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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Unebenbürtige Fürstenehen in frühern Jahrhunderten

Außer dem kanonischen und dem römischen Rechte spielten jetzt auch die Lehren
des Naturrechts mit hinein. Die Juristenfakultät der braunschweigischen Uni¬
versität Helmstädt betonte in einem Gutachten von 1698, daß alle Menschen
von Natur frei und gleich seien, und noch 1731 erklärte der berühmte Pfeffinger
die Ehe eines Fürsten mit einer Plebeja durchaus für berechtigt.

Bei den Fürsten aber machte sich seit Beginn des Jahrhunderts eine
starke Strömung gegen diese Richtung bemerkbar. Hausvertrüge. Testaments-
vrdnungen oder Verabredungen zwischen einzelnen Höfen sollten dazu dienen,
unberechtigte Eindringlinge fernzuhalten. Aber es waren doch immer nur
vereinzelte Bestimmungen/ völlige Gleichheit der Ansichten herrschte keineswegs,
ein für alle giltiges Reichsgesetz fehlte. Da trat ein Ereignis ein, das die
ganze deutsche Fürstenwelt in ungeheure Aufregung versetzte und zu fast ein¬
mütigem Widerstande gegen das Reichsoberhaupt zusammenscharte. Und dabei
wiederholte Karl der Sechste doch nnr, was sein Vater Leopold der Erste vor
dreißig Jahren getan hatte: er erhob eine Bürgerstochter in den Neichsfürsten-
stand und erkannte ihre Kinder als erbfähig an. Der Unterschied aber war,
daß damals alle Stammesvettern, zum Teil aus sehr naheliegenden Gründen,
der Rangerhöhung Anneliesens beigestimmt hatten, während jetzt das ganze
Haus Wettin. der Kurfürst von Sachsen und alle thüringischen Herzöge die
meiningische Familienangelegenheit zu der ihrigen machten. Anton Ulrich, der
jüngste von drei Brüdern, hatte sich schon im Jahre 1711 heimlich mit Philippine
Cäsar, der Kammerjungfer seiner Schwester, vermählt. Denn eine Prinzessin
konnte er, wie er später mit rührender Naivität selbst erklärte, wegen seiner
bescheidnen Mittel nicht heiraten, und da er bei sich das annum eontmentias
nicht fand, hätte er entweder sein Gewissen dnrch unzulässige Dinge und Liebe
beflecken oder eine bürgerliche Person heiraten müssen, die sich mit allem zu-
sneden gab. Als die Geliebte ihm nach mehreren Töchtern auch zwei Söhne
geboren hatte, bekannte er sich offen zu ihr und betrieb unermüdlich die An¬
erkennung seiner Ehe. Anfangs ohne Erfolg, da seine Brüder und die mit
ihnen verbündeten Fürsten in Wien gegen ihn wirkten. Endlich, im Jahre 1727,
setzte er mit Hilfe des einflußreichen spanischen Gesandten, den er von frühern
Kriegsfahrten her kannte, seinen Willen durch. Philippine erhielt das Prädikat
"Hochgeboren", und ihre Kinder wurden zu Herzögen und Herzoginnen von
Sachsen erklärt. Dieser Triumph. der ihm durch Proteste und kleinliche Ge¬
hässigkeiten seiner Standesgenossen stark vergällt wurde. dauerte nicht lange.
Als der letzte Habsburger ins Grab gesunken war, und das Reich vor einer
Neuwahl stand wurde bei den Beratungen über die Wahlkapitulation, durch
die in üblicher Weise die Macht des künftigen Kaisers eingeschränkt werden
sollte, auch die meiningische Sache zur Sprache gebracht. Auf sie insbesondre
bezieht sich die berühmte Stelle im Artikel 22 der Kapitulation Karls des
Siebenten, wonach sich der Kaiser verpflichten mußte, "den aus ohnstreitig
motorischer Mißheirat erzeugten Kindern eines Standes des Reiches oder aus


Unebenbürtige Fürstenehen in frühern Jahrhunderten

Außer dem kanonischen und dem römischen Rechte spielten jetzt auch die Lehren
des Naturrechts mit hinein. Die Juristenfakultät der braunschweigischen Uni¬
versität Helmstädt betonte in einem Gutachten von 1698, daß alle Menschen
von Natur frei und gleich seien, und noch 1731 erklärte der berühmte Pfeffinger
die Ehe eines Fürsten mit einer Plebeja durchaus für berechtigt.

Bei den Fürsten aber machte sich seit Beginn des Jahrhunderts eine
starke Strömung gegen diese Richtung bemerkbar. Hausvertrüge. Testaments-
vrdnungen oder Verabredungen zwischen einzelnen Höfen sollten dazu dienen,
unberechtigte Eindringlinge fernzuhalten. Aber es waren doch immer nur
vereinzelte Bestimmungen/ völlige Gleichheit der Ansichten herrschte keineswegs,
ein für alle giltiges Reichsgesetz fehlte. Da trat ein Ereignis ein, das die
ganze deutsche Fürstenwelt in ungeheure Aufregung versetzte und zu fast ein¬
mütigem Widerstande gegen das Reichsoberhaupt zusammenscharte. Und dabei
wiederholte Karl der Sechste doch nnr, was sein Vater Leopold der Erste vor
dreißig Jahren getan hatte: er erhob eine Bürgerstochter in den Neichsfürsten-
stand und erkannte ihre Kinder als erbfähig an. Der Unterschied aber war,
daß damals alle Stammesvettern, zum Teil aus sehr naheliegenden Gründen,
der Rangerhöhung Anneliesens beigestimmt hatten, während jetzt das ganze
Haus Wettin. der Kurfürst von Sachsen und alle thüringischen Herzöge die
meiningische Familienangelegenheit zu der ihrigen machten. Anton Ulrich, der
jüngste von drei Brüdern, hatte sich schon im Jahre 1711 heimlich mit Philippine
Cäsar, der Kammerjungfer seiner Schwester, vermählt. Denn eine Prinzessin
konnte er, wie er später mit rührender Naivität selbst erklärte, wegen seiner
bescheidnen Mittel nicht heiraten, und da er bei sich das annum eontmentias
nicht fand, hätte er entweder sein Gewissen dnrch unzulässige Dinge und Liebe
beflecken oder eine bürgerliche Person heiraten müssen, die sich mit allem zu-
sneden gab. Als die Geliebte ihm nach mehreren Töchtern auch zwei Söhne
geboren hatte, bekannte er sich offen zu ihr und betrieb unermüdlich die An¬
erkennung seiner Ehe. Anfangs ohne Erfolg, da seine Brüder und die mit
ihnen verbündeten Fürsten in Wien gegen ihn wirkten. Endlich, im Jahre 1727,
setzte er mit Hilfe des einflußreichen spanischen Gesandten, den er von frühern
Kriegsfahrten her kannte, seinen Willen durch. Philippine erhielt das Prädikat
"Hochgeboren", und ihre Kinder wurden zu Herzögen und Herzoginnen von
Sachsen erklärt. Dieser Triumph. der ihm durch Proteste und kleinliche Ge¬
hässigkeiten seiner Standesgenossen stark vergällt wurde. dauerte nicht lange.
Als der letzte Habsburger ins Grab gesunken war, und das Reich vor einer
Neuwahl stand wurde bei den Beratungen über die Wahlkapitulation, durch
die in üblicher Weise die Macht des künftigen Kaisers eingeschränkt werden
sollte, auch die meiningische Sache zur Sprache gebracht. Auf sie insbesondre
bezieht sich die berühmte Stelle im Artikel 22 der Kapitulation Karls des
Siebenten, wonach sich der Kaiser verpflichten mußte, „den aus ohnstreitig
motorischer Mißheirat erzeugten Kindern eines Standes des Reiches oder aus


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[0655] Unebenbürtige Fürstenehen in frühern Jahrhunderten Außer dem kanonischen und dem römischen Rechte spielten jetzt auch die Lehren des Naturrechts mit hinein. Die Juristenfakultät der braunschweigischen Uni¬ versität Helmstädt betonte in einem Gutachten von 1698, daß alle Menschen von Natur frei und gleich seien, und noch 1731 erklärte der berühmte Pfeffinger die Ehe eines Fürsten mit einer Plebeja durchaus für berechtigt. Bei den Fürsten aber machte sich seit Beginn des Jahrhunderts eine starke Strömung gegen diese Richtung bemerkbar. Hausvertrüge. Testaments- vrdnungen oder Verabredungen zwischen einzelnen Höfen sollten dazu dienen, unberechtigte Eindringlinge fernzuhalten. Aber es waren doch immer nur vereinzelte Bestimmungen/ völlige Gleichheit der Ansichten herrschte keineswegs, ein für alle giltiges Reichsgesetz fehlte. Da trat ein Ereignis ein, das die ganze deutsche Fürstenwelt in ungeheure Aufregung versetzte und zu fast ein¬ mütigem Widerstande gegen das Reichsoberhaupt zusammenscharte. Und dabei wiederholte Karl der Sechste doch nnr, was sein Vater Leopold der Erste vor dreißig Jahren getan hatte: er erhob eine Bürgerstochter in den Neichsfürsten- stand und erkannte ihre Kinder als erbfähig an. Der Unterschied aber war, daß damals alle Stammesvettern, zum Teil aus sehr naheliegenden Gründen, der Rangerhöhung Anneliesens beigestimmt hatten, während jetzt das ganze Haus Wettin. der Kurfürst von Sachsen und alle thüringischen Herzöge die meiningische Familienangelegenheit zu der ihrigen machten. Anton Ulrich, der jüngste von drei Brüdern, hatte sich schon im Jahre 1711 heimlich mit Philippine Cäsar, der Kammerjungfer seiner Schwester, vermählt. Denn eine Prinzessin konnte er, wie er später mit rührender Naivität selbst erklärte, wegen seiner bescheidnen Mittel nicht heiraten, und da er bei sich das annum eontmentias nicht fand, hätte er entweder sein Gewissen dnrch unzulässige Dinge und Liebe beflecken oder eine bürgerliche Person heiraten müssen, die sich mit allem zu- sneden gab. Als die Geliebte ihm nach mehreren Töchtern auch zwei Söhne geboren hatte, bekannte er sich offen zu ihr und betrieb unermüdlich die An¬ erkennung seiner Ehe. Anfangs ohne Erfolg, da seine Brüder und die mit ihnen verbündeten Fürsten in Wien gegen ihn wirkten. Endlich, im Jahre 1727, setzte er mit Hilfe des einflußreichen spanischen Gesandten, den er von frühern Kriegsfahrten her kannte, seinen Willen durch. Philippine erhielt das Prädikat "Hochgeboren", und ihre Kinder wurden zu Herzögen und Herzoginnen von Sachsen erklärt. Dieser Triumph. der ihm durch Proteste und kleinliche Ge¬ hässigkeiten seiner Standesgenossen stark vergällt wurde. dauerte nicht lange. Als der letzte Habsburger ins Grab gesunken war, und das Reich vor einer Neuwahl stand wurde bei den Beratungen über die Wahlkapitulation, durch die in üblicher Weise die Macht des künftigen Kaisers eingeschränkt werden sollte, auch die meiningische Sache zur Sprache gebracht. Auf sie insbesondre bezieht sich die berühmte Stelle im Artikel 22 der Kapitulation Karls des Siebenten, wonach sich der Kaiser verpflichten mußte, „den aus ohnstreitig motorischer Mißheirat erzeugten Kindern eines Standes des Reiches oder aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/655>, abgerufen am 23.07.2024.