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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes

Teil des Kriegsschauplatzes zu wenden, ist auch von Napoleon sehr häufig,
besonders aber in dem Feldzug von 1813 in Sachsen und 1814 in Frankreich
beobachtet worden, wo er sich des Ansturms der aus der Mark, aus Schlesien
und aus Böhmen auf ihn eindringenden Kolonnen der Verbündeten zu er¬
wehren hatte. Auch die Dispositionen Moltkes machen von solchen Offensiv¬
stößen zunächst in dem Mainfeldzug einen sehr ausgiebigen Gebrauch, indem
die schwachen preußischen Kräfte bald gegen die bayrischen, bald gegen die
hessischen und andre süddeutsche Truppen auftreten und sich mit einem augen¬
blicklichen Erfolge begnügen mußten, da sie die Verfolgung nicht zu weit aus¬
dehnen durften. Dieselben Verhältnisse traten auch nach der Einschließung
von Paris bei der ersten deutschen Armee im Norden auf, die sich bald mit
einem Vorstoß gegen die bei Amiens stehenden feindlichen Kräfte, bald gegen
die sich im Anmarsch von Rouen befindenden Truppen wenden mußte. Und
ebenso waren die deutschen Truppenteile zu handeln gezwungen, die gegen
die feindlichen Armeen an der Loire und dem Loir sowie im Osten auftraten
und die Einschließungsarmee von Paris und von Belfort bedrohten. Daß
hierbei alle die entgegenstehenden Schwierigkeiten mit so großem Geschick und
so staunenswertem Erfolg gelöst wurden, zeigt am besten, wie überlegen die
Strategie Moltkes der aller andern Perioden, auch der Napoleons war.

Aus dem bisher Gesagten dürfte hervorgehn, daß bei allen drei Feld¬
herren immer das Bestreben vorgewaltet hat, in ihren Entschlüssen dem
Gegner zuvorzukommen und dadurch eine möglichst schnelle Bereitstellung der
Truppe", durch den rechtzeitigen, gesicherten strategischen Aufmarsch und durch
das Ergreifen der strategischen Offensive sich aller Vorteile in bezug auf Zeit,
Ort und Kraft zu sichern. In den Kriegen nach Moltkischen Prinzipien kommen
hierzu noch die ausgedehnten Übungen im Sicherheit^- und im Aufklürungs-
dienst durch die Voraussenduug größerer selbständiger Kavallerieabteilungen
und das Bestreben, mit getrennten Kolonnen zu marschieren und zu schlagen-
Auch das Prinzip finden wir bei Moltke besonders verkörpert, daß das
strategische Angriffsobjekt nicht in der Einnahme von sogenannten strategischen
Punkten, sondern zu allererst in der Vernichtung der feindlichen Streitkräfte
gesucht werden müsse, deren völlige Zertrümmerung dann den Endzweck des
Krieges herbeiführen solle. Die Schwächen des Gegners werden von allen
drei Feldherren immer richtig erkannt und rechtzeitig zu einem Vorteil aus¬
genutzt. Die strategische Defensive wird nur gewühlt, wenn sie durchaus ge¬
boten ist, so bei Coulmiers und an der Lisaine, und aus ihr wird sofort zur
Offensive übergegangen, sobald sich dazu nur irgend Gelegenheit bietet. Der
Operationsplan ist dabei von allen drei Feldherren nur bis zu dem Zusammen¬
stoß mit dem Gegner in großen, allgemeinen Zügen entworfen. Er beschränkt
sich auf den strategischen Aufmarsch und die strategische Offensive, wird aber
sofort geändert, wenn die Verhältnisse beim Gegner und die eigne Lage solches
erheischen, wobei dann sofort auch wieder die gegebne Situation zum eignen
Vorteil ausgenutzt wird.


Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes

Teil des Kriegsschauplatzes zu wenden, ist auch von Napoleon sehr häufig,
besonders aber in dem Feldzug von 1813 in Sachsen und 1814 in Frankreich
beobachtet worden, wo er sich des Ansturms der aus der Mark, aus Schlesien
und aus Böhmen auf ihn eindringenden Kolonnen der Verbündeten zu er¬
wehren hatte. Auch die Dispositionen Moltkes machen von solchen Offensiv¬
stößen zunächst in dem Mainfeldzug einen sehr ausgiebigen Gebrauch, indem
die schwachen preußischen Kräfte bald gegen die bayrischen, bald gegen die
hessischen und andre süddeutsche Truppen auftreten und sich mit einem augen¬
blicklichen Erfolge begnügen mußten, da sie die Verfolgung nicht zu weit aus¬
dehnen durften. Dieselben Verhältnisse traten auch nach der Einschließung
von Paris bei der ersten deutschen Armee im Norden auf, die sich bald mit
einem Vorstoß gegen die bei Amiens stehenden feindlichen Kräfte, bald gegen
die sich im Anmarsch von Rouen befindenden Truppen wenden mußte. Und
ebenso waren die deutschen Truppenteile zu handeln gezwungen, die gegen
die feindlichen Armeen an der Loire und dem Loir sowie im Osten auftraten
und die Einschließungsarmee von Paris und von Belfort bedrohten. Daß
hierbei alle die entgegenstehenden Schwierigkeiten mit so großem Geschick und
so staunenswertem Erfolg gelöst wurden, zeigt am besten, wie überlegen die
Strategie Moltkes der aller andern Perioden, auch der Napoleons war.

Aus dem bisher Gesagten dürfte hervorgehn, daß bei allen drei Feld¬
herren immer das Bestreben vorgewaltet hat, in ihren Entschlüssen dem
Gegner zuvorzukommen und dadurch eine möglichst schnelle Bereitstellung der
Truppe«, durch den rechtzeitigen, gesicherten strategischen Aufmarsch und durch
das Ergreifen der strategischen Offensive sich aller Vorteile in bezug auf Zeit,
Ort und Kraft zu sichern. In den Kriegen nach Moltkischen Prinzipien kommen
hierzu noch die ausgedehnten Übungen im Sicherheit^- und im Aufklürungs-
dienst durch die Voraussenduug größerer selbständiger Kavallerieabteilungen
und das Bestreben, mit getrennten Kolonnen zu marschieren und zu schlagen-
Auch das Prinzip finden wir bei Moltke besonders verkörpert, daß das
strategische Angriffsobjekt nicht in der Einnahme von sogenannten strategischen
Punkten, sondern zu allererst in der Vernichtung der feindlichen Streitkräfte
gesucht werden müsse, deren völlige Zertrümmerung dann den Endzweck des
Krieges herbeiführen solle. Die Schwächen des Gegners werden von allen
drei Feldherren immer richtig erkannt und rechtzeitig zu einem Vorteil aus¬
genutzt. Die strategische Defensive wird nur gewühlt, wenn sie durchaus ge¬
boten ist, so bei Coulmiers und an der Lisaine, und aus ihr wird sofort zur
Offensive übergegangen, sobald sich dazu nur irgend Gelegenheit bietet. Der
Operationsplan ist dabei von allen drei Feldherren nur bis zu dem Zusammen¬
stoß mit dem Gegner in großen, allgemeinen Zügen entworfen. Er beschränkt
sich auf den strategischen Aufmarsch und die strategische Offensive, wird aber
sofort geändert, wenn die Verhältnisse beim Gegner und die eigne Lage solches
erheischen, wobei dann sofort auch wieder die gegebne Situation zum eignen
Vorteil ausgenutzt wird.


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[0698] Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes Teil des Kriegsschauplatzes zu wenden, ist auch von Napoleon sehr häufig, besonders aber in dem Feldzug von 1813 in Sachsen und 1814 in Frankreich beobachtet worden, wo er sich des Ansturms der aus der Mark, aus Schlesien und aus Böhmen auf ihn eindringenden Kolonnen der Verbündeten zu er¬ wehren hatte. Auch die Dispositionen Moltkes machen von solchen Offensiv¬ stößen zunächst in dem Mainfeldzug einen sehr ausgiebigen Gebrauch, indem die schwachen preußischen Kräfte bald gegen die bayrischen, bald gegen die hessischen und andre süddeutsche Truppen auftreten und sich mit einem augen¬ blicklichen Erfolge begnügen mußten, da sie die Verfolgung nicht zu weit aus¬ dehnen durften. Dieselben Verhältnisse traten auch nach der Einschließung von Paris bei der ersten deutschen Armee im Norden auf, die sich bald mit einem Vorstoß gegen die bei Amiens stehenden feindlichen Kräfte, bald gegen die sich im Anmarsch von Rouen befindenden Truppen wenden mußte. Und ebenso waren die deutschen Truppenteile zu handeln gezwungen, die gegen die feindlichen Armeen an der Loire und dem Loir sowie im Osten auftraten und die Einschließungsarmee von Paris und von Belfort bedrohten. Daß hierbei alle die entgegenstehenden Schwierigkeiten mit so großem Geschick und so staunenswertem Erfolg gelöst wurden, zeigt am besten, wie überlegen die Strategie Moltkes der aller andern Perioden, auch der Napoleons war. Aus dem bisher Gesagten dürfte hervorgehn, daß bei allen drei Feld¬ herren immer das Bestreben vorgewaltet hat, in ihren Entschlüssen dem Gegner zuvorzukommen und dadurch eine möglichst schnelle Bereitstellung der Truppe«, durch den rechtzeitigen, gesicherten strategischen Aufmarsch und durch das Ergreifen der strategischen Offensive sich aller Vorteile in bezug auf Zeit, Ort und Kraft zu sichern. In den Kriegen nach Moltkischen Prinzipien kommen hierzu noch die ausgedehnten Übungen im Sicherheit^- und im Aufklürungs- dienst durch die Voraussenduug größerer selbständiger Kavallerieabteilungen und das Bestreben, mit getrennten Kolonnen zu marschieren und zu schlagen- Auch das Prinzip finden wir bei Moltke besonders verkörpert, daß das strategische Angriffsobjekt nicht in der Einnahme von sogenannten strategischen Punkten, sondern zu allererst in der Vernichtung der feindlichen Streitkräfte gesucht werden müsse, deren völlige Zertrümmerung dann den Endzweck des Krieges herbeiführen solle. Die Schwächen des Gegners werden von allen drei Feldherren immer richtig erkannt und rechtzeitig zu einem Vorteil aus¬ genutzt. Die strategische Defensive wird nur gewühlt, wenn sie durchaus ge¬ boten ist, so bei Coulmiers und an der Lisaine, und aus ihr wird sofort zur Offensive übergegangen, sobald sich dazu nur irgend Gelegenheit bietet. Der Operationsplan ist dabei von allen drei Feldherren nur bis zu dem Zusammen¬ stoß mit dem Gegner in großen, allgemeinen Zügen entworfen. Er beschränkt sich auf den strategischen Aufmarsch und die strategische Offensive, wird aber sofort geändert, wenn die Verhältnisse beim Gegner und die eigne Lage solches erheischen, wobei dann sofort auch wieder die gegebne Situation zum eignen Vorteil ausgenutzt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/698>, abgerufen am 23.07.2024.