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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes

des Großen auf Entscheidungsschlachten angelegt waren, mit Ausnahme derer
natürlich, die sich aus einem zufälligen Zusammentreffen, wie bei Lowositz
und bei Liegnitz, oder aus einem Überfall, wie bei Hochkirch, entwickelten.
Das trat ganz besonders in den Schlachten des siebenjährigen Krieges und
vor allen Dingen bei Prag, Leuthen, Zorndorf, Kunersdorf und Torgau hervor,
in denen es jedesmal auf die vollständige Zertrümmerung des feindlichen Heeres
abgesehen war.

Friedrich der Zweite stand auch in dieser Beziehung hoch über seiner Zeit
und überragte auch darin Napoleon, in dessen Dispositionen zur Schlacht die
Absicht der Zertrümmerung der feindlichen Armee nicht immer von Anfang an
so klar ausgesprochen war.

Napoleon hatte sich die Lehre von dem Vorteil der Vorhand und der
Initiative in derselben Weise nutzbar zu machen gesucht, und alle seine Feld¬
zugspläne waren somit auf die strategische Offensive basiert. Napoleon wurde
dabei in viel höherm Grade durch die politischen, militärischen und volks¬
wirtschaftlichen Zustände seiner Zeit unterstützt, als solches bei Friedrich dem
Großen der Fall war. Während Friedrich noch an die engbcgrenzte Krieg¬
führung seiner Zeit, an das ängstliche Festhalten der Magazinverpflegung, an
das stritte Anlehnen an die Etappenlinien usw. gebunden war und der Haupt¬
sache nach nur cmgcworbne Truppen zur Disposition hatte, konnte sich Napoleon,
der vollständig neue Verhältnisse im Staaten- und Völkerrecht vorfand, lind
der über ein Nationalheer befehligte, viel freier rühren und viel rücksichtsloser
verfahren. Das neu eingeführte Requisitionssystem setzte nicht mehr das vor¬
sichtige Festhalten an den großen Heercsstrnßen voraus, das Beziehen von
Winterquartieren war nicht mehr an der Tagesordnung, und kühn konnte sich
Napoleon, der nur immer für seinen persönlichen Ehrgeiz und Ruhm und
für sein persönliches Geschick, nicht für das eines angestammten Königshauses
und des Gesamtvaterlandcs einzustehn hatte, über eine Menge von Schranken
hinwegsetzen, die Friedrich in seiner Kriegführung gezogen waren. Die Energie,
mit der Napoleon die Vorbereitungen zum Kriege traf, Neuorganisationen
schuf, sich die Initiative sicherte und den Krieg in Feindesland trug, das
Geschick und die Umsicht, mit denen er die großen Heeressäulen in Bewegung
setzte und die auf dem Marsche getrennten Kolonnen zu einem überraschenden
und entscheidenden Erfolge zu vereinen wußte, mußte natürlich das Erstaunen
und die Bewunderung des alten Europas hervorrufen. Bei der Ergreifung
der strategischen Offensive, die Napoleon besonders liebte, wurde er durch
viele Umstände außerordentlich begünstigt, insbesondre beispielsweise durch die
Unentschlossenheit, Schwäche, Eifersucht und schlechte Führung, die sich bei den
Koalitionsheeren zeigten, und die ein einheitliches Zusammenwirken der Ver¬
bündeten kühnem, wenn nicht ganz unmöglich machten. Napoleon war dadurch
fast immer in den Stand gesetzt, mit großer Übermacht auftreten zu können,
und dadurch allein schon hatte er die Chancen des Gewinnes für sich, die ihm
die strategische Offensive sichern half.


Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes

des Großen auf Entscheidungsschlachten angelegt waren, mit Ausnahme derer
natürlich, die sich aus einem zufälligen Zusammentreffen, wie bei Lowositz
und bei Liegnitz, oder aus einem Überfall, wie bei Hochkirch, entwickelten.
Das trat ganz besonders in den Schlachten des siebenjährigen Krieges und
vor allen Dingen bei Prag, Leuthen, Zorndorf, Kunersdorf und Torgau hervor,
in denen es jedesmal auf die vollständige Zertrümmerung des feindlichen Heeres
abgesehen war.

Friedrich der Zweite stand auch in dieser Beziehung hoch über seiner Zeit
und überragte auch darin Napoleon, in dessen Dispositionen zur Schlacht die
Absicht der Zertrümmerung der feindlichen Armee nicht immer von Anfang an
so klar ausgesprochen war.

Napoleon hatte sich die Lehre von dem Vorteil der Vorhand und der
Initiative in derselben Weise nutzbar zu machen gesucht, und alle seine Feld¬
zugspläne waren somit auf die strategische Offensive basiert. Napoleon wurde
dabei in viel höherm Grade durch die politischen, militärischen und volks¬
wirtschaftlichen Zustände seiner Zeit unterstützt, als solches bei Friedrich dem
Großen der Fall war. Während Friedrich noch an die engbcgrenzte Krieg¬
führung seiner Zeit, an das ängstliche Festhalten der Magazinverpflegung, an
das stritte Anlehnen an die Etappenlinien usw. gebunden war und der Haupt¬
sache nach nur cmgcworbne Truppen zur Disposition hatte, konnte sich Napoleon,
der vollständig neue Verhältnisse im Staaten- und Völkerrecht vorfand, lind
der über ein Nationalheer befehligte, viel freier rühren und viel rücksichtsloser
verfahren. Das neu eingeführte Requisitionssystem setzte nicht mehr das vor¬
sichtige Festhalten an den großen Heercsstrnßen voraus, das Beziehen von
Winterquartieren war nicht mehr an der Tagesordnung, und kühn konnte sich
Napoleon, der nur immer für seinen persönlichen Ehrgeiz und Ruhm und
für sein persönliches Geschick, nicht für das eines angestammten Königshauses
und des Gesamtvaterlandcs einzustehn hatte, über eine Menge von Schranken
hinwegsetzen, die Friedrich in seiner Kriegführung gezogen waren. Die Energie,
mit der Napoleon die Vorbereitungen zum Kriege traf, Neuorganisationen
schuf, sich die Initiative sicherte und den Krieg in Feindesland trug, das
Geschick und die Umsicht, mit denen er die großen Heeressäulen in Bewegung
setzte und die auf dem Marsche getrennten Kolonnen zu einem überraschenden
und entscheidenden Erfolge zu vereinen wußte, mußte natürlich das Erstaunen
und die Bewunderung des alten Europas hervorrufen. Bei der Ergreifung
der strategischen Offensive, die Napoleon besonders liebte, wurde er durch
viele Umstände außerordentlich begünstigt, insbesondre beispielsweise durch die
Unentschlossenheit, Schwäche, Eifersucht und schlechte Führung, die sich bei den
Koalitionsheeren zeigten, und die ein einheitliches Zusammenwirken der Ver¬
bündeten kühnem, wenn nicht ganz unmöglich machten. Napoleon war dadurch
fast immer in den Stand gesetzt, mit großer Übermacht auftreten zu können,
und dadurch allein schon hatte er die Chancen des Gewinnes für sich, die ihm
die strategische Offensive sichern half.


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[0696] Merkmale der Kriegführung Friedrichs des Großen, Napoleons und Moltkes des Großen auf Entscheidungsschlachten angelegt waren, mit Ausnahme derer natürlich, die sich aus einem zufälligen Zusammentreffen, wie bei Lowositz und bei Liegnitz, oder aus einem Überfall, wie bei Hochkirch, entwickelten. Das trat ganz besonders in den Schlachten des siebenjährigen Krieges und vor allen Dingen bei Prag, Leuthen, Zorndorf, Kunersdorf und Torgau hervor, in denen es jedesmal auf die vollständige Zertrümmerung des feindlichen Heeres abgesehen war. Friedrich der Zweite stand auch in dieser Beziehung hoch über seiner Zeit und überragte auch darin Napoleon, in dessen Dispositionen zur Schlacht die Absicht der Zertrümmerung der feindlichen Armee nicht immer von Anfang an so klar ausgesprochen war. Napoleon hatte sich die Lehre von dem Vorteil der Vorhand und der Initiative in derselben Weise nutzbar zu machen gesucht, und alle seine Feld¬ zugspläne waren somit auf die strategische Offensive basiert. Napoleon wurde dabei in viel höherm Grade durch die politischen, militärischen und volks¬ wirtschaftlichen Zustände seiner Zeit unterstützt, als solches bei Friedrich dem Großen der Fall war. Während Friedrich noch an die engbcgrenzte Krieg¬ führung seiner Zeit, an das ängstliche Festhalten der Magazinverpflegung, an das stritte Anlehnen an die Etappenlinien usw. gebunden war und der Haupt¬ sache nach nur cmgcworbne Truppen zur Disposition hatte, konnte sich Napoleon, der vollständig neue Verhältnisse im Staaten- und Völkerrecht vorfand, lind der über ein Nationalheer befehligte, viel freier rühren und viel rücksichtsloser verfahren. Das neu eingeführte Requisitionssystem setzte nicht mehr das vor¬ sichtige Festhalten an den großen Heercsstrnßen voraus, das Beziehen von Winterquartieren war nicht mehr an der Tagesordnung, und kühn konnte sich Napoleon, der nur immer für seinen persönlichen Ehrgeiz und Ruhm und für sein persönliches Geschick, nicht für das eines angestammten Königshauses und des Gesamtvaterlandcs einzustehn hatte, über eine Menge von Schranken hinwegsetzen, die Friedrich in seiner Kriegführung gezogen waren. Die Energie, mit der Napoleon die Vorbereitungen zum Kriege traf, Neuorganisationen schuf, sich die Initiative sicherte und den Krieg in Feindesland trug, das Geschick und die Umsicht, mit denen er die großen Heeressäulen in Bewegung setzte und die auf dem Marsche getrennten Kolonnen zu einem überraschenden und entscheidenden Erfolge zu vereinen wußte, mußte natürlich das Erstaunen und die Bewunderung des alten Europas hervorrufen. Bei der Ergreifung der strategischen Offensive, die Napoleon besonders liebte, wurde er durch viele Umstände außerordentlich begünstigt, insbesondre beispielsweise durch die Unentschlossenheit, Schwäche, Eifersucht und schlechte Führung, die sich bei den Koalitionsheeren zeigten, und die ein einheitliches Zusammenwirken der Ver¬ bündeten kühnem, wenn nicht ganz unmöglich machten. Napoleon war dadurch fast immer in den Stand gesetzt, mit großer Übermacht auftreten zu können, und dadurch allein schon hatte er die Chancen des Gewinnes für sich, die ihm die strategische Offensive sichern half.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/696>, abgerufen am 23.07.2024.