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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus der Bretagne

den Takt stampfte. Neben ihm saß ein andrer, der eine Art Klarinette blies-
Die Kameraden wechselten sich in Melodie und Begleitung ab. Auf der langen
Mauer, die die Allee von der tiefer liegenden gepflasterten Straße trennt, saßen
schwatzend und kichernd die Mädchen im schönsten Staat. Die meisten trugen
feine schwarze Tuchkleider mit reichem Sammetbesatz, die den Hals frei ließen,
um den sich eine weiße Krause oder ein großer steifer Stuartkragen legte. Die
Ärmel waren unten weit und mit breiten weißen Spitzen versehen. Die großen
Schürzen waren heute von Seide, und die weißen Häubchen mit Stickerei ver¬
ziert. Einige wohlhabende Bürgertöchter trugen kunstvollen Halsschmuck und
goldne Uhrketten. Gegenüber hatten sich die jungen Leute aufgestellt, deren
kurze Jacken und Westen ebenfalls aus schwarzem Tuch und viel Sammet
hergestellt waren. Auch um die schwarzen Filzhüte legte sich ein Sammetband
mit breiter Schnalle. Die grauen Hosen waren merkwürdigerweise an den
Knien am engsten und fielen trichterförmig auf die Schuhe hinab. Zwei
Matrosen und ein xiou-xiou (Infanterist) bildeten die farbigen Punkte in diesem
dunkeln Knäuel, denn auch die Soldaten haben am 14. Juli Urlaub. Übrigens
ist auch die blaue Bluse ballfähig.

Da ich einmal bei den Kostümen bin, will ich gleich bemerken, daß diese
in der Bretagne sehr verschieden sind. So sind die von Pont-l'Abbe und
Douarnenez recht farbenfreudig. Auch die Männer tragen dort bunte Stickerei
und dazu an einigen Orten die kurzen Pluderhosen und Stulpenstiefel, wie
sie auf den bretonischen Fayencen abgebildet sind, die in Locmaria bei Quimper
hergestellt werden. Ebenso schwer wie es ist, die verschiednen Trachten zu
beschreiben, so schwierig ist es wohl, einen bestimmten Typus festzustellen.
Man merkt doch, daß die keltische Stammbevölkerung im Laufe der Jahrhunderte
mit romanischen und germanischen Elementen durchsetzt worden ist. Die Männer
haben im allgemeinen schönere Gesichter als die Frauen, doch machen auch
diese einen gesunden und frischen Eindruck. Ich habe viel sehr alte und dabei
noch recht lustige Leute gesehen, besonders im Innern des Landes. Die Küsten¬
bevölkerung ist natürlich ernster durch die Nachbarschaft des Meeres, das ihnen
manchen ihrer besten Männer entreißt, und das sich im Westen langsam in
ihr Land hineinfrißt. Dort ist es wild und "schauerlich öd". Da donnert
die Brandung in die Baie des Trepasses und spritzt hoch empor an der
wildzerklüfteten düstern Pointe du naz. Im sechzehnten Jahrhundert zerstörte
sie die Stadt Penmarch, nicht weit von der Stelle, wo sich jetzt der schönste
Leuchtturm Frankreichs, der Phare d'Eckmühl erhebt.

Doch in Quimperle sind wir zwölf Kilometer vom Meer entfernt. Die
Sonne scheint, die blühenden Linden duften, die Weisen des viniou locken,
und bald tanzt Bretone und Bretonin die alte, beliebte Gavotte. In Vierer¬
reihen, je zwei Mädchen in der Mitte, geht es mit zierlichen Schrittchen auf
und nieder; manchmal vereinigen sich die Reihen und bilden kunstvolle Figuren.
Trotz des Staubes, der sie umwirbelt, tanzen sie unermüdlich bis zum letzten
Ton. Mit der Gavotte wechselt regelmäßig ein hübscher Nundtanz, der ein


Erinnerungen aus der Bretagne

den Takt stampfte. Neben ihm saß ein andrer, der eine Art Klarinette blies-
Die Kameraden wechselten sich in Melodie und Begleitung ab. Auf der langen
Mauer, die die Allee von der tiefer liegenden gepflasterten Straße trennt, saßen
schwatzend und kichernd die Mädchen im schönsten Staat. Die meisten trugen
feine schwarze Tuchkleider mit reichem Sammetbesatz, die den Hals frei ließen,
um den sich eine weiße Krause oder ein großer steifer Stuartkragen legte. Die
Ärmel waren unten weit und mit breiten weißen Spitzen versehen. Die großen
Schürzen waren heute von Seide, und die weißen Häubchen mit Stickerei ver¬
ziert. Einige wohlhabende Bürgertöchter trugen kunstvollen Halsschmuck und
goldne Uhrketten. Gegenüber hatten sich die jungen Leute aufgestellt, deren
kurze Jacken und Westen ebenfalls aus schwarzem Tuch und viel Sammet
hergestellt waren. Auch um die schwarzen Filzhüte legte sich ein Sammetband
mit breiter Schnalle. Die grauen Hosen waren merkwürdigerweise an den
Knien am engsten und fielen trichterförmig auf die Schuhe hinab. Zwei
Matrosen und ein xiou-xiou (Infanterist) bildeten die farbigen Punkte in diesem
dunkeln Knäuel, denn auch die Soldaten haben am 14. Juli Urlaub. Übrigens
ist auch die blaue Bluse ballfähig.

Da ich einmal bei den Kostümen bin, will ich gleich bemerken, daß diese
in der Bretagne sehr verschieden sind. So sind die von Pont-l'Abbe und
Douarnenez recht farbenfreudig. Auch die Männer tragen dort bunte Stickerei
und dazu an einigen Orten die kurzen Pluderhosen und Stulpenstiefel, wie
sie auf den bretonischen Fayencen abgebildet sind, die in Locmaria bei Quimper
hergestellt werden. Ebenso schwer wie es ist, die verschiednen Trachten zu
beschreiben, so schwierig ist es wohl, einen bestimmten Typus festzustellen.
Man merkt doch, daß die keltische Stammbevölkerung im Laufe der Jahrhunderte
mit romanischen und germanischen Elementen durchsetzt worden ist. Die Männer
haben im allgemeinen schönere Gesichter als die Frauen, doch machen auch
diese einen gesunden und frischen Eindruck. Ich habe viel sehr alte und dabei
noch recht lustige Leute gesehen, besonders im Innern des Landes. Die Küsten¬
bevölkerung ist natürlich ernster durch die Nachbarschaft des Meeres, das ihnen
manchen ihrer besten Männer entreißt, und das sich im Westen langsam in
ihr Land hineinfrißt. Dort ist es wild und „schauerlich öd". Da donnert
die Brandung in die Baie des Trepasses und spritzt hoch empor an der
wildzerklüfteten düstern Pointe du naz. Im sechzehnten Jahrhundert zerstörte
sie die Stadt Penmarch, nicht weit von der Stelle, wo sich jetzt der schönste
Leuchtturm Frankreichs, der Phare d'Eckmühl erhebt.

Doch in Quimperle sind wir zwölf Kilometer vom Meer entfernt. Die
Sonne scheint, die blühenden Linden duften, die Weisen des viniou locken,
und bald tanzt Bretone und Bretonin die alte, beliebte Gavotte. In Vierer¬
reihen, je zwei Mädchen in der Mitte, geht es mit zierlichen Schrittchen auf
und nieder; manchmal vereinigen sich die Reihen und bilden kunstvolle Figuren.
Trotz des Staubes, der sie umwirbelt, tanzen sie unermüdlich bis zum letzten
Ton. Mit der Gavotte wechselt regelmäßig ein hübscher Nundtanz, der ein


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[0718] Erinnerungen aus der Bretagne den Takt stampfte. Neben ihm saß ein andrer, der eine Art Klarinette blies- Die Kameraden wechselten sich in Melodie und Begleitung ab. Auf der langen Mauer, die die Allee von der tiefer liegenden gepflasterten Straße trennt, saßen schwatzend und kichernd die Mädchen im schönsten Staat. Die meisten trugen feine schwarze Tuchkleider mit reichem Sammetbesatz, die den Hals frei ließen, um den sich eine weiße Krause oder ein großer steifer Stuartkragen legte. Die Ärmel waren unten weit und mit breiten weißen Spitzen versehen. Die großen Schürzen waren heute von Seide, und die weißen Häubchen mit Stickerei ver¬ ziert. Einige wohlhabende Bürgertöchter trugen kunstvollen Halsschmuck und goldne Uhrketten. Gegenüber hatten sich die jungen Leute aufgestellt, deren kurze Jacken und Westen ebenfalls aus schwarzem Tuch und viel Sammet hergestellt waren. Auch um die schwarzen Filzhüte legte sich ein Sammetband mit breiter Schnalle. Die grauen Hosen waren merkwürdigerweise an den Knien am engsten und fielen trichterförmig auf die Schuhe hinab. Zwei Matrosen und ein xiou-xiou (Infanterist) bildeten die farbigen Punkte in diesem dunkeln Knäuel, denn auch die Soldaten haben am 14. Juli Urlaub. Übrigens ist auch die blaue Bluse ballfähig. Da ich einmal bei den Kostümen bin, will ich gleich bemerken, daß diese in der Bretagne sehr verschieden sind. So sind die von Pont-l'Abbe und Douarnenez recht farbenfreudig. Auch die Männer tragen dort bunte Stickerei und dazu an einigen Orten die kurzen Pluderhosen und Stulpenstiefel, wie sie auf den bretonischen Fayencen abgebildet sind, die in Locmaria bei Quimper hergestellt werden. Ebenso schwer wie es ist, die verschiednen Trachten zu beschreiben, so schwierig ist es wohl, einen bestimmten Typus festzustellen. Man merkt doch, daß die keltische Stammbevölkerung im Laufe der Jahrhunderte mit romanischen und germanischen Elementen durchsetzt worden ist. Die Männer haben im allgemeinen schönere Gesichter als die Frauen, doch machen auch diese einen gesunden und frischen Eindruck. Ich habe viel sehr alte und dabei noch recht lustige Leute gesehen, besonders im Innern des Landes. Die Küsten¬ bevölkerung ist natürlich ernster durch die Nachbarschaft des Meeres, das ihnen manchen ihrer besten Männer entreißt, und das sich im Westen langsam in ihr Land hineinfrißt. Dort ist es wild und „schauerlich öd". Da donnert die Brandung in die Baie des Trepasses und spritzt hoch empor an der wildzerklüfteten düstern Pointe du naz. Im sechzehnten Jahrhundert zerstörte sie die Stadt Penmarch, nicht weit von der Stelle, wo sich jetzt der schönste Leuchtturm Frankreichs, der Phare d'Eckmühl erhebt. Doch in Quimperle sind wir zwölf Kilometer vom Meer entfernt. Die Sonne scheint, die blühenden Linden duften, die Weisen des viniou locken, und bald tanzt Bretone und Bretonin die alte, beliebte Gavotte. In Vierer¬ reihen, je zwei Mädchen in der Mitte, geht es mit zierlichen Schrittchen auf und nieder; manchmal vereinigen sich die Reihen und bilden kunstvolle Figuren. Trotz des Staubes, der sie umwirbelt, tanzen sie unermüdlich bis zum letzten Ton. Mit der Gavotte wechselt regelmäßig ein hübscher Nundtanz, der ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/718>, abgerufen am 23.07.2024.