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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Unebenbürtige Fürstenehen in frühern Jahrhunderten

der Stammvater des bayrischen Königshauses, bestritt ihren unmündigen Söhnen
ihr kleines Erbe, weil die Ehe der Eltern nur morganatisch gewesen sei. Der
Reichshofrat entschied zu ihren Gunsten, bezeichnete sie als des Pfalzgrafen
"hinterlassene fürstliche Frau" und sicherte ihren Kindern alle fürstlichen Rechte
zu. Auf Maria Esther und ihren Gemahl gehn die heutigen Herzöge in
Bayern zurück, deren gegenwärtiges Oberhaupt der berühmte Augenarzt Karl
Theodor ist. Die Kaiserin Elisabeth von Osterreich war bekanntlich seine
Schwester.

Nicht immer aber zeigte sich der Neichshofrat so gnädig, und ganz be¬
sonders rücksichtslos wurde er, wenn es sich nicht um schon von Geburt adliche
Damen, sondern um Personen bürgerlichen Standes handelte. Anneliese war
eine Ausnahme gewesen. Auch Dorothea Hoffmann, Tochter eines Be¬
reiters, die ein Pfalzgraf von Zweibrücken zu seiner Frau gemacht hatte,
wollte durchaus "Hochgeborne Fürstin" werden. Aber der Kaiser beant¬
wortete ein Schreiben des zärtlichen Gemahls, das sich darauf bezog, über¬
haupt nicht, wenn er auch später gutmütig genug war, ihr die Würde einer
Gräfin zu verleihen. Als sie nach dem Tode des Pfalzgrafen auf ihren ver¬
meintlichen höhern Ansprüchen beharrte und sich des pfnlzgräflichen Titels und
Wappens bediente, wurde ihr das in überaus schroffem Tone untersagt. Nicht
besser erging es dem letzten Herzoge von Württemberg - Mömpelgard, einem
eigensinnigen und durch seine verworrenen Familienverhültnisse berüchtigten
Herrn. Nicht damit zufrieden, daß der Kaiser seine drei bürgerlichen Frauen
und die zum Teil noch vor der Ehe gebornen Kinder ii? den Grasen- oder
Freiherrnstand erhoben hatte, ernannte er ans eigner Machtvollkommenheit
seine dritte Frau zur regierenden Herzogin und den ältesten Sohn zum Erb¬
prinzen. Darüber geriet Kaiser Karl der Sechste in den höchsten Zorn. Diese
eigenmächtige Standeserhöhung sei ein offenbarer Eingriff "in die kaiserliche
und des heiligen Römischen Reichs Macht und Vorrechte". Der unrechtmäßige
Erbprinz, der Sohn einer Liegnitzer Bückerstochter, mußte nach dem Tode des
Vaters das Land räumen, und Mömpelgard fiel an die Stuttgarter Haupt¬
linie, wurde ihr jedoch noch in demselben Jahrhundert durch die französische
Revolution für immer entrissen.

In seinem Reskript an den widerspenstigen Herzog hatte Karl der Sechste
seinen Standpunkt so deutlich wie möglich gekennzeichnet: "Heilung und Er¬
setzung ungleicher Geburt ohne seine kaiserliche Macht und Gnade ist unziemlich
und nichtig." Den Reichsständen war dieses kaiserliche Neservatrecht außer¬
ordentlich unbequem, zumal da es sich nicht leugnen läßt, daß der Neichs¬
hofrat, der ganz vom Kaiser abhing, sich in allen Fragen der Ebenbürtigkeit
oft stark von persönlichen oder politischen Gründen hat beeinflussen lassen.
Sonst würden so widersprechende Urteile, wie sie oft erfolgten, unmöglich ge¬
wesen sein. Die zunftmäßigen Juristen hatten freilich bis zur Mitte des acht¬
zehnten Jahrhunderts über Standesunterschiede eine sehr milde Auffassung.


Unebenbürtige Fürstenehen in frühern Jahrhunderten

der Stammvater des bayrischen Königshauses, bestritt ihren unmündigen Söhnen
ihr kleines Erbe, weil die Ehe der Eltern nur morganatisch gewesen sei. Der
Reichshofrat entschied zu ihren Gunsten, bezeichnete sie als des Pfalzgrafen
„hinterlassene fürstliche Frau" und sicherte ihren Kindern alle fürstlichen Rechte
zu. Auf Maria Esther und ihren Gemahl gehn die heutigen Herzöge in
Bayern zurück, deren gegenwärtiges Oberhaupt der berühmte Augenarzt Karl
Theodor ist. Die Kaiserin Elisabeth von Osterreich war bekanntlich seine
Schwester.

Nicht immer aber zeigte sich der Neichshofrat so gnädig, und ganz be¬
sonders rücksichtslos wurde er, wenn es sich nicht um schon von Geburt adliche
Damen, sondern um Personen bürgerlichen Standes handelte. Anneliese war
eine Ausnahme gewesen. Auch Dorothea Hoffmann, Tochter eines Be¬
reiters, die ein Pfalzgraf von Zweibrücken zu seiner Frau gemacht hatte,
wollte durchaus „Hochgeborne Fürstin" werden. Aber der Kaiser beant¬
wortete ein Schreiben des zärtlichen Gemahls, das sich darauf bezog, über¬
haupt nicht, wenn er auch später gutmütig genug war, ihr die Würde einer
Gräfin zu verleihen. Als sie nach dem Tode des Pfalzgrafen auf ihren ver¬
meintlichen höhern Ansprüchen beharrte und sich des pfnlzgräflichen Titels und
Wappens bediente, wurde ihr das in überaus schroffem Tone untersagt. Nicht
besser erging es dem letzten Herzoge von Württemberg - Mömpelgard, einem
eigensinnigen und durch seine verworrenen Familienverhültnisse berüchtigten
Herrn. Nicht damit zufrieden, daß der Kaiser seine drei bürgerlichen Frauen
und die zum Teil noch vor der Ehe gebornen Kinder ii? den Grasen- oder
Freiherrnstand erhoben hatte, ernannte er ans eigner Machtvollkommenheit
seine dritte Frau zur regierenden Herzogin und den ältesten Sohn zum Erb¬
prinzen. Darüber geriet Kaiser Karl der Sechste in den höchsten Zorn. Diese
eigenmächtige Standeserhöhung sei ein offenbarer Eingriff „in die kaiserliche
und des heiligen Römischen Reichs Macht und Vorrechte". Der unrechtmäßige
Erbprinz, der Sohn einer Liegnitzer Bückerstochter, mußte nach dem Tode des
Vaters das Land räumen, und Mömpelgard fiel an die Stuttgarter Haupt¬
linie, wurde ihr jedoch noch in demselben Jahrhundert durch die französische
Revolution für immer entrissen.

In seinem Reskript an den widerspenstigen Herzog hatte Karl der Sechste
seinen Standpunkt so deutlich wie möglich gekennzeichnet: „Heilung und Er¬
setzung ungleicher Geburt ohne seine kaiserliche Macht und Gnade ist unziemlich
und nichtig." Den Reichsständen war dieses kaiserliche Neservatrecht außer¬
ordentlich unbequem, zumal da es sich nicht leugnen läßt, daß der Neichs¬
hofrat, der ganz vom Kaiser abhing, sich in allen Fragen der Ebenbürtigkeit
oft stark von persönlichen oder politischen Gründen hat beeinflussen lassen.
Sonst würden so widersprechende Urteile, wie sie oft erfolgten, unmöglich ge¬
wesen sein. Die zunftmäßigen Juristen hatten freilich bis zur Mitte des acht¬
zehnten Jahrhunderts über Standesunterschiede eine sehr milde Auffassung.


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[0654] Unebenbürtige Fürstenehen in frühern Jahrhunderten der Stammvater des bayrischen Königshauses, bestritt ihren unmündigen Söhnen ihr kleines Erbe, weil die Ehe der Eltern nur morganatisch gewesen sei. Der Reichshofrat entschied zu ihren Gunsten, bezeichnete sie als des Pfalzgrafen „hinterlassene fürstliche Frau" und sicherte ihren Kindern alle fürstlichen Rechte zu. Auf Maria Esther und ihren Gemahl gehn die heutigen Herzöge in Bayern zurück, deren gegenwärtiges Oberhaupt der berühmte Augenarzt Karl Theodor ist. Die Kaiserin Elisabeth von Osterreich war bekanntlich seine Schwester. Nicht immer aber zeigte sich der Neichshofrat so gnädig, und ganz be¬ sonders rücksichtslos wurde er, wenn es sich nicht um schon von Geburt adliche Damen, sondern um Personen bürgerlichen Standes handelte. Anneliese war eine Ausnahme gewesen. Auch Dorothea Hoffmann, Tochter eines Be¬ reiters, die ein Pfalzgraf von Zweibrücken zu seiner Frau gemacht hatte, wollte durchaus „Hochgeborne Fürstin" werden. Aber der Kaiser beant¬ wortete ein Schreiben des zärtlichen Gemahls, das sich darauf bezog, über¬ haupt nicht, wenn er auch später gutmütig genug war, ihr die Würde einer Gräfin zu verleihen. Als sie nach dem Tode des Pfalzgrafen auf ihren ver¬ meintlichen höhern Ansprüchen beharrte und sich des pfnlzgräflichen Titels und Wappens bediente, wurde ihr das in überaus schroffem Tone untersagt. Nicht besser erging es dem letzten Herzoge von Württemberg - Mömpelgard, einem eigensinnigen und durch seine verworrenen Familienverhültnisse berüchtigten Herrn. Nicht damit zufrieden, daß der Kaiser seine drei bürgerlichen Frauen und die zum Teil noch vor der Ehe gebornen Kinder ii? den Grasen- oder Freiherrnstand erhoben hatte, ernannte er ans eigner Machtvollkommenheit seine dritte Frau zur regierenden Herzogin und den ältesten Sohn zum Erb¬ prinzen. Darüber geriet Kaiser Karl der Sechste in den höchsten Zorn. Diese eigenmächtige Standeserhöhung sei ein offenbarer Eingriff „in die kaiserliche und des heiligen Römischen Reichs Macht und Vorrechte". Der unrechtmäßige Erbprinz, der Sohn einer Liegnitzer Bückerstochter, mußte nach dem Tode des Vaters das Land räumen, und Mömpelgard fiel an die Stuttgarter Haupt¬ linie, wurde ihr jedoch noch in demselben Jahrhundert durch die französische Revolution für immer entrissen. In seinem Reskript an den widerspenstigen Herzog hatte Karl der Sechste seinen Standpunkt so deutlich wie möglich gekennzeichnet: „Heilung und Er¬ setzung ungleicher Geburt ohne seine kaiserliche Macht und Gnade ist unziemlich und nichtig." Den Reichsständen war dieses kaiserliche Neservatrecht außer¬ ordentlich unbequem, zumal da es sich nicht leugnen läßt, daß der Neichs¬ hofrat, der ganz vom Kaiser abhing, sich in allen Fragen der Ebenbürtigkeit oft stark von persönlichen oder politischen Gründen hat beeinflussen lassen. Sonst würden so widersprechende Urteile, wie sie oft erfolgten, unmöglich ge¬ wesen sein. Die zunftmäßigen Juristen hatten freilich bis zur Mitte des acht¬ zehnten Jahrhunderts über Standesunterschiede eine sehr milde Auffassung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/654>, abgerufen am 23.07.2024.