich bereit, ein gesatteltes Pferd zur Wegführung des
Verhafteten zu leihen. Kurz vor dem Aufbruch erlaubte der Unteroffizier
dem Kuraten, den Abort aufzusuchen, nachdem der Gutsbesitzer versichert hatte,
daß der im ersten Stockwerke liegende Abort keinen weitern Ausgang habe
und an ein Entkommen nicht zu denken sei. Es gelang aber Schmidt trotzdem,
sich durch das kleine Fenster hindurchzuschieben und an einer zufällig an der
äußern Wand angelehnten Stange hinabzulassen. Die nach der Entdeckung
der Flucht sofort nachgeschickten Dragoner konnten ihn nicht mehr finden. Der
Unteroffizier mochte aber gegen Nimptsch Verdacht geschöpft haben, verhaftete
ihn als den vermutlich Mitschuldigen und lieferte ihn gefangen ein. Nimptsch
mußte später in Brieg und Breslau noch mehrere Wochen in Untersuchungs¬
haft sitzen, bis er als gänzlich unschuldig entlassen wurde. Der rührende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/194>, abgerufen am 04.07.2024.