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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Wettrennen unter Angebot der glänzendsten Bedingungen; die oberste lautete -- bei
dem unbegrenzten Kredit der reichen Stadt Ccitcmia -- auf lange Zahlungsfristen:
sechs, neun und zehn Monate. Darum schien in Catania für die Deiner eines vollen
Jahres die soziale Frage in dem wichtigen Punkte einer billigen Beschaffung des
Brotes durch die Kommunalisierung des Bäckereibetriebs allerdings gelöst worden
zu sein, bis zu Neujahr 1904 der schlimme Irrtum aus Licht kam: der Fabrikant
hatte rein übersehen, seinen Rohstoff in Rechnung zu stellen. Die zukunftsstaatliche
Gemeindebäckerei von Catania verteilte viele tausend Franken "Reingewinn", weil
sie das Mehl nicht bezahlte.

Am 17. August 1906 präsentierten allein die zwei Müllerfirmen Nicotra und
Samperi ihre vollstreckbaren Forderungen für geliefertes Mehl mit 232000 Franken,
zahlreiche andre Mehlhändler folgten. In Summa: die Hauptmenge des seit 1908
bis heute von der Zukunftsbäckerei verbacknen Mehls ist niemals bezahlt worden.

Nun ist über das "eminent sozialpolitische, wohltätige und hygienische Muster¬
institut einer Gcmeindebäckerei" die Gaut verhängt, die Liquidation eröffnet und
die strafrechtliche Untersuchung eingeleitet worden. Als die auf vierhundert Arbeiter
zusammengeschmolzene Bäckerei der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung durch
eine" Streik die Bevölkerung auszuhungern drohte, ordnete der Prcifekt die sofortige
Öffnung der alten Privatbttckereien an.

Wieviele Millionen die "Tyrannis" des beredten Agitators und schlechte"
Rechenmeisters De Felice und seines zukunftsstaatlichen Gemeinderath kosten wird,
muß die Ankunft lehren. Die Unverwüstlichkeit der sizilianischen Gemeinwesen ist
stannenswert: viermal wurde Catania von Feindeshand zerstört, zweimal von der
Lava seines gefährlichen Nachbars Ätna zugedeckt, dreimal durch Erdbeben gänzlich
umgeworfen; darum wird diese Stadt auch mit den Folgen des nur seine Finanzen
verheerenden Experiments einer znkunftsstaatlichen Gemeindebäckerei fertig werden.








Maßgebliches und Unmaßgebliches

Wettrennen unter Angebot der glänzendsten Bedingungen; die oberste lautete — bei
dem unbegrenzten Kredit der reichen Stadt Ccitcmia — auf lange Zahlungsfristen:
sechs, neun und zehn Monate. Darum schien in Catania für die Deiner eines vollen
Jahres die soziale Frage in dem wichtigen Punkte einer billigen Beschaffung des
Brotes durch die Kommunalisierung des Bäckereibetriebs allerdings gelöst worden
zu sein, bis zu Neujahr 1904 der schlimme Irrtum aus Licht kam: der Fabrikant
hatte rein übersehen, seinen Rohstoff in Rechnung zu stellen. Die zukunftsstaatliche
Gemeindebäckerei von Catania verteilte viele tausend Franken „Reingewinn", weil
sie das Mehl nicht bezahlte.

Am 17. August 1906 präsentierten allein die zwei Müllerfirmen Nicotra und
Samperi ihre vollstreckbaren Forderungen für geliefertes Mehl mit 232000 Franken,
zahlreiche andre Mehlhändler folgten. In Summa: die Hauptmenge des seit 1908
bis heute von der Zukunftsbäckerei verbacknen Mehls ist niemals bezahlt worden.

Nun ist über das „eminent sozialpolitische, wohltätige und hygienische Muster¬
institut einer Gcmeindebäckerei" die Gaut verhängt, die Liquidation eröffnet und
die strafrechtliche Untersuchung eingeleitet worden. Als die auf vierhundert Arbeiter
zusammengeschmolzene Bäckerei der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung durch
eine« Streik die Bevölkerung auszuhungern drohte, ordnete der Prcifekt die sofortige
Öffnung der alten Privatbttckereien an.

Wieviele Millionen die „Tyrannis" des beredten Agitators und schlechte»
Rechenmeisters De Felice und seines zukunftsstaatlichen Gemeinderath kosten wird,
muß die Ankunft lehren. Die Unverwüstlichkeit der sizilianischen Gemeinwesen ist
stannenswert: viermal wurde Catania von Feindeshand zerstört, zweimal von der
Lava seines gefährlichen Nachbars Ätna zugedeckt, dreimal durch Erdbeben gänzlich
umgeworfen; darum wird diese Stadt auch mit den Folgen des nur seine Finanzen
verheerenden Experiments einer znkunftsstaatlichen Gemeindebäckerei fertig werden.








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[0180] Maßgebliches und Unmaßgebliches Wettrennen unter Angebot der glänzendsten Bedingungen; die oberste lautete — bei dem unbegrenzten Kredit der reichen Stadt Ccitcmia — auf lange Zahlungsfristen: sechs, neun und zehn Monate. Darum schien in Catania für die Deiner eines vollen Jahres die soziale Frage in dem wichtigen Punkte einer billigen Beschaffung des Brotes durch die Kommunalisierung des Bäckereibetriebs allerdings gelöst worden zu sein, bis zu Neujahr 1904 der schlimme Irrtum aus Licht kam: der Fabrikant hatte rein übersehen, seinen Rohstoff in Rechnung zu stellen. Die zukunftsstaatliche Gemeindebäckerei von Catania verteilte viele tausend Franken „Reingewinn", weil sie das Mehl nicht bezahlte. Am 17. August 1906 präsentierten allein die zwei Müllerfirmen Nicotra und Samperi ihre vollstreckbaren Forderungen für geliefertes Mehl mit 232000 Franken, zahlreiche andre Mehlhändler folgten. In Summa: die Hauptmenge des seit 1908 bis heute von der Zukunftsbäckerei verbacknen Mehls ist niemals bezahlt worden. Nun ist über das „eminent sozialpolitische, wohltätige und hygienische Muster¬ institut einer Gcmeindebäckerei" die Gaut verhängt, die Liquidation eröffnet und die strafrechtliche Untersuchung eingeleitet worden. Als die auf vierhundert Arbeiter zusammengeschmolzene Bäckerei der sozialdemokratischen Gemeindeverwaltung durch eine« Streik die Bevölkerung auszuhungern drohte, ordnete der Prcifekt die sofortige Öffnung der alten Privatbttckereien an. Wieviele Millionen die „Tyrannis" des beredten Agitators und schlechte» Rechenmeisters De Felice und seines zukunftsstaatlichen Gemeinderath kosten wird, muß die Ankunft lehren. Die Unverwüstlichkeit der sizilianischen Gemeinwesen ist stannenswert: viermal wurde Catania von Feindeshand zerstört, zweimal von der Lava seines gefährlichen Nachbars Ätna zugedeckt, dreimal durch Erdbeben gänzlich umgeworfen; darum wird diese Stadt auch mit den Folgen des nur seine Finanzen verheerenden Experiments einer znkunftsstaatlichen Gemeindebäckerei fertig werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/180>, abgerufen am 02.07.2024.