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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen

zubringenden Tafel verzeichnet stehen, nebst den Namen der von ihnen gestifteten
Gesteine. Dies wäre dann eine gemeinsame, sozusagen nationale, volkstüm¬
liche Huldigung Böhmens für seinen berühmtesten Gast. In dieser Gcsteinpyramide
käme zugleich auf das klarste zum Ausdruck, was den großen Gast in diesem
Lande besonders anzog, besonders lebhaft beschäftigte: seine geologischen und
mineralogischen Studien, in denen er immer wieder geistige Erfrischung und
Kräftigung fand für seine höchste, seine dichterische Tätigkeit. Kurgäste, Touristen,
Schüler auf froher Wanderfahrt funden hier in einer lehrreichen Sammlung
die wichtigsten mineralogischen Vorkommnisse des nordwestlichen Böhmens bei¬
sammen, von den mächtigen Granitblöcken der Basis bis hinauf zur Basaltspitze
der Pyramide. Diese, ich denke sie mir nicht höher als etwa drei Meter, würde
das Profil des Berges, aus der Ferne gesehen, kaum beeinträchtigen, zumal
wenn sie nicht auf der höchsten Erhebung errichtet würde, sondern etwas ostwärts
in einer kleinen Senkung des Bergrückens. Wollte man sodann ein geschmack¬
volles Eisengitter, das die Pyramide umfriedet, mit einem Goethewort schmücken,
so böte sich jene zum Preise Böhmens gedichtete Strophe vou selbst dar, die
anhebt:

oder auch die an seinen edeln österreichischen Freund, den um die Erforschung
des Kammerbühls hochverdienten Grafen Sternberg gerichtete:

Dieses schlichte Mal, in seiner Form bescheiden erinnernd an die ältesten
ehrwürdigen Denkmäler der Erde, in seinen, Gehalt zeugend von dem allum¬
fassenden Erkenntnistrieb Goethes sowohl als auch von der Verehrung ganz
Böhmens für seine Größe, es würde eine gleich große Anziehungskraft ausüben
auf den stillen Forscher wie ans den sinnig genießenden Naturfreund. Wenn
sich am Sommerabend die goldne Sonne gegen die dunkeln Fichtenhöhen des
Gebirges neigt, wenn, röter strahlend, sich ihr Scheideblick über die Täter ergießt,
und aus den weiten Moorflächen in der Tiefe die Nebelschleier sich der Nacht
entgegensehen, dann wird der Wandrer inniger des Mannes gedenken, der die
Schönheit der Welt so tief empfand und so rein widerspiegelte, der sich mit
gleicher Liebe und Kraft in die Seele eines Gretchens versenkte wie in das
geologische Rätsel dieses kleinen Hügels. Er wird auch, der Schmerzen ge¬
denkend, die Goethe mit hinwegnahm, als er diese Gegend für immer verließ,
sich seiner Worte erinnern: "... man gönne mir, der ich durch die Abwechselungen


Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen

zubringenden Tafel verzeichnet stehen, nebst den Namen der von ihnen gestifteten
Gesteine. Dies wäre dann eine gemeinsame, sozusagen nationale, volkstüm¬
liche Huldigung Böhmens für seinen berühmtesten Gast. In dieser Gcsteinpyramide
käme zugleich auf das klarste zum Ausdruck, was den großen Gast in diesem
Lande besonders anzog, besonders lebhaft beschäftigte: seine geologischen und
mineralogischen Studien, in denen er immer wieder geistige Erfrischung und
Kräftigung fand für seine höchste, seine dichterische Tätigkeit. Kurgäste, Touristen,
Schüler auf froher Wanderfahrt funden hier in einer lehrreichen Sammlung
die wichtigsten mineralogischen Vorkommnisse des nordwestlichen Böhmens bei¬
sammen, von den mächtigen Granitblöcken der Basis bis hinauf zur Basaltspitze
der Pyramide. Diese, ich denke sie mir nicht höher als etwa drei Meter, würde
das Profil des Berges, aus der Ferne gesehen, kaum beeinträchtigen, zumal
wenn sie nicht auf der höchsten Erhebung errichtet würde, sondern etwas ostwärts
in einer kleinen Senkung des Bergrückens. Wollte man sodann ein geschmack¬
volles Eisengitter, das die Pyramide umfriedet, mit einem Goethewort schmücken,
so böte sich jene zum Preise Böhmens gedichtete Strophe vou selbst dar, die
anhebt:

oder auch die an seinen edeln österreichischen Freund, den um die Erforschung
des Kammerbühls hochverdienten Grafen Sternberg gerichtete:

Dieses schlichte Mal, in seiner Form bescheiden erinnernd an die ältesten
ehrwürdigen Denkmäler der Erde, in seinen, Gehalt zeugend von dem allum¬
fassenden Erkenntnistrieb Goethes sowohl als auch von der Verehrung ganz
Böhmens für seine Größe, es würde eine gleich große Anziehungskraft ausüben
auf den stillen Forscher wie ans den sinnig genießenden Naturfreund. Wenn
sich am Sommerabend die goldne Sonne gegen die dunkeln Fichtenhöhen des
Gebirges neigt, wenn, röter strahlend, sich ihr Scheideblick über die Täter ergießt,
und aus den weiten Moorflächen in der Tiefe die Nebelschleier sich der Nacht
entgegensehen, dann wird der Wandrer inniger des Mannes gedenken, der die
Schönheit der Welt so tief empfand und so rein widerspiegelte, der sich mit
gleicher Liebe und Kraft in die Seele eines Gretchens versenkte wie in das
geologische Rätsel dieses kleinen Hügels. Er wird auch, der Schmerzen ge¬
denkend, die Goethe mit hinwegnahm, als er diese Gegend für immer verließ,
sich seiner Worte erinnern: „... man gönne mir, der ich durch die Abwechselungen


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[0151] Goetheerinnerungen im nordwestlichen Böhmen zubringenden Tafel verzeichnet stehen, nebst den Namen der von ihnen gestifteten Gesteine. Dies wäre dann eine gemeinsame, sozusagen nationale, volkstüm¬ liche Huldigung Böhmens für seinen berühmtesten Gast. In dieser Gcsteinpyramide käme zugleich auf das klarste zum Ausdruck, was den großen Gast in diesem Lande besonders anzog, besonders lebhaft beschäftigte: seine geologischen und mineralogischen Studien, in denen er immer wieder geistige Erfrischung und Kräftigung fand für seine höchste, seine dichterische Tätigkeit. Kurgäste, Touristen, Schüler auf froher Wanderfahrt funden hier in einer lehrreichen Sammlung die wichtigsten mineralogischen Vorkommnisse des nordwestlichen Böhmens bei¬ sammen, von den mächtigen Granitblöcken der Basis bis hinauf zur Basaltspitze der Pyramide. Diese, ich denke sie mir nicht höher als etwa drei Meter, würde das Profil des Berges, aus der Ferne gesehen, kaum beeinträchtigen, zumal wenn sie nicht auf der höchsten Erhebung errichtet würde, sondern etwas ostwärts in einer kleinen Senkung des Bergrückens. Wollte man sodann ein geschmack¬ volles Eisengitter, das die Pyramide umfriedet, mit einem Goethewort schmücken, so böte sich jene zum Preise Böhmens gedichtete Strophe vou selbst dar, die anhebt: oder auch die an seinen edeln österreichischen Freund, den um die Erforschung des Kammerbühls hochverdienten Grafen Sternberg gerichtete: Dieses schlichte Mal, in seiner Form bescheiden erinnernd an die ältesten ehrwürdigen Denkmäler der Erde, in seinen, Gehalt zeugend von dem allum¬ fassenden Erkenntnistrieb Goethes sowohl als auch von der Verehrung ganz Böhmens für seine Größe, es würde eine gleich große Anziehungskraft ausüben auf den stillen Forscher wie ans den sinnig genießenden Naturfreund. Wenn sich am Sommerabend die goldne Sonne gegen die dunkeln Fichtenhöhen des Gebirges neigt, wenn, röter strahlend, sich ihr Scheideblick über die Täter ergießt, und aus den weiten Moorflächen in der Tiefe die Nebelschleier sich der Nacht entgegensehen, dann wird der Wandrer inniger des Mannes gedenken, der die Schönheit der Welt so tief empfand und so rein widerspiegelte, der sich mit gleicher Liebe und Kraft in die Seele eines Gretchens versenkte wie in das geologische Rätsel dieses kleinen Hügels. Er wird auch, der Schmerzen ge¬ denkend, die Goethe mit hinwegnahm, als er diese Gegend für immer verließ, sich seiner Worte erinnern: „... man gönne mir, der ich durch die Abwechselungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/151>, abgerufen am 30.06.2024.