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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Goetheerinnenmgen im nordwestlichen Böhmen

ringsum bedeckte; die vulkanische Natur des durch den wagerechten Verlauf seiner
Schichten problematischen Kammerbühls, heute von der Wissenschaft endgiltig
anerkannt, war ihm damals richtig aufgegangen, wenn er auch in spätern Jahren
seine Ansicht glaubte ändern zu müssen. Durch seine Aufsätze -- liest man sie
an Ort und Stelle, so erstaunt man über die Genauigkeit und die Sorgfalt
von Goethes Angaben -- wurden die Fachgelehrten zu immer neuer Beschäftigung
mit diesem geologischen Rätsel veranlaßt; Goethes Freund besonders, Graf
Kaspar von Sternberg, setzte die Untersuchung mit Eifer fort; "da Goethe ihm
den Kammerbühl als Erbschaft hinterlassen habe, sagte er zu Grüner, so wolle
er sie auch unbedingt antreten und seinen Willen vollziehen". Vou diesen Arbeiten
zeugt noch heute die steinerne Eingangspforte des verfallnen Schachtes, mit der
Inschrift: vsu MwrtreunäM Asviämst v: S: X: LwrndörA. UVLMXXXVII.
Der östliche Hang des Hügels ist zum größten Teil abgetragen, indem man die
Lavaschlacke als willkommnen Schotter für den Wegebau abgrub; hierdurch ist
zwar ein vortrefflicher Einblick in die Aufeinanderfolge und den Verlauf der
Gesteinschichten gewonnen worden, mit Recht aber hat man den weitern Abbau
eingestellt, man hat sogar, vermutlich um der Abspüluug des Erdreichs vorzu¬
beugen, den südlichen, westlichen und nördlichen Abhang des Berges mit Kiefern
und Akazien bepflanzt. Wird nun hierdurch im Laufe der Jahre das charakteristische
Profil des Hügels nicht unwesentlich verändert werden, so droht diesem Profil
von andrer Seite eine noch größere und, wie uns scheinen will, geradezu un-
heilvolle Veränderung: ein Aussichtsturm. Einen solchen, als "Goethe-Turm",
zu errichten, wurde schon seit längerer Zeit von dem nahen Franzensbad geplant;
eine Abbildung des Entwurfs findet man in der schon erwähnten Festschrift
von Alois John, die bei Gelegenheit der am 9. September dieses Jahres er¬
folgten Einweihung des Goethedenkmals in Franzensbad erschienen ist. Durch
dieses Denkmal (ein Werk des Egerer Bildhauers Wilfert des jüngern; zur
Zeit meines Besuches war nur erst sein architektonischer Teil aufgestellt) hat
Franzensbad seiner Verehrung für Goethe bedeutenden, würdig-reichen Aus¬
druck gegeben. Wozu also noch ein zweites Goethedenkmal in Gestalt eines
Aussichtturms? Es wäre im Grunde doch nur ein Turm wie andre mehr.
Durch einen Turm als solchen würde man ja auch die beabsichtigte Bedeutung
niemals zum Ausdruck bringen können; es bedürfte dazu erst wieder einer
Gedächtnistafel oder gar eines Reliefbildnisses, deren wir im nahen Eger
mehreren begegnen.

Weit schöner, des Ortes und der Sache gemäßer, dünkt mich, wäre ein andres
Goetheerinnerungszeichen, zugleich etwas durchaus Besondres, sonst kaum wieder
Mögliches, geschweige denn schon Vorhandnes. Ich denke, um es kurz zu sagen,
an eine auf dem Kammerbühl zu errichtende Pyramide, zu der die Steine in
großen ausgesprochnen Muster- und Prachtstücken von allen den Orten Böhmens,
die Goethe besucht hat, geliefert werden müßten. Die Namen dieser Städte und
Ortschaften -- eine stattliche Zahl -- könnten auf einer an einem Ruhesitz an-


Goetheerinnenmgen im nordwestlichen Böhmen

ringsum bedeckte; die vulkanische Natur des durch den wagerechten Verlauf seiner
Schichten problematischen Kammerbühls, heute von der Wissenschaft endgiltig
anerkannt, war ihm damals richtig aufgegangen, wenn er auch in spätern Jahren
seine Ansicht glaubte ändern zu müssen. Durch seine Aufsätze — liest man sie
an Ort und Stelle, so erstaunt man über die Genauigkeit und die Sorgfalt
von Goethes Angaben — wurden die Fachgelehrten zu immer neuer Beschäftigung
mit diesem geologischen Rätsel veranlaßt; Goethes Freund besonders, Graf
Kaspar von Sternberg, setzte die Untersuchung mit Eifer fort; „da Goethe ihm
den Kammerbühl als Erbschaft hinterlassen habe, sagte er zu Grüner, so wolle
er sie auch unbedingt antreten und seinen Willen vollziehen". Vou diesen Arbeiten
zeugt noch heute die steinerne Eingangspforte des verfallnen Schachtes, mit der
Inschrift: vsu MwrtreunäM Asviämst v: S: X: LwrndörA. UVLMXXXVII.
Der östliche Hang des Hügels ist zum größten Teil abgetragen, indem man die
Lavaschlacke als willkommnen Schotter für den Wegebau abgrub; hierdurch ist
zwar ein vortrefflicher Einblick in die Aufeinanderfolge und den Verlauf der
Gesteinschichten gewonnen worden, mit Recht aber hat man den weitern Abbau
eingestellt, man hat sogar, vermutlich um der Abspüluug des Erdreichs vorzu¬
beugen, den südlichen, westlichen und nördlichen Abhang des Berges mit Kiefern
und Akazien bepflanzt. Wird nun hierdurch im Laufe der Jahre das charakteristische
Profil des Hügels nicht unwesentlich verändert werden, so droht diesem Profil
von andrer Seite eine noch größere und, wie uns scheinen will, geradezu un-
heilvolle Veränderung: ein Aussichtsturm. Einen solchen, als „Goethe-Turm",
zu errichten, wurde schon seit längerer Zeit von dem nahen Franzensbad geplant;
eine Abbildung des Entwurfs findet man in der schon erwähnten Festschrift
von Alois John, die bei Gelegenheit der am 9. September dieses Jahres er¬
folgten Einweihung des Goethedenkmals in Franzensbad erschienen ist. Durch
dieses Denkmal (ein Werk des Egerer Bildhauers Wilfert des jüngern; zur
Zeit meines Besuches war nur erst sein architektonischer Teil aufgestellt) hat
Franzensbad seiner Verehrung für Goethe bedeutenden, würdig-reichen Aus¬
druck gegeben. Wozu also noch ein zweites Goethedenkmal in Gestalt eines
Aussichtturms? Es wäre im Grunde doch nur ein Turm wie andre mehr.
Durch einen Turm als solchen würde man ja auch die beabsichtigte Bedeutung
niemals zum Ausdruck bringen können; es bedürfte dazu erst wieder einer
Gedächtnistafel oder gar eines Reliefbildnisses, deren wir im nahen Eger
mehreren begegnen.

Weit schöner, des Ortes und der Sache gemäßer, dünkt mich, wäre ein andres
Goetheerinnerungszeichen, zugleich etwas durchaus Besondres, sonst kaum wieder
Mögliches, geschweige denn schon Vorhandnes. Ich denke, um es kurz zu sagen,
an eine auf dem Kammerbühl zu errichtende Pyramide, zu der die Steine in
großen ausgesprochnen Muster- und Prachtstücken von allen den Orten Böhmens,
die Goethe besucht hat, geliefert werden müßten. Die Namen dieser Städte und
Ortschaften — eine stattliche Zahl — könnten auf einer an einem Ruhesitz an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/150>, abgerufen am 02.07.2024.