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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus der Bretagne

konnten. Die Männer trugen blaue Seemannsmützen. Ihre Fischerboote lagen
unten in einer kleinen Felsenbucht. In der einfachen Kapelle fiel uns em
Schiffsmodell ins Auge, das als Weihgeschenk von der Decke herunterhing.
Ich habe noch öfter solche Schiffe gesehen, aber kein so hübsches wie Mes in
dem armen Fischerdorf. Fast jedes der kleinen Häuser hatte einen winzigen
Garten mit einem kräftigen Feigenbaum. Und dann machten wir dort die
merkwürdige Beobachtung, daß allemal eine Seite des Hauses und getrock¬
netem Kuhmist dekoriert war. der jedenfalls im Winter als Heizmittel dient.
In einem großen Tümpel spiegelten sich waschende Frauen bei munterm
Geplauder in bretonischer Sprache. Das Wörtchen "ja", das dieselbe Be¬
deutung hat wie bei uns. war das einzige, das wir verstanden, und mutete
uns heimatlich an. Das landesübliche Waschverfahren besteht übrigens darin,
daß man die Wüsche - ob Wolle oder Baumwolle ist gleich -- ins kalte
Wasser taucht und auf einem Stein ausdrückt. Besonders reinliche Wäscherinnen
schlagen zur Bekräftigung noch ein wenig mit einem Holze darauf herum.

In der Gegend von Le Faouet in Morbihan. 21 Kilometer nördlich von
Quimperle habe ich die Leute im Verdacht, daß sie vorziehen, ihre Sachen
überhaupt nicht zu waschen. Hier mag Victor Hugos Behauptung noch zu¬
stimmen, daß die Bretonen das Wasser nur zum Trinken brauchten. Die
Hauben der Frauen machten allerdings eine rühmliche Ausnahme. Man will
Wohl nicht hinter den Landsmänninnen zurückstehn, die schon mehr von der
Kultur beleckt sind, und gerade die Hauben sieht man so sehr!

Ein Ausflug in diese Region war höchst interessant, weil sich dort manche
Eigentümlichkeit des Volkes erhalten hat. die sich an der Küste durch fremden
Einfluß verloren hat. Auch die Gegend zeigt einen andern Charakter. Man nennt
sie die bretonische Schweiz. Wir hatten mit einigen jungen Engländerinnen
einen leichten Wagen, eine Art Kreuser gemietet und fuhren am frühen Morgen
fort. Es war Markttag, und viele Bauern in blauen Binsen kamen uns ent¬
gegen, die ihre Kühe. Kälber. Schweine. Kartoffeln usw. in Qmmpertt ver¬
kaufen wollten. Die Armem gingen zu Fuß und trieben die Tiere vor sich
her- Die andern saßen mit ihren Frauen in kleinen zweirädrigen Wagen und
sausten stolz an uus vorbei, daß die Hut- und Haubenbänder flatterten und
knatterten. Denn für sie gings bergab, während wir bergan krochen und ganze
Strecken zu Fuße neben dem Wagen her gingen. Die Gegend wurde immer
gebirgiger und melancholischer. Düstre Kiefern und star duftender Wacholder
wischten sich unter die Laubbäume, bis sie schließlich den Sieg behaupteten.
Statt der freundlichen Matten zog sich die graue Heide h^an Durch arn -
selige Weiler führte uns die Straße. In einem machten wir Halt Das war
Saint-Fiacre. wo eine berühmte Kapelle mit M"em Lettre^Wagen war sofort umringt von einer schmutzige.. Kinderhände Die Mädchen
Äsen Mund und Augen auf. dann pufften sie sich verlegen lachend an. Die
Tungen dagegen drängten sich herbei und brüllten: l" <-1öl? 1a viel? Wir


Grenzboten IV 1906
Erinnerungen aus der Bretagne

konnten. Die Männer trugen blaue Seemannsmützen. Ihre Fischerboote lagen
unten in einer kleinen Felsenbucht. In der einfachen Kapelle fiel uns em
Schiffsmodell ins Auge, das als Weihgeschenk von der Decke herunterhing.
Ich habe noch öfter solche Schiffe gesehen, aber kein so hübsches wie Mes in
dem armen Fischerdorf. Fast jedes der kleinen Häuser hatte einen winzigen
Garten mit einem kräftigen Feigenbaum. Und dann machten wir dort die
merkwürdige Beobachtung, daß allemal eine Seite des Hauses und getrock¬
netem Kuhmist dekoriert war. der jedenfalls im Winter als Heizmittel dient.
In einem großen Tümpel spiegelten sich waschende Frauen bei munterm
Geplauder in bretonischer Sprache. Das Wörtchen „ja", das dieselbe Be¬
deutung hat wie bei uns. war das einzige, das wir verstanden, und mutete
uns heimatlich an. Das landesübliche Waschverfahren besteht übrigens darin,
daß man die Wüsche - ob Wolle oder Baumwolle ist gleich — ins kalte
Wasser taucht und auf einem Stein ausdrückt. Besonders reinliche Wäscherinnen
schlagen zur Bekräftigung noch ein wenig mit einem Holze darauf herum.

In der Gegend von Le Faouet in Morbihan. 21 Kilometer nördlich von
Quimperle habe ich die Leute im Verdacht, daß sie vorziehen, ihre Sachen
überhaupt nicht zu waschen. Hier mag Victor Hugos Behauptung noch zu¬
stimmen, daß die Bretonen das Wasser nur zum Trinken brauchten. Die
Hauben der Frauen machten allerdings eine rühmliche Ausnahme. Man will
Wohl nicht hinter den Landsmänninnen zurückstehn, die schon mehr von der
Kultur beleckt sind, und gerade die Hauben sieht man so sehr!

Ein Ausflug in diese Region war höchst interessant, weil sich dort manche
Eigentümlichkeit des Volkes erhalten hat. die sich an der Küste durch fremden
Einfluß verloren hat. Auch die Gegend zeigt einen andern Charakter. Man nennt
sie die bretonische Schweiz. Wir hatten mit einigen jungen Engländerinnen
einen leichten Wagen, eine Art Kreuser gemietet und fuhren am frühen Morgen
fort. Es war Markttag, und viele Bauern in blauen Binsen kamen uns ent¬
gegen, die ihre Kühe. Kälber. Schweine. Kartoffeln usw. in Qmmpertt ver¬
kaufen wollten. Die Armem gingen zu Fuß und trieben die Tiere vor sich
her- Die andern saßen mit ihren Frauen in kleinen zweirädrigen Wagen und
sausten stolz an uus vorbei, daß die Hut- und Haubenbänder flatterten und
knatterten. Denn für sie gings bergab, während wir bergan krochen und ganze
Strecken zu Fuße neben dem Wagen her gingen. Die Gegend wurde immer
gebirgiger und melancholischer. Düstre Kiefern und star duftender Wacholder
wischten sich unter die Laubbäume, bis sie schließlich den Sieg behaupteten.
Statt der freundlichen Matten zog sich die graue Heide h^an Durch arn -
selige Weiler führte uns die Straße. In einem machten wir Halt Das war
Saint-Fiacre. wo eine berühmte Kapelle mit M"em Lettre^Wagen war sofort umringt von einer schmutzige.. Kinderhände Die Mädchen
Äsen Mund und Augen auf. dann pufften sie sich verlegen lachend an. Die
Tungen dagegen drängten sich herbei und brüllten: l» <-1öl? 1a viel? Wir


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[0721] Erinnerungen aus der Bretagne konnten. Die Männer trugen blaue Seemannsmützen. Ihre Fischerboote lagen unten in einer kleinen Felsenbucht. In der einfachen Kapelle fiel uns em Schiffsmodell ins Auge, das als Weihgeschenk von der Decke herunterhing. Ich habe noch öfter solche Schiffe gesehen, aber kein so hübsches wie Mes in dem armen Fischerdorf. Fast jedes der kleinen Häuser hatte einen winzigen Garten mit einem kräftigen Feigenbaum. Und dann machten wir dort die merkwürdige Beobachtung, daß allemal eine Seite des Hauses und getrock¬ netem Kuhmist dekoriert war. der jedenfalls im Winter als Heizmittel dient. In einem großen Tümpel spiegelten sich waschende Frauen bei munterm Geplauder in bretonischer Sprache. Das Wörtchen „ja", das dieselbe Be¬ deutung hat wie bei uns. war das einzige, das wir verstanden, und mutete uns heimatlich an. Das landesübliche Waschverfahren besteht übrigens darin, daß man die Wüsche - ob Wolle oder Baumwolle ist gleich — ins kalte Wasser taucht und auf einem Stein ausdrückt. Besonders reinliche Wäscherinnen schlagen zur Bekräftigung noch ein wenig mit einem Holze darauf herum. In der Gegend von Le Faouet in Morbihan. 21 Kilometer nördlich von Quimperle habe ich die Leute im Verdacht, daß sie vorziehen, ihre Sachen überhaupt nicht zu waschen. Hier mag Victor Hugos Behauptung noch zu¬ stimmen, daß die Bretonen das Wasser nur zum Trinken brauchten. Die Hauben der Frauen machten allerdings eine rühmliche Ausnahme. Man will Wohl nicht hinter den Landsmänninnen zurückstehn, die schon mehr von der Kultur beleckt sind, und gerade die Hauben sieht man so sehr! Ein Ausflug in diese Region war höchst interessant, weil sich dort manche Eigentümlichkeit des Volkes erhalten hat. die sich an der Küste durch fremden Einfluß verloren hat. Auch die Gegend zeigt einen andern Charakter. Man nennt sie die bretonische Schweiz. Wir hatten mit einigen jungen Engländerinnen einen leichten Wagen, eine Art Kreuser gemietet und fuhren am frühen Morgen fort. Es war Markttag, und viele Bauern in blauen Binsen kamen uns ent¬ gegen, die ihre Kühe. Kälber. Schweine. Kartoffeln usw. in Qmmpertt ver¬ kaufen wollten. Die Armem gingen zu Fuß und trieben die Tiere vor sich her- Die andern saßen mit ihren Frauen in kleinen zweirädrigen Wagen und sausten stolz an uus vorbei, daß die Hut- und Haubenbänder flatterten und knatterten. Denn für sie gings bergab, während wir bergan krochen und ganze Strecken zu Fuße neben dem Wagen her gingen. Die Gegend wurde immer gebirgiger und melancholischer. Düstre Kiefern und star duftender Wacholder wischten sich unter die Laubbäume, bis sie schließlich den Sieg behaupteten. Statt der freundlichen Matten zog sich die graue Heide h^an Durch arn - selige Weiler führte uns die Straße. In einem machten wir Halt Das war Saint-Fiacre. wo eine berühmte Kapelle mit M"em Lettre^Wagen war sofort umringt von einer schmutzige.. Kinderhände Die Mädchen Äsen Mund und Augen auf. dann pufften sie sich verlegen lachend an. Die Tungen dagegen drängten sich herbei und brüllten: l» <-1öl? 1a viel? Wir Grenzboten IV 1906

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/721>, abgerufen am 23.07.2024.