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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus der Bretagne

Märchenwald aus hohen schlanken Buchen und Edelkastanien. Dazwischen
wuchern Efeu und Stechpalme und umkleiden bemooste Felsblöcke. Eine breite
Chaussee führt schnurgerade hindurch von Quimperle bis an den Ozean nach dem
kleinen Seebade Les Grands Sables. Mit zwei andern Badeorten: Bellangenais
und Le Pouldu liegt dieses am Rande des Hochplateaus, das schroff und
felsig zum Meere abstürzt. Ein schöner, breiter Sandstrand dehnt sich zu seinen
Füßen aus. Als ich zum erstenmal dort oben stand und den Atlantischen Ozean
rauschen hörte, der in langen Wellen heranflutete, kam mir Heines Meergruß
in den Sinn:

^ , > ^ , >
Thalatta! Thalatta!
Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer.
Sei mir gegrüßt zehntausendmal
Aus jauchzendem Herzen.

Es wogten die Fluten,
Sie wogten und brausten,
Die Sonne goß eilig herunter
Die spielenden Rosenlichter;
Und blendend strahlt mir entgegen
Der smaragdene Frühling,
Und es rauschen die weißen Blütenbäume.

Es war unbeschreiblich schön: der blaue Himmel, die dunkelbraunen Felsen,
der blendend weiße Sand und das ewig wechselnde Meer. Rechts ein steiles
Vorgebirge, links die Mündung der Lai'ta, und gegenüber am Horizont als
zarte Silhouette die Insel Groix, die uns nicht vergeblich lockte. Von Lorient
aus, das an sich nichts Hervorragendes für den Reisenden bietet, fuhren wir
in einem kleinen Vergnügungsdampfer hinüber. Das Fort Louis bietet als
Abschluß und Schutz des Kriegshafens ein schönes Bild. Während wir vom
Verdeck aus die festen Mauern und Türme bewunderten und uns über die
Kiefern freuten, die zwischen all dem Stein das einzig Lebendige zu sein schienen,
fingen die Glocken in der Stadt an zu läuten, und eine der Kanonen, die
vom Fort herabdrohten, gab die Mittagsschüsse ab, die über das Meer hin¬
rollten. Das Festland versank zusehends, und ganz wie dieses, mit steiler
Felsenküste trat die Insel immer deutlicher hervor. Nach einstündiger erfrischender
Fahrt liefen wir in den kleinen Hafen Port-Tudy ein, und die Fahrgüste zer¬
streuten sich nach allen Richtungen. Da die Insel sehr schmal ist, gingen wir
gleich geradeaus nach der Südküste. Der Seewind wehte uns entgegen und
fuhr in die Felder zu unsern Seiten, daß sie in "schwanken Silberwellen"
wogten. Zur Rechten lag Groix, der Hauptort der Insel. Außer den statt¬
lichen Bäumen des alten Friedhofs sahen wir weder Baum noch Strauch, nur
Felder, Wiesen, Windmühlen, kleine Dörfer, links ein Fort, am nördlichen
Horizont einen violetten und am südlichen einen tiefblauen Streifen: das
Meer. Nahe der Küste kamen wir durch ein Dorf, dessen Bewohner nicht
an Fremde gewöhnt schienen, denn sie starrten uns nach, solange sie uns sehen


Erinnerungen aus der Bretagne

Märchenwald aus hohen schlanken Buchen und Edelkastanien. Dazwischen
wuchern Efeu und Stechpalme und umkleiden bemooste Felsblöcke. Eine breite
Chaussee führt schnurgerade hindurch von Quimperle bis an den Ozean nach dem
kleinen Seebade Les Grands Sables. Mit zwei andern Badeorten: Bellangenais
und Le Pouldu liegt dieses am Rande des Hochplateaus, das schroff und
felsig zum Meere abstürzt. Ein schöner, breiter Sandstrand dehnt sich zu seinen
Füßen aus. Als ich zum erstenmal dort oben stand und den Atlantischen Ozean
rauschen hörte, der in langen Wellen heranflutete, kam mir Heines Meergruß
in den Sinn:

^ , > ^ , >
Thalatta! Thalatta!
Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer.
Sei mir gegrüßt zehntausendmal
Aus jauchzendem Herzen.

Es wogten die Fluten,
Sie wogten und brausten,
Die Sonne goß eilig herunter
Die spielenden Rosenlichter;
Und blendend strahlt mir entgegen
Der smaragdene Frühling,
Und es rauschen die weißen Blütenbäume.

Es war unbeschreiblich schön: der blaue Himmel, die dunkelbraunen Felsen,
der blendend weiße Sand und das ewig wechselnde Meer. Rechts ein steiles
Vorgebirge, links die Mündung der Lai'ta, und gegenüber am Horizont als
zarte Silhouette die Insel Groix, die uns nicht vergeblich lockte. Von Lorient
aus, das an sich nichts Hervorragendes für den Reisenden bietet, fuhren wir
in einem kleinen Vergnügungsdampfer hinüber. Das Fort Louis bietet als
Abschluß und Schutz des Kriegshafens ein schönes Bild. Während wir vom
Verdeck aus die festen Mauern und Türme bewunderten und uns über die
Kiefern freuten, die zwischen all dem Stein das einzig Lebendige zu sein schienen,
fingen die Glocken in der Stadt an zu läuten, und eine der Kanonen, die
vom Fort herabdrohten, gab die Mittagsschüsse ab, die über das Meer hin¬
rollten. Das Festland versank zusehends, und ganz wie dieses, mit steiler
Felsenküste trat die Insel immer deutlicher hervor. Nach einstündiger erfrischender
Fahrt liefen wir in den kleinen Hafen Port-Tudy ein, und die Fahrgüste zer¬
streuten sich nach allen Richtungen. Da die Insel sehr schmal ist, gingen wir
gleich geradeaus nach der Südküste. Der Seewind wehte uns entgegen und
fuhr in die Felder zu unsern Seiten, daß sie in „schwanken Silberwellen"
wogten. Zur Rechten lag Groix, der Hauptort der Insel. Außer den statt¬
lichen Bäumen des alten Friedhofs sahen wir weder Baum noch Strauch, nur
Felder, Wiesen, Windmühlen, kleine Dörfer, links ein Fort, am nördlichen
Horizont einen violetten und am südlichen einen tiefblauen Streifen: das
Meer. Nahe der Küste kamen wir durch ein Dorf, dessen Bewohner nicht
an Fremde gewöhnt schienen, denn sie starrten uns nach, solange sie uns sehen


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[0720] Erinnerungen aus der Bretagne Märchenwald aus hohen schlanken Buchen und Edelkastanien. Dazwischen wuchern Efeu und Stechpalme und umkleiden bemooste Felsblöcke. Eine breite Chaussee führt schnurgerade hindurch von Quimperle bis an den Ozean nach dem kleinen Seebade Les Grands Sables. Mit zwei andern Badeorten: Bellangenais und Le Pouldu liegt dieses am Rande des Hochplateaus, das schroff und felsig zum Meere abstürzt. Ein schöner, breiter Sandstrand dehnt sich zu seinen Füßen aus. Als ich zum erstenmal dort oben stand und den Atlantischen Ozean rauschen hörte, der in langen Wellen heranflutete, kam mir Heines Meergruß in den Sinn: ^ , > ^ , > Thalatta! Thalatta! Sei mir gegrüßt, du ewiges Meer. Sei mir gegrüßt zehntausendmal Aus jauchzendem Herzen. Es wogten die Fluten, Sie wogten und brausten, Die Sonne goß eilig herunter Die spielenden Rosenlichter; Und blendend strahlt mir entgegen Der smaragdene Frühling, Und es rauschen die weißen Blütenbäume. Es war unbeschreiblich schön: der blaue Himmel, die dunkelbraunen Felsen, der blendend weiße Sand und das ewig wechselnde Meer. Rechts ein steiles Vorgebirge, links die Mündung der Lai'ta, und gegenüber am Horizont als zarte Silhouette die Insel Groix, die uns nicht vergeblich lockte. Von Lorient aus, das an sich nichts Hervorragendes für den Reisenden bietet, fuhren wir in einem kleinen Vergnügungsdampfer hinüber. Das Fort Louis bietet als Abschluß und Schutz des Kriegshafens ein schönes Bild. Während wir vom Verdeck aus die festen Mauern und Türme bewunderten und uns über die Kiefern freuten, die zwischen all dem Stein das einzig Lebendige zu sein schienen, fingen die Glocken in der Stadt an zu läuten, und eine der Kanonen, die vom Fort herabdrohten, gab die Mittagsschüsse ab, die über das Meer hin¬ rollten. Das Festland versank zusehends, und ganz wie dieses, mit steiler Felsenküste trat die Insel immer deutlicher hervor. Nach einstündiger erfrischender Fahrt liefen wir in den kleinen Hafen Port-Tudy ein, und die Fahrgüste zer¬ streuten sich nach allen Richtungen. Da die Insel sehr schmal ist, gingen wir gleich geradeaus nach der Südküste. Der Seewind wehte uns entgegen und fuhr in die Felder zu unsern Seiten, daß sie in „schwanken Silberwellen" wogten. Zur Rechten lag Groix, der Hauptort der Insel. Außer den statt¬ lichen Bäumen des alten Friedhofs sahen wir weder Baum noch Strauch, nur Felder, Wiesen, Windmühlen, kleine Dörfer, links ein Fort, am nördlichen Horizont einen violetten und am südlichen einen tiefblauen Streifen: das Meer. Nahe der Küste kamen wir durch ein Dorf, dessen Bewohner nicht an Fremde gewöhnt schienen, denn sie starrten uns nach, solange sie uns sehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/720>, abgerufen am 23.07.2024.