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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Auch den Vorschlag, einen Teil der Abgeordneten durch das allgemeine
Wahlrecht, einen andern, und zwar den größern Teil, durch ein ständisch ge¬
gliedertes Wahlrecht oder durch indirekte Wahlen nach Art des jetzigen wählen
zu lassen, vermag ich nicht gutzuheißen. Abgesehen davon, daß es immer etwas
Gekünsteltes hat, zwei verschiedne Wahlrechte gutzuheißen, und daß die durch
das allgemeine Wahlrecht gewählten Abgeordneten versuchen würden, sich eine
besondre Stellung und ein besondres Ansehen zu erkämpfen, sieht ein so kon¬
struiertes Wahlrecht doch gleich auf den ersten Blick wie ein Angstprvdukt aus,
und es ermangelt ihm die innere Logik. Ich vermag aber für die Konstruktion
des allgemeinen Wahlrechts als ausreichenden Grund die Sorge, daß die
Sozialdemokratie in der Volksvertretung überwiegt, überhaupt nicht anzuerkennen.
Das Wahlrecht muß vielmehr auf einem organisch richtigen und positiven
Staatsgedanken aufgebaut sein, wenn anders es vom Volke verstanden und
richtig gewürdigt werden soll. Ein solcher Gedanke ist aber die Anpassung
der Bedeutung der einzelnen Wählerstimmen an die Leistungen des Wählers
gegenüber dem Staate. Wird dieser Grundsatz nicht durch Übertreibungen zu
einem Plutokratismus ausgebildet, sondern nur zu einer vernünftigen Differen¬
zierung des Wahlrechts benutzt, so wird sich solange gegen ihn nichts ein¬
wenden lassen, als nicht das allgemeine und völlig gleiche Wahlrecht möglich
ist. Das aber ist es für den Staat nicht, dessen männliche erwachsne Be¬
völkerung in ihrer Mehrheit der sozialdemokratischen Fahne folgt und den
Staat und die gegenwärtige Gesellschaftsordnung überhaupt bekämpft, die Ver¬
fassung und die Monarchie nicht anerkennt und an die Stelle der harmonischen
allmählichen Ausgleichung der sozialen Gegensätze die Herrschaft eines Standes,
des Standes der mit der Hand arbeitenden Bevölkerung, setzen will. Ich er¬
wähnte schon in meinem letzten Briefe, daß ja auch das jetzige Wahlrecht auf
diesem Grundsatze der Bemessung der Wahlrechte nach der Steuerleistung auf¬
gebaut ist. Nur ist es weit über das Ziel hinausgegangen, und es entrechtet
dadurch, daß in jeder Klasse die Wahlmänner besonders gewählt werden,
geradezu die eine Klasse der Wähler, sobald die Mehrheiten in den beiden andern
über die Kandidaten einig sind.

Bei dem von mir vorgeschlagnen Wahlrechte kommt aber jede Stimme in
allen drei Klassen für das Endergebnis vollständig zur Geltung, weil das
Mittelglied der Wahlmünner ausgeschaltet ist.

Auch daß ich der geistigen Bildung keine besondern Rechte eingeräumt
habe, beanstanden Sie, und doch werden Sie mir Recht geben, daß es ein
höchst zweifelhafter, ja nach meiner Ansicht ungangbarer Weg ist, etwa an das
Bestehen von Staatsprüfungen besondre Wahlvorrechte zu knüpfen. Denn ab¬
gesehen davon, daß das Bestehen solcher Prüfungen durchaus keine Gewähr
für ein größeres Verständnis für das Staatswohl bietet, als eine praktische
Tätigkeit im gewerblichen und Geschäfts leben, würde ich mich niemals dazu
entschließen können, einen Bauer oder einen Handwerker politisch geringer zu


Auch den Vorschlag, einen Teil der Abgeordneten durch das allgemeine
Wahlrecht, einen andern, und zwar den größern Teil, durch ein ständisch ge¬
gliedertes Wahlrecht oder durch indirekte Wahlen nach Art des jetzigen wählen
zu lassen, vermag ich nicht gutzuheißen. Abgesehen davon, daß es immer etwas
Gekünsteltes hat, zwei verschiedne Wahlrechte gutzuheißen, und daß die durch
das allgemeine Wahlrecht gewählten Abgeordneten versuchen würden, sich eine
besondre Stellung und ein besondres Ansehen zu erkämpfen, sieht ein so kon¬
struiertes Wahlrecht doch gleich auf den ersten Blick wie ein Angstprvdukt aus,
und es ermangelt ihm die innere Logik. Ich vermag aber für die Konstruktion
des allgemeinen Wahlrechts als ausreichenden Grund die Sorge, daß die
Sozialdemokratie in der Volksvertretung überwiegt, überhaupt nicht anzuerkennen.
Das Wahlrecht muß vielmehr auf einem organisch richtigen und positiven
Staatsgedanken aufgebaut sein, wenn anders es vom Volke verstanden und
richtig gewürdigt werden soll. Ein solcher Gedanke ist aber die Anpassung
der Bedeutung der einzelnen Wählerstimmen an die Leistungen des Wählers
gegenüber dem Staate. Wird dieser Grundsatz nicht durch Übertreibungen zu
einem Plutokratismus ausgebildet, sondern nur zu einer vernünftigen Differen¬
zierung des Wahlrechts benutzt, so wird sich solange gegen ihn nichts ein¬
wenden lassen, als nicht das allgemeine und völlig gleiche Wahlrecht möglich
ist. Das aber ist es für den Staat nicht, dessen männliche erwachsne Be¬
völkerung in ihrer Mehrheit der sozialdemokratischen Fahne folgt und den
Staat und die gegenwärtige Gesellschaftsordnung überhaupt bekämpft, die Ver¬
fassung und die Monarchie nicht anerkennt und an die Stelle der harmonischen
allmählichen Ausgleichung der sozialen Gegensätze die Herrschaft eines Standes,
des Standes der mit der Hand arbeitenden Bevölkerung, setzen will. Ich er¬
wähnte schon in meinem letzten Briefe, daß ja auch das jetzige Wahlrecht auf
diesem Grundsatze der Bemessung der Wahlrechte nach der Steuerleistung auf¬
gebaut ist. Nur ist es weit über das Ziel hinausgegangen, und es entrechtet
dadurch, daß in jeder Klasse die Wahlmänner besonders gewählt werden,
geradezu die eine Klasse der Wähler, sobald die Mehrheiten in den beiden andern
über die Kandidaten einig sind.

Bei dem von mir vorgeschlagnen Wahlrechte kommt aber jede Stimme in
allen drei Klassen für das Endergebnis vollständig zur Geltung, weil das
Mittelglied der Wahlmünner ausgeschaltet ist.

Auch daß ich der geistigen Bildung keine besondern Rechte eingeräumt
habe, beanstanden Sie, und doch werden Sie mir Recht geben, daß es ein
höchst zweifelhafter, ja nach meiner Ansicht ungangbarer Weg ist, etwa an das
Bestehen von Staatsprüfungen besondre Wahlvorrechte zu knüpfen. Denn ab¬
gesehen davon, daß das Bestehen solcher Prüfungen durchaus keine Gewähr
für ein größeres Verständnis für das Staatswohl bietet, als eine praktische
Tätigkeit im gewerblichen und Geschäfts leben, würde ich mich niemals dazu
entschließen können, einen Bauer oder einen Handwerker politisch geringer zu


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[0192] Auch den Vorschlag, einen Teil der Abgeordneten durch das allgemeine Wahlrecht, einen andern, und zwar den größern Teil, durch ein ständisch ge¬ gliedertes Wahlrecht oder durch indirekte Wahlen nach Art des jetzigen wählen zu lassen, vermag ich nicht gutzuheißen. Abgesehen davon, daß es immer etwas Gekünsteltes hat, zwei verschiedne Wahlrechte gutzuheißen, und daß die durch das allgemeine Wahlrecht gewählten Abgeordneten versuchen würden, sich eine besondre Stellung und ein besondres Ansehen zu erkämpfen, sieht ein so kon¬ struiertes Wahlrecht doch gleich auf den ersten Blick wie ein Angstprvdukt aus, und es ermangelt ihm die innere Logik. Ich vermag aber für die Konstruktion des allgemeinen Wahlrechts als ausreichenden Grund die Sorge, daß die Sozialdemokratie in der Volksvertretung überwiegt, überhaupt nicht anzuerkennen. Das Wahlrecht muß vielmehr auf einem organisch richtigen und positiven Staatsgedanken aufgebaut sein, wenn anders es vom Volke verstanden und richtig gewürdigt werden soll. Ein solcher Gedanke ist aber die Anpassung der Bedeutung der einzelnen Wählerstimmen an die Leistungen des Wählers gegenüber dem Staate. Wird dieser Grundsatz nicht durch Übertreibungen zu einem Plutokratismus ausgebildet, sondern nur zu einer vernünftigen Differen¬ zierung des Wahlrechts benutzt, so wird sich solange gegen ihn nichts ein¬ wenden lassen, als nicht das allgemeine und völlig gleiche Wahlrecht möglich ist. Das aber ist es für den Staat nicht, dessen männliche erwachsne Be¬ völkerung in ihrer Mehrheit der sozialdemokratischen Fahne folgt und den Staat und die gegenwärtige Gesellschaftsordnung überhaupt bekämpft, die Ver¬ fassung und die Monarchie nicht anerkennt und an die Stelle der harmonischen allmählichen Ausgleichung der sozialen Gegensätze die Herrschaft eines Standes, des Standes der mit der Hand arbeitenden Bevölkerung, setzen will. Ich er¬ wähnte schon in meinem letzten Briefe, daß ja auch das jetzige Wahlrecht auf diesem Grundsatze der Bemessung der Wahlrechte nach der Steuerleistung auf¬ gebaut ist. Nur ist es weit über das Ziel hinausgegangen, und es entrechtet dadurch, daß in jeder Klasse die Wahlmänner besonders gewählt werden, geradezu die eine Klasse der Wähler, sobald die Mehrheiten in den beiden andern über die Kandidaten einig sind. Bei dem von mir vorgeschlagnen Wahlrechte kommt aber jede Stimme in allen drei Klassen für das Endergebnis vollständig zur Geltung, weil das Mittelglied der Wahlmünner ausgeschaltet ist. Auch daß ich der geistigen Bildung keine besondern Rechte eingeräumt habe, beanstanden Sie, und doch werden Sie mir Recht geben, daß es ein höchst zweifelhafter, ja nach meiner Ansicht ungangbarer Weg ist, etwa an das Bestehen von Staatsprüfungen besondre Wahlvorrechte zu knüpfen. Denn ab¬ gesehen davon, daß das Bestehen solcher Prüfungen durchaus keine Gewähr für ein größeres Verständnis für das Staatswohl bietet, als eine praktische Tätigkeit im gewerblichen und Geschäfts leben, würde ich mich niemals dazu entschließen können, einen Bauer oder einen Handwerker politisch geringer zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/192>, abgerufen am 04.07.2024.