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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großen: "Die Gesichtspunkte der Stacitsleitnng lagen misschlicßlich im Kopfe
des Königs; die Staatsdiener mußten sie erraten und rieten oftmals falsch.
Manche Individuen litten ungerecht und andre wußten durch irrige Vorstellungen
Begünstigungen sich zu verschaffen. Ja, es konnte sogar einer der zu bloßen
Schreibmaschinen gebildeten Kabinetssekretäre durch Zusammenstellung der Ge¬
schäfte, durch Aufmerksamkeit auf die Laune des Tages und andres, den Willen
des Königs beschleichen. Die Bildung selbstdenkender Geschäfts- und Staats-
diener, die den Departements als wahre Chefs hätten vorstehen können, und
deren eine jede gut organisierte Regierung bedarf, wurde gänzlich verhindert.
Die Minister und Präsidenten sollten bloß handeln und ausführen, und selbst in
der Ausführungsart ließ er ihnen selten die Hände frei. Sobald daher der Kopf
fehlte, der für sie gedacht hatte, und sie selbst die Geschäfte ihres Departements
in großen Übersichten fassen und leiten sollten, da fand sich, freimütig gesprochen,
im Grunde kein einziger, der seinen Pflichten gewachsen gewesen wäre." Mencken
sagt weiter, die Schäden dieser Geschäftsführung zeigten sich schon in den letzten
Jahren des Königs selber, besonders in den entferntem Provinzen, wohin sein
Auge nicht mehr allerwärts durchdringen konnte. "Seine Grundsätze reichten für
die sich mehrenden Komplikationen der Staatsmaschine nicht mehr hin, zum
Teil waren sie auch für den Geist der Zeit und der Menschen, die sich bereits
merklich zu verändern anfingen, zu alt und zu rauh. In seinem Alter wären
keine Abänderungen seines Systems von ihm zu erwarten gewesen, aber es ist
nicht zu zweifeln, daß wenn er in diesem Augenblick in seiner vollen Jugend¬
kraft auf dem Throne säße, er es selbst unmöglich finden würde, den Staat, so
wie er jetzt existiert, uach seiner vorigen Art zu regieren und in seinem noch so
einzigen Kopfe wiederum das Ganze und das Detail allein zu konzentrieren."
Alle diese Vorschläge von Mencken, Rüchel u. a. gipfeln darin, daß sie dem
jungen König einen Kabinetsdienst organisieren, der dnrch rcglementcirisch geordnete
Formen den König selbst bindet, gewissermaßen eine äußere Ordnung schafft,
aber damit auch den König weit mehr von den Kabinetsrütcn abhängig macht,
die nicht mehr wie zur Zeit Friedrichs des Großen nur seine Werkzeuge -- um
Merateus fast modernen Ausdruck zu gebrauchen: seine Schreibmaschinen -- sind,
sondern einen direkten Einfluß auf die Bearbeitung der Geschäfte und auf die
königlichen Entschließungen üben. Vom 3. März 1798 datierte noch ein Vorschlag
des Kabinetsministers Grafen von Haugwitz, der dem König empfiehlt, einen eignen
Kabinctsrat für die auswärtigen Angelegenheiten anzustellen und Lombard mit
diesem Posten zu betrauen. Auf Lombard ruhte dann auch in der Tat ein nicht
geringer Anteil an der verhängnisvollen auswärtigen Politik der Jahre 1804
bis 1806. Preußen hatte sich durch Napoleon Hinhalten und täuschen lassen,
namentlich im Jahre 1805, wo ein gemeinsames Vorgehn mit Österreich und
Rußland von großer Bedeutung Hütte werden können. Als man sich 1806 ge¬
zwungen sah, zu den Waffen zu greifen, nachdem es Napoleon an der Zeit
hielt, die Maske abzuwerfen, war es für eine erfolgreiche Entscheidung zu spät.
Vergeblich hat Hardenberg wiederholt in mündlichen Erörterungen den König


Großen: „Die Gesichtspunkte der Stacitsleitnng lagen misschlicßlich im Kopfe
des Königs; die Staatsdiener mußten sie erraten und rieten oftmals falsch.
Manche Individuen litten ungerecht und andre wußten durch irrige Vorstellungen
Begünstigungen sich zu verschaffen. Ja, es konnte sogar einer der zu bloßen
Schreibmaschinen gebildeten Kabinetssekretäre durch Zusammenstellung der Ge¬
schäfte, durch Aufmerksamkeit auf die Laune des Tages und andres, den Willen
des Königs beschleichen. Die Bildung selbstdenkender Geschäfts- und Staats-
diener, die den Departements als wahre Chefs hätten vorstehen können, und
deren eine jede gut organisierte Regierung bedarf, wurde gänzlich verhindert.
Die Minister und Präsidenten sollten bloß handeln und ausführen, und selbst in
der Ausführungsart ließ er ihnen selten die Hände frei. Sobald daher der Kopf
fehlte, der für sie gedacht hatte, und sie selbst die Geschäfte ihres Departements
in großen Übersichten fassen und leiten sollten, da fand sich, freimütig gesprochen,
im Grunde kein einziger, der seinen Pflichten gewachsen gewesen wäre." Mencken
sagt weiter, die Schäden dieser Geschäftsführung zeigten sich schon in den letzten
Jahren des Königs selber, besonders in den entferntem Provinzen, wohin sein
Auge nicht mehr allerwärts durchdringen konnte. „Seine Grundsätze reichten für
die sich mehrenden Komplikationen der Staatsmaschine nicht mehr hin, zum
Teil waren sie auch für den Geist der Zeit und der Menschen, die sich bereits
merklich zu verändern anfingen, zu alt und zu rauh. In seinem Alter wären
keine Abänderungen seines Systems von ihm zu erwarten gewesen, aber es ist
nicht zu zweifeln, daß wenn er in diesem Augenblick in seiner vollen Jugend¬
kraft auf dem Throne säße, er es selbst unmöglich finden würde, den Staat, so
wie er jetzt existiert, uach seiner vorigen Art zu regieren und in seinem noch so
einzigen Kopfe wiederum das Ganze und das Detail allein zu konzentrieren."
Alle diese Vorschläge von Mencken, Rüchel u. a. gipfeln darin, daß sie dem
jungen König einen Kabinetsdienst organisieren, der dnrch rcglementcirisch geordnete
Formen den König selbst bindet, gewissermaßen eine äußere Ordnung schafft,
aber damit auch den König weit mehr von den Kabinetsrütcn abhängig macht,
die nicht mehr wie zur Zeit Friedrichs des Großen nur seine Werkzeuge — um
Merateus fast modernen Ausdruck zu gebrauchen: seine Schreibmaschinen — sind,
sondern einen direkten Einfluß auf die Bearbeitung der Geschäfte und auf die
königlichen Entschließungen üben. Vom 3. März 1798 datierte noch ein Vorschlag
des Kabinetsministers Grafen von Haugwitz, der dem König empfiehlt, einen eignen
Kabinctsrat für die auswärtigen Angelegenheiten anzustellen und Lombard mit
diesem Posten zu betrauen. Auf Lombard ruhte dann auch in der Tat ein nicht
geringer Anteil an der verhängnisvollen auswärtigen Politik der Jahre 1804
bis 1806. Preußen hatte sich durch Napoleon Hinhalten und täuschen lassen,
namentlich im Jahre 1805, wo ein gemeinsames Vorgehn mit Österreich und
Rußland von großer Bedeutung Hütte werden können. Als man sich 1806 ge¬
zwungen sah, zu den Waffen zu greifen, nachdem es Napoleon an der Zeit
hielt, die Maske abzuwerfen, war es für eine erfolgreiche Entscheidung zu spät.
Vergeblich hat Hardenberg wiederholt in mündlichen Erörterungen den König


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/78>, abgerufen am 23.07.2024.