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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes

Alle diese charakteristischen Merkmale treten aber nicht bloß bei den
strategischen Operationen der drei Feldherren zutage, sie zeigen sich bei deren
taktischen Maßregeln für das Bewegen und das Ansetzen der Truppen zum
Gefecht und bei der Durchführung der Schlachten. Friedrich der Große legte
alle seine geplanten Schlachten, wie schon oben kurz erwähnt worden ist, darauf
an. eine Entscheidungsschlacht zu schlagen und dem Gegner den Rückzug abzu¬
schneiden, um ihn ganz zu vernichten. Der Feind sollte jedesmal unter den
für ihn ungünstigsten Bedingungen zur Schlacht gezwungen werden, und für
das formelle Verfahren verlangte der König, daß der erste entscheidende Schlag
womöglich überraschend, jedenfalls aber mit großer Energie geführt werden
sollte; zu dem Bereitstellen einer intakten Reserve, die im Augenblick der
Entscheidung zur Hand sein sollte, reichten die Mittel selten aus.

Die sogenannte schräge Schlachtordnung, deren meisterhafte Nutzanwendung
Wir beispielsweise in der Schlacht bei Leuthen finden, sollte aber dem Mangel
einer Reserve insofern abhelfen, als der König ausdrücklich befahl, daß, wenn
man den Feind mit dem einen Flügel angriffe, der andre immer "refüsiert"
bleiben müsse, damit man mit diesem den Angriff entweder unterstützen oder
im Fall von dessen Mißlingen den Rückzug der Geschlagnen decken könne.
Der feindliche Flügel, den man angreifen wollte, sollte dabei so viel wie
möglich tourniert werden, damit er von allen Seiten und womöglich mit
konzentrischen Feuer beschossen werden könne. Friedrich der Zweite hatte somit
schon das Prinzip von dem einen offensiven und dem andern defensiven Flügel
und von den Umgehungen. Umfassungen und Überflügelungen vor Augen, wie
wir sie in dem modernen Gefecht so vielfach zur Anwendung gebracht fehen.
Die Ansicht, daß Friedrich der Große immer nur einen feindlichen Flügel an¬
gegriffen habe, ist nicht richtig, ebensowenig wie die, daß Napoleon immer
nur seinen Hauptstoß gegen das feindliche Zentrum gerichtet habe, um hier
den keilförmigen Durchbruch zur Geltung zu bringen.

Napoleon hatte wie der große König und unsre modernen Feldherren den
Grundsatz, daß man in der Schlacht nur den Plan für den ersten Augenblick
fassen und für diesen die Bewegungen einleiten müsse, daß aber dann ganz
nach den Umständen und der durch das Verhalten des Gegners gegebnen
Sachlage gehandelt werden müsse. So engagierte Napoleon das Gefecht zu¬
nächst auf vielen Punkten, bis er erkannte, wo der Gegner sich eme gefährliche
Blöße gegeben hatte, die er dann mit Energie und uuter Einsetzung seiner
bereit gehaltenen Reserven zu seinem Vorteil auszunutzen suchte. Es unterliegt
Wohl kaum einem Zweifel, daß Napoleon hier, wo von der Schlachtenfuhrung
gerade die Rede ist. nicht nur als Lehrmeister, sondern nach mancher Richtung
tun auch als Muster hingestellt werden muß. Fast jede Schlacht, die Napoleon
geschlagen hat. gibt uus ein andres Bild seiner taktische.. Anschciuuugen. und
für das Verständnis dieses Mannes ist das Studium seiner Schlachten un¬
erläßlich. Ich erinnere hier nur an die Schlacht von Austerlitz. wo Napoleon
eine neue Gefechtsaufstellung schuf, die noch viele Jahre lang als musterg.ltig


Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes

Alle diese charakteristischen Merkmale treten aber nicht bloß bei den
strategischen Operationen der drei Feldherren zutage, sie zeigen sich bei deren
taktischen Maßregeln für das Bewegen und das Ansetzen der Truppen zum
Gefecht und bei der Durchführung der Schlachten. Friedrich der Große legte
alle seine geplanten Schlachten, wie schon oben kurz erwähnt worden ist, darauf
an. eine Entscheidungsschlacht zu schlagen und dem Gegner den Rückzug abzu¬
schneiden, um ihn ganz zu vernichten. Der Feind sollte jedesmal unter den
für ihn ungünstigsten Bedingungen zur Schlacht gezwungen werden, und für
das formelle Verfahren verlangte der König, daß der erste entscheidende Schlag
womöglich überraschend, jedenfalls aber mit großer Energie geführt werden
sollte; zu dem Bereitstellen einer intakten Reserve, die im Augenblick der
Entscheidung zur Hand sein sollte, reichten die Mittel selten aus.

Die sogenannte schräge Schlachtordnung, deren meisterhafte Nutzanwendung
Wir beispielsweise in der Schlacht bei Leuthen finden, sollte aber dem Mangel
einer Reserve insofern abhelfen, als der König ausdrücklich befahl, daß, wenn
man den Feind mit dem einen Flügel angriffe, der andre immer „refüsiert"
bleiben müsse, damit man mit diesem den Angriff entweder unterstützen oder
im Fall von dessen Mißlingen den Rückzug der Geschlagnen decken könne.
Der feindliche Flügel, den man angreifen wollte, sollte dabei so viel wie
möglich tourniert werden, damit er von allen Seiten und womöglich mit
konzentrischen Feuer beschossen werden könne. Friedrich der Zweite hatte somit
schon das Prinzip von dem einen offensiven und dem andern defensiven Flügel
und von den Umgehungen. Umfassungen und Überflügelungen vor Augen, wie
wir sie in dem modernen Gefecht so vielfach zur Anwendung gebracht fehen.
Die Ansicht, daß Friedrich der Große immer nur einen feindlichen Flügel an¬
gegriffen habe, ist nicht richtig, ebensowenig wie die, daß Napoleon immer
nur seinen Hauptstoß gegen das feindliche Zentrum gerichtet habe, um hier
den keilförmigen Durchbruch zur Geltung zu bringen.

Napoleon hatte wie der große König und unsre modernen Feldherren den
Grundsatz, daß man in der Schlacht nur den Plan für den ersten Augenblick
fassen und für diesen die Bewegungen einleiten müsse, daß aber dann ganz
nach den Umständen und der durch das Verhalten des Gegners gegebnen
Sachlage gehandelt werden müsse. So engagierte Napoleon das Gefecht zu¬
nächst auf vielen Punkten, bis er erkannte, wo der Gegner sich eme gefährliche
Blöße gegeben hatte, die er dann mit Energie und uuter Einsetzung seiner
bereit gehaltenen Reserven zu seinem Vorteil auszunutzen suchte. Es unterliegt
Wohl kaum einem Zweifel, daß Napoleon hier, wo von der Schlachtenfuhrung
gerade die Rede ist. nicht nur als Lehrmeister, sondern nach mancher Richtung
tun auch als Muster hingestellt werden muß. Fast jede Schlacht, die Napoleon
geschlagen hat. gibt uus ein andres Bild seiner taktische.. Anschciuuugen. und
für das Verständnis dieses Mannes ist das Studium seiner Schlachten un¬
erläßlich. Ich erinnere hier nur an die Schlacht von Austerlitz. wo Napoleon
eine neue Gefechtsaufstellung schuf, die noch viele Jahre lang als musterg.ltig


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[0699] Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes Alle diese charakteristischen Merkmale treten aber nicht bloß bei den strategischen Operationen der drei Feldherren zutage, sie zeigen sich bei deren taktischen Maßregeln für das Bewegen und das Ansetzen der Truppen zum Gefecht und bei der Durchführung der Schlachten. Friedrich der Große legte alle seine geplanten Schlachten, wie schon oben kurz erwähnt worden ist, darauf an. eine Entscheidungsschlacht zu schlagen und dem Gegner den Rückzug abzu¬ schneiden, um ihn ganz zu vernichten. Der Feind sollte jedesmal unter den für ihn ungünstigsten Bedingungen zur Schlacht gezwungen werden, und für das formelle Verfahren verlangte der König, daß der erste entscheidende Schlag womöglich überraschend, jedenfalls aber mit großer Energie geführt werden sollte; zu dem Bereitstellen einer intakten Reserve, die im Augenblick der Entscheidung zur Hand sein sollte, reichten die Mittel selten aus. Die sogenannte schräge Schlachtordnung, deren meisterhafte Nutzanwendung Wir beispielsweise in der Schlacht bei Leuthen finden, sollte aber dem Mangel einer Reserve insofern abhelfen, als der König ausdrücklich befahl, daß, wenn man den Feind mit dem einen Flügel angriffe, der andre immer „refüsiert" bleiben müsse, damit man mit diesem den Angriff entweder unterstützen oder im Fall von dessen Mißlingen den Rückzug der Geschlagnen decken könne. Der feindliche Flügel, den man angreifen wollte, sollte dabei so viel wie möglich tourniert werden, damit er von allen Seiten und womöglich mit konzentrischen Feuer beschossen werden könne. Friedrich der Zweite hatte somit schon das Prinzip von dem einen offensiven und dem andern defensiven Flügel und von den Umgehungen. Umfassungen und Überflügelungen vor Augen, wie wir sie in dem modernen Gefecht so vielfach zur Anwendung gebracht fehen. Die Ansicht, daß Friedrich der Große immer nur einen feindlichen Flügel an¬ gegriffen habe, ist nicht richtig, ebensowenig wie die, daß Napoleon immer nur seinen Hauptstoß gegen das feindliche Zentrum gerichtet habe, um hier den keilförmigen Durchbruch zur Geltung zu bringen. Napoleon hatte wie der große König und unsre modernen Feldherren den Grundsatz, daß man in der Schlacht nur den Plan für den ersten Augenblick fassen und für diesen die Bewegungen einleiten müsse, daß aber dann ganz nach den Umständen und der durch das Verhalten des Gegners gegebnen Sachlage gehandelt werden müsse. So engagierte Napoleon das Gefecht zu¬ nächst auf vielen Punkten, bis er erkannte, wo der Gegner sich eme gefährliche Blöße gegeben hatte, die er dann mit Energie und uuter Einsetzung seiner bereit gehaltenen Reserven zu seinem Vorteil auszunutzen suchte. Es unterliegt Wohl kaum einem Zweifel, daß Napoleon hier, wo von der Schlachtenfuhrung gerade die Rede ist. nicht nur als Lehrmeister, sondern nach mancher Richtung tun auch als Muster hingestellt werden muß. Fast jede Schlacht, die Napoleon geschlagen hat. gibt uus ein andres Bild seiner taktische.. Anschciuuugen. und für das Verständnis dieses Mannes ist das Studium seiner Schlachten un¬ erläßlich. Ich erinnere hier nur an die Schlacht von Austerlitz. wo Napoleon eine neue Gefechtsaufstellung schuf, die noch viele Jahre lang als musterg.ltig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/699>, abgerufen am 23.07.2024.