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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Russische Briefe

Polen, JMonowski, bekannt wurden, tat Alexander keine Schritte, den sich vor¬
bereitenden Aufstand zu verhindern. Unwillkürlich fragt man sich, ob Alexander
nicht gar darauf hoffte, von den Polen mitgerissen zu werden, ob es
ihm nicht an Offenheit gebrach, geheime Wünsche kraft seiner Stellung als
Selbstherrscher zur Durchführung zu bringen. Eine Gegenüberstellung seiner
Pläne von 1811 mit seinem Tun im Jahre 1824 läßt Alexanders Wünsche
klar zutage treten. Aus den verschiedentlicher Versprechungen an die Polen,
aus der Instruktion für Nesselrode, aus dem Verhalten gegen die geheimen
Gesellschaften und aus seiner zweifellosen Abneigung gegen die Russen scheint
hervorzugehn, daß Alexander die Polen zum Eckstein seiner Macht machen wollte.
Weiter hat es den Anschein -- ohne daß es aus den bisher zugänglichen
Dokumenten zu beweisen wäre --, als wenn Alexander der Erste Rußland mit
der Hilfe der Polen kultivieren und die Sicherheit der Dynastie auf den pol¬
nischen Adel aufbauen wollte. Eine solche Auffassung wird unterstützt durch
die sachlichen Angaben, die Schiemann über Alexanders Neigung zum Katholi¬
zismus macht.*) Alexanders Stellung zum Katholizismus findet auch eine
scharfe Beleuchtung durch die Umwandlung des Pvlotzker Jesuitenkollegiums in
eine Akademie (1. März 1812) "für die großen Verdienste um die Erziehung
der Jugend". Weiter wird meine Hypothese gestützt durch die hohe Meinung,
die sowohl Alexander wie sein Bruder Konstantin von der Ritterlichkeit der
Polen hatten, **) sowie schließlich durch die Besetzung der höchsten Verwaltungs¬
posten in den russischen Westprovinzen durch Polen.




Bei diesen scheinbar der Vergangenheit angehörenden Verhältnissen habe
ich mich solange aufgehalten, weil einmal gezeigt werden sollte, auf welchem
Wege der panslawistische Gedanke in die russisch-polnischen Beziehungen hinein¬
gekommen ist, und weil die Polen gegenwärtig auf die Versprechungen Alexanders
zurückgreifen. (Siehe u. a. "Programm der progressiv-demokratischen >polnischen^
Partei" vom Dezember 1904, abgedruckt in "Die Polenfrage in der Zeitung
Nussj" Bd. I, S. VIII.) In vielen Aufsätzen demokratischer Polen, Russen und
Juden wird nachzuweisen gesucht, daß nicht die Polen an den Aufständen von




Polen befinden würden, gefangen zu setzen. 3. Keinerlei Unternehmung sollte von den Polen
in Angriff genommen werden, ohne sich mit den russischen Gesellschaften in Einvernehmen gesetzt
zu haben. 4. Sie waren verpflichtet, über alle ihre Verbindungen mit ausländischen Gesellschaften
Mitteilung zu machen. 5. Die russischen Gesellschaften versprachen ihrerseits den Polen Unab¬
hängigkeit sowie die Rückgabe der eroberten Gebiete, soweit das gerecht und möglich sein würde.
*
) Schiemann a. a. O., S. 489/91.
Ging doch die gute Meinung so weit, daß Konstantin Pawlowitsch als Statthalter von
Polen den Vizekönig Sajonczek grob anließ, weil der, selbst ein Pole, dazu riet, den Polen
nicht zu trauen, und weil er an eine Verschwörung glaubte, von der Konstantin nichts wissen
wollte. Schiemann a. a. O., S. 167.
Russische Briefe

Polen, JMonowski, bekannt wurden, tat Alexander keine Schritte, den sich vor¬
bereitenden Aufstand zu verhindern. Unwillkürlich fragt man sich, ob Alexander
nicht gar darauf hoffte, von den Polen mitgerissen zu werden, ob es
ihm nicht an Offenheit gebrach, geheime Wünsche kraft seiner Stellung als
Selbstherrscher zur Durchführung zu bringen. Eine Gegenüberstellung seiner
Pläne von 1811 mit seinem Tun im Jahre 1824 läßt Alexanders Wünsche
klar zutage treten. Aus den verschiedentlicher Versprechungen an die Polen,
aus der Instruktion für Nesselrode, aus dem Verhalten gegen die geheimen
Gesellschaften und aus seiner zweifellosen Abneigung gegen die Russen scheint
hervorzugehn, daß Alexander die Polen zum Eckstein seiner Macht machen wollte.
Weiter hat es den Anschein — ohne daß es aus den bisher zugänglichen
Dokumenten zu beweisen wäre —, als wenn Alexander der Erste Rußland mit
der Hilfe der Polen kultivieren und die Sicherheit der Dynastie auf den pol¬
nischen Adel aufbauen wollte. Eine solche Auffassung wird unterstützt durch
die sachlichen Angaben, die Schiemann über Alexanders Neigung zum Katholi¬
zismus macht.*) Alexanders Stellung zum Katholizismus findet auch eine
scharfe Beleuchtung durch die Umwandlung des Pvlotzker Jesuitenkollegiums in
eine Akademie (1. März 1812) „für die großen Verdienste um die Erziehung
der Jugend". Weiter wird meine Hypothese gestützt durch die hohe Meinung,
die sowohl Alexander wie sein Bruder Konstantin von der Ritterlichkeit der
Polen hatten, **) sowie schließlich durch die Besetzung der höchsten Verwaltungs¬
posten in den russischen Westprovinzen durch Polen.




Bei diesen scheinbar der Vergangenheit angehörenden Verhältnissen habe
ich mich solange aufgehalten, weil einmal gezeigt werden sollte, auf welchem
Wege der panslawistische Gedanke in die russisch-polnischen Beziehungen hinein¬
gekommen ist, und weil die Polen gegenwärtig auf die Versprechungen Alexanders
zurückgreifen. (Siehe u. a. „Programm der progressiv-demokratischen >polnischen^
Partei" vom Dezember 1904, abgedruckt in „Die Polenfrage in der Zeitung
Nussj" Bd. I, S. VIII.) In vielen Aufsätzen demokratischer Polen, Russen und
Juden wird nachzuweisen gesucht, daß nicht die Polen an den Aufständen von




Polen befinden würden, gefangen zu setzen. 3. Keinerlei Unternehmung sollte von den Polen
in Angriff genommen werden, ohne sich mit den russischen Gesellschaften in Einvernehmen gesetzt
zu haben. 4. Sie waren verpflichtet, über alle ihre Verbindungen mit ausländischen Gesellschaften
Mitteilung zu machen. 5. Die russischen Gesellschaften versprachen ihrerseits den Polen Unab¬
hängigkeit sowie die Rückgabe der eroberten Gebiete, soweit das gerecht und möglich sein würde.
*
) Schiemann a. a. O., S. 489/91.
Ging doch die gute Meinung so weit, daß Konstantin Pawlowitsch als Statthalter von
Polen den Vizekönig Sajonczek grob anließ, weil der, selbst ein Pole, dazu riet, den Polen
nicht zu trauen, und weil er an eine Verschwörung glaubte, von der Konstantin nichts wissen
wollte. Schiemann a. a. O., S. 167.
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[0138] Russische Briefe Polen, JMonowski, bekannt wurden, tat Alexander keine Schritte, den sich vor¬ bereitenden Aufstand zu verhindern. Unwillkürlich fragt man sich, ob Alexander nicht gar darauf hoffte, von den Polen mitgerissen zu werden, ob es ihm nicht an Offenheit gebrach, geheime Wünsche kraft seiner Stellung als Selbstherrscher zur Durchführung zu bringen. Eine Gegenüberstellung seiner Pläne von 1811 mit seinem Tun im Jahre 1824 läßt Alexanders Wünsche klar zutage treten. Aus den verschiedentlicher Versprechungen an die Polen, aus der Instruktion für Nesselrode, aus dem Verhalten gegen die geheimen Gesellschaften und aus seiner zweifellosen Abneigung gegen die Russen scheint hervorzugehn, daß Alexander die Polen zum Eckstein seiner Macht machen wollte. Weiter hat es den Anschein — ohne daß es aus den bisher zugänglichen Dokumenten zu beweisen wäre —, als wenn Alexander der Erste Rußland mit der Hilfe der Polen kultivieren und die Sicherheit der Dynastie auf den pol¬ nischen Adel aufbauen wollte. Eine solche Auffassung wird unterstützt durch die sachlichen Angaben, die Schiemann über Alexanders Neigung zum Katholi¬ zismus macht.*) Alexanders Stellung zum Katholizismus findet auch eine scharfe Beleuchtung durch die Umwandlung des Pvlotzker Jesuitenkollegiums in eine Akademie (1. März 1812) „für die großen Verdienste um die Erziehung der Jugend". Weiter wird meine Hypothese gestützt durch die hohe Meinung, die sowohl Alexander wie sein Bruder Konstantin von der Ritterlichkeit der Polen hatten, **) sowie schließlich durch die Besetzung der höchsten Verwaltungs¬ posten in den russischen Westprovinzen durch Polen. Bei diesen scheinbar der Vergangenheit angehörenden Verhältnissen habe ich mich solange aufgehalten, weil einmal gezeigt werden sollte, auf welchem Wege der panslawistische Gedanke in die russisch-polnischen Beziehungen hinein¬ gekommen ist, und weil die Polen gegenwärtig auf die Versprechungen Alexanders zurückgreifen. (Siehe u. a. „Programm der progressiv-demokratischen >polnischen^ Partei" vom Dezember 1904, abgedruckt in „Die Polenfrage in der Zeitung Nussj" Bd. I, S. VIII.) In vielen Aufsätzen demokratischer Polen, Russen und Juden wird nachzuweisen gesucht, daß nicht die Polen an den Aufständen von Polen befinden würden, gefangen zu setzen. 3. Keinerlei Unternehmung sollte von den Polen in Angriff genommen werden, ohne sich mit den russischen Gesellschaften in Einvernehmen gesetzt zu haben. 4. Sie waren verpflichtet, über alle ihre Verbindungen mit ausländischen Gesellschaften Mitteilung zu machen. 5. Die russischen Gesellschaften versprachen ihrerseits den Polen Unab¬ hängigkeit sowie die Rückgabe der eroberten Gebiete, soweit das gerecht und möglich sein würde. * ) Schiemann a. a. O., S. 489/91. Ging doch die gute Meinung so weit, daß Konstantin Pawlowitsch als Statthalter von Polen den Vizekönig Sajonczek grob anließ, weil der, selbst ein Pole, dazu riet, den Polen nicht zu trauen, und weil er an eine Verschwörung glaubte, von der Konstantin nichts wissen wollte. Schiemann a. a. O., S. 167.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/138>, abgerufen am 04.07.2024.