Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.Der geflügelte Sieger ihres gegenseitigen Verhältnisses, ohne viel Umstände wohlgemut fortgesetzt. Onkel Als man nach einigen Tagen die Aufregung, die Tränen, die Nervenzufälle und Auch in dem guten lieben Leudeck war man nicht ganz müßig. Ganz zu ge¬ Da sich in Margaretenhof auch, sobald Tante Minna von ihren Einkaufsreisen Der geflügelte Sieger ihres gegenseitigen Verhältnisses, ohne viel Umstände wohlgemut fortgesetzt. Onkel Als man nach einigen Tagen die Aufregung, die Tränen, die Nervenzufälle und Auch in dem guten lieben Leudeck war man nicht ganz müßig. Ganz zu ge¬ Da sich in Margaretenhof auch, sobald Tante Minna von ihren Einkaufsreisen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0168" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301422"/> <fw type="header" place="top"> Der geflügelte Sieger</fw><lb/> <p xml:id="ID_574" prev="#ID_573"> ihres gegenseitigen Verhältnisses, ohne viel Umstände wohlgemut fortgesetzt. Onkel<lb/> Bernhard hatte sich mit dem Geschehenen nicht einverstanden erklären können — das<lb/> war sein normaler Zustand —, und Taute Malwine war durch das unvorhergesehene<lb/> Ereignis in eine solche Aufregung versetzt worden, daß sie ihren, „Trampel" — so<lb/> nannte sie die achtzehnjährige rotbäckige Bnuerudirne, die als ihr Mädchen für<lb/> alles bei geringem Lohn reichliche Belehrung genoß — die ganze Geschichte von<lb/> der zu so unerfreulichen Ende gekommnen Stiftsdnmenwahl samt allen voni Stifts¬<lb/> verweser und sonst dabei gegen sie angesponnenen Kabalen in epischer Breite an¬<lb/> vertraut hatte. Mit wie mangelhaftem Erfolge, insoweit dabei irgendwelches Ver¬<lb/> ständnis des Trampels in Frage kommen konnte, wird der Leser am besten daraus<lb/> ersehen, daß Johanna — so hieß das gute Tier — dem Pferdeknechte, dem im<lb/> Nebenamte die selbsterwählte Pflicht oblag, sie Abends für das tagsüber Aus-<lb/> gestandne mit liebevollem Herzen zu entschädige», mitgeteilt hatte, die gnädige Frau<lb/> — das war sie, wie die Engländer sagen, b^ ecmrws^, und die vorhandne Gnade<lb/> hatte sich offenbar ganz in deu Titel zurückgezogen, wie die Gicht in die große<lb/> Fußzehe — sei von einem Abdecker, dem in Taute Ernestineus Klagelied so häufig<lb/> erwähnten Verweser, unglücklich gemacht worden, was den liebevollen Tröster, in<lb/> dessen Kreisen nur eine Art, ein Frauenzimmer unglücklich zu machen, bekannt war,<lb/> zu der Frage veranlaßt hatte, ob das Kind lebe, und wo?</p><lb/> <p xml:id="ID_575"> Als man nach einigen Tagen die Aufregung, die Tränen, die Nervenzufälle und<lb/> die mündliche wie schriftliche, beziehentlich die nur mit Hilfe der Post, des Kupfer¬<lb/> stechers und der Kreuzzeitung mögliche Bekanntgabe des rasch gefaßten Entschlusses<lb/> bewältigt hatte, kamen Dinge an die Reihe, von denen wir Männer nur einen sehr<lb/> allgemeinen Begriff haben, die aber zu jeder ehelichen Verbindung gehören wie der<lb/> Pfefferkuchen zum Jahrmarkt: mit Nußbaum, Eiche, Mahagoni, mit Leinwand,<lb/> Damast, Plüsch, Rips und Moquette, mit Seide, Tüll und Daumen, mit Silber,<lb/> Porzellan, Kupfer und Messing, mit Geweben ans Smyrna, Persien und China,<lb/> mit Polsterwaren, Spiegeln, Küchengeschirr und Tapeten zusammenhängende Fragen<lb/> von kapitaler Bedeutung. Da Tante Minna vor nicht allzulanger Zeit zwei Aus¬<lb/> stattungen besorgt hatte, so war sie auf diesem Gebiete auch vom Standpunkte des<lb/> neuzeitlichen Geschmacks, der eigentlich nicht der ihre war, zu Hause. Ein ans ihr,<lb/> Tante Ernestine, Rosa und der Luuzeuauer Frau Pastorin, einer treuen, sehr liebens¬<lb/> würdigen und gebildeten Freundin bestehendes Komitee beratschlagte eine Woche<lb/> lang jeden Nachmittag bei Kaffee und Napfkuchen, bis man soweit war, daß alles<lb/> nach Zahl, Beschaffenheit, Farbe und Stoff auf überaus geschäftsmäßig aussehenden,<lb/> an vormärzliche Speisekarten erinnernden Papierstreifen und, soweit nötig, mit nn-<lb/> gestecknadelten Proben verzeichnet war, und Tante Minna nun ihre Einkäufe in der<lb/> nächsten Stadt sowie in Danzig, Stettin und Berlin beginnen konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_576"> Auch in dem guten lieben Leudeck war man nicht ganz müßig. Ganz zu ge¬<lb/> schweige» von der Brautzelle, in der zwei Nähmaschinen von Morgens früh bis<lb/> Abends spät im Gange waren, und wo man sich, wenn gerade zugeschnitten wurde,<lb/> inmitten der unabsehbaren Bahnen weißer Leinewand in die Gebirgsregioncn des<lb/> ewigen Schnees versetzt glauben konnte, wurden auch in den übrigen Zimmern, die<lb/> der beiden Herren natürlich ausgenommen, ans Seide, Wolle, Leder, Kanevas und<lb/> allerhand phantastisch gewebten Stoffen mit großer Heimlichkeit für das junge Paar<lb/> Kunstwerke gefertigt, über deren praktische Verwendbarkeit man schon um deswillen<lb/> nicht in Zweifel sein konnte, weil zwischen gestickten Blumen und Ornamenten<lb/> prangende Inschriften deren mitunter überaus originelle Bestimmung anzeigten.</p><lb/> <p xml:id="ID_577" next="#ID_578"> Da sich in Margaretenhof auch, sobald Tante Minna von ihren Einkaufsreisen<lb/> zurück war, Ziegeldecker, Maurer, Klempner, Tischler, Maler und Tapezierer n»A der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0168]
Der geflügelte Sieger
ihres gegenseitigen Verhältnisses, ohne viel Umstände wohlgemut fortgesetzt. Onkel
Bernhard hatte sich mit dem Geschehenen nicht einverstanden erklären können — das
war sein normaler Zustand —, und Taute Malwine war durch das unvorhergesehene
Ereignis in eine solche Aufregung versetzt worden, daß sie ihren, „Trampel" — so
nannte sie die achtzehnjährige rotbäckige Bnuerudirne, die als ihr Mädchen für
alles bei geringem Lohn reichliche Belehrung genoß — die ganze Geschichte von
der zu so unerfreulichen Ende gekommnen Stiftsdnmenwahl samt allen voni Stifts¬
verweser und sonst dabei gegen sie angesponnenen Kabalen in epischer Breite an¬
vertraut hatte. Mit wie mangelhaftem Erfolge, insoweit dabei irgendwelches Ver¬
ständnis des Trampels in Frage kommen konnte, wird der Leser am besten daraus
ersehen, daß Johanna — so hieß das gute Tier — dem Pferdeknechte, dem im
Nebenamte die selbsterwählte Pflicht oblag, sie Abends für das tagsüber Aus-
gestandne mit liebevollem Herzen zu entschädige», mitgeteilt hatte, die gnädige Frau
— das war sie, wie die Engländer sagen, b^ ecmrws^, und die vorhandne Gnade
hatte sich offenbar ganz in deu Titel zurückgezogen, wie die Gicht in die große
Fußzehe — sei von einem Abdecker, dem in Taute Ernestineus Klagelied so häufig
erwähnten Verweser, unglücklich gemacht worden, was den liebevollen Tröster, in
dessen Kreisen nur eine Art, ein Frauenzimmer unglücklich zu machen, bekannt war,
zu der Frage veranlaßt hatte, ob das Kind lebe, und wo?
Als man nach einigen Tagen die Aufregung, die Tränen, die Nervenzufälle und
die mündliche wie schriftliche, beziehentlich die nur mit Hilfe der Post, des Kupfer¬
stechers und der Kreuzzeitung mögliche Bekanntgabe des rasch gefaßten Entschlusses
bewältigt hatte, kamen Dinge an die Reihe, von denen wir Männer nur einen sehr
allgemeinen Begriff haben, die aber zu jeder ehelichen Verbindung gehören wie der
Pfefferkuchen zum Jahrmarkt: mit Nußbaum, Eiche, Mahagoni, mit Leinwand,
Damast, Plüsch, Rips und Moquette, mit Seide, Tüll und Daumen, mit Silber,
Porzellan, Kupfer und Messing, mit Geweben ans Smyrna, Persien und China,
mit Polsterwaren, Spiegeln, Küchengeschirr und Tapeten zusammenhängende Fragen
von kapitaler Bedeutung. Da Tante Minna vor nicht allzulanger Zeit zwei Aus¬
stattungen besorgt hatte, so war sie auf diesem Gebiete auch vom Standpunkte des
neuzeitlichen Geschmacks, der eigentlich nicht der ihre war, zu Hause. Ein ans ihr,
Tante Ernestine, Rosa und der Luuzeuauer Frau Pastorin, einer treuen, sehr liebens¬
würdigen und gebildeten Freundin bestehendes Komitee beratschlagte eine Woche
lang jeden Nachmittag bei Kaffee und Napfkuchen, bis man soweit war, daß alles
nach Zahl, Beschaffenheit, Farbe und Stoff auf überaus geschäftsmäßig aussehenden,
an vormärzliche Speisekarten erinnernden Papierstreifen und, soweit nötig, mit nn-
gestecknadelten Proben verzeichnet war, und Tante Minna nun ihre Einkäufe in der
nächsten Stadt sowie in Danzig, Stettin und Berlin beginnen konnte.
Auch in dem guten lieben Leudeck war man nicht ganz müßig. Ganz zu ge¬
schweige» von der Brautzelle, in der zwei Nähmaschinen von Morgens früh bis
Abends spät im Gange waren, und wo man sich, wenn gerade zugeschnitten wurde,
inmitten der unabsehbaren Bahnen weißer Leinewand in die Gebirgsregioncn des
ewigen Schnees versetzt glauben konnte, wurden auch in den übrigen Zimmern, die
der beiden Herren natürlich ausgenommen, ans Seide, Wolle, Leder, Kanevas und
allerhand phantastisch gewebten Stoffen mit großer Heimlichkeit für das junge Paar
Kunstwerke gefertigt, über deren praktische Verwendbarkeit man schon um deswillen
nicht in Zweifel sein konnte, weil zwischen gestickten Blumen und Ornamenten
prangende Inschriften deren mitunter überaus originelle Bestimmung anzeigten.
Da sich in Margaretenhof auch, sobald Tante Minna von ihren Einkaufsreisen
zurück war, Ziegeldecker, Maurer, Klempner, Tischler, Maler und Tapezierer n»A der
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