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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes

Den Grundsatz der strategischen Offensive sehen wir aber noch in einem
Weit höhern und ich möchte sagen wertvollern Maße in der Moltkischen
Strategie befolgt. In den beiden Feldzügen von 1866 und von 1870 spalten
ganz andre politische Verhältnisse mit. als die waren, mit denen Napoleon
M rechnen hatte, und es galt, ganz andre Heeresmassen in Bewegung zu
setzen, als die. mit denen man die frühern Kriege geführt hatte. Preußen
und Deutschland waren gezwungen, den Gegner ins Unrecht zu versetzen, und
durften erst zur Offensive schreiten, nachdem die Gegner die Kriegserklärung
erlassen hatten. Sobald aber dies geschehen war. wurde auch mit der vollsten
Energie 5and ans Werk gelegt, wurden die Truppen so schnell wie irgend
möglich versammelt, um sofort in das feindliche Gebiet den Krieg zu tragen
und dadurch dem Gegner den Weg seines Handelns vorzuschreiben. In beiden
Kriegen war der Gegner schon seit längerer Zeit zum Beginn von Feindselig¬
keiten vorbereitet und hatte seine Armee entweder versammelt oder in naher
Bereitschaft. Dennoch aber gelang es den einzelnen getrennt vorgehenden
Kolonnen, sich zum Teil unter schweren, verlustreichen Gefechten den Eingang
W das feindliche Gebiet zu erkämpfen und dort ihre Vereinigung für die
Entscheidungsschlacht herbeizuführen. Und wie Friedrich der Zweite fast un¬
mittelbar nach dem Siege von Prag seinen Vormarsch gegen Dann fortsetzte,
obwohl der größte Teil der feindlichen Armee in Prag eingeschlossen gehalten
werden mußte so sehen wir auch nach der Schlacht von Königgrätz tue
preußischen Kolonnen sofort in Anmarsch gegen Wien, unter starker Detachierung
von Truppenteilen gegen die Festungen Olmütz und Josephstadt, und sehen
ebenso, wie nach den blutigen Kämpfen von Vionville. Gravelotte und Se. Privat
"ach Zurücklassung der ersten und der zweiten Armee die Maasarmee sofort
ausgeschieden und mit der dritten Armee zum Vormarsch gegen Paris be¬
stimmt wird. So wurde auch nicht für einen Augenblick das Hauptziel aus
den Augen verloren, und Entschluß und Ausführung folgten einander ohne
jeden Zeitverlust, zelligem dann aber auch Erfolge, wie sie Napoleon nur in
seinen glücklichsten Feldzügen davongetragen hatte.

^<
Friedrich der Zweite war nach den. unglücklichen Ausgang der Schlacht
von Kolin zur strategischen Defensive gezwungen worden, die er aber fo
°ktiv wie nur irgeud möglich zu gestalten suchte. Davon legten die nach dem
Rückzug aus Böhmen noch im Jahre 1757 unternommnen Zuge gegen die
Franzosen nach Thüringen. die mit dem glänzenden Siege von R ßbach
endeten, und der Zug gegen Breslau ein beredtes Zeugnis ab. Unter den
ungünstigsten strategischen, taktischen und politischen Verhältnissen werden beide
Flankenmürsche nach Westen und Osten im Angesichte des Feindes unter¬
nommen, wodurch die glänzendsten Siege heimgebracht und damit die Lage
wieder zugunsten des Königs hergestellt wurde. Das Verfahren Friedrichs
w diesen Fällen, erst den einen Gegner mit einem kurzen energischen Offensiv¬
stoß anzufallen und ihn dadurch zurückzuwerfen, ohne jedoch dabei die Ver¬
folgung allzuweit auszudehnen, und dann sofort sich wieder nach einem andern


Grenzboten IV 1906
Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes

Den Grundsatz der strategischen Offensive sehen wir aber noch in einem
Weit höhern und ich möchte sagen wertvollern Maße in der Moltkischen
Strategie befolgt. In den beiden Feldzügen von 1866 und von 1870 spalten
ganz andre politische Verhältnisse mit. als die waren, mit denen Napoleon
M rechnen hatte, und es galt, ganz andre Heeresmassen in Bewegung zu
setzen, als die. mit denen man die frühern Kriege geführt hatte. Preußen
und Deutschland waren gezwungen, den Gegner ins Unrecht zu versetzen, und
durften erst zur Offensive schreiten, nachdem die Gegner die Kriegserklärung
erlassen hatten. Sobald aber dies geschehen war. wurde auch mit der vollsten
Energie 5and ans Werk gelegt, wurden die Truppen so schnell wie irgend
möglich versammelt, um sofort in das feindliche Gebiet den Krieg zu tragen
und dadurch dem Gegner den Weg seines Handelns vorzuschreiben. In beiden
Kriegen war der Gegner schon seit längerer Zeit zum Beginn von Feindselig¬
keiten vorbereitet und hatte seine Armee entweder versammelt oder in naher
Bereitschaft. Dennoch aber gelang es den einzelnen getrennt vorgehenden
Kolonnen, sich zum Teil unter schweren, verlustreichen Gefechten den Eingang
W das feindliche Gebiet zu erkämpfen und dort ihre Vereinigung für die
Entscheidungsschlacht herbeizuführen. Und wie Friedrich der Zweite fast un¬
mittelbar nach dem Siege von Prag seinen Vormarsch gegen Dann fortsetzte,
obwohl der größte Teil der feindlichen Armee in Prag eingeschlossen gehalten
werden mußte so sehen wir auch nach der Schlacht von Königgrätz tue
preußischen Kolonnen sofort in Anmarsch gegen Wien, unter starker Detachierung
von Truppenteilen gegen die Festungen Olmütz und Josephstadt, und sehen
ebenso, wie nach den blutigen Kämpfen von Vionville. Gravelotte und Se. Privat
«ach Zurücklassung der ersten und der zweiten Armee die Maasarmee sofort
ausgeschieden und mit der dritten Armee zum Vormarsch gegen Paris be¬
stimmt wird. So wurde auch nicht für einen Augenblick das Hauptziel aus
den Augen verloren, und Entschluß und Ausführung folgten einander ohne
jeden Zeitverlust, zelligem dann aber auch Erfolge, wie sie Napoleon nur in
seinen glücklichsten Feldzügen davongetragen hatte.

^<
Friedrich der Zweite war nach den. unglücklichen Ausgang der Schlacht
von Kolin zur strategischen Defensive gezwungen worden, die er aber fo
°ktiv wie nur irgeud möglich zu gestalten suchte. Davon legten die nach dem
Rückzug aus Böhmen noch im Jahre 1757 unternommnen Zuge gegen die
Franzosen nach Thüringen. die mit dem glänzenden Siege von R ßbach
endeten, und der Zug gegen Breslau ein beredtes Zeugnis ab. Unter den
ungünstigsten strategischen, taktischen und politischen Verhältnissen werden beide
Flankenmürsche nach Westen und Osten im Angesichte des Feindes unter¬
nommen, wodurch die glänzendsten Siege heimgebracht und damit die Lage
wieder zugunsten des Königs hergestellt wurde. Das Verfahren Friedrichs
w diesen Fällen, erst den einen Gegner mit einem kurzen energischen Offensiv¬
stoß anzufallen und ihn dadurch zurückzuwerfen, ohne jedoch dabei die Ver¬
folgung allzuweit auszudehnen, und dann sofort sich wieder nach einem andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/697>, abgerufen am 23.07.2024.